Jens-Uwe Jopp, Widerspruch. Widerspruch und nochmals Widerspruch. Aber recht hast du, wenn du in deiner jรผngsten Folge von โรberm Schreibtisch linksโ jetzt Stefan Zweig herausgeholt hast und den Leser/-innen der neuen LZ, die seit Freitag im Handel ist, dessen 1944 erschienenes Buch โDie Welt von Gesternโ ans Herz legst. Aber Unrecht hast du mit einem kleinen Wรถrtchen.
Das Wรถrtchen heiรt โmanโ. Und darรผber hรคtte ich mich mit dir gern gestritten, bevor die Zeitung erschienen wรคre. Und wenn es ein zweiseitiger Streit mit spitzem Florett geworden wรคre. Denn es gibt dieses โmanโ in der Geschichte nicht. โManโ stolpert in keinen Krieg, auch wenn das in der Hurra-Berichterstattung oft so aussieht. Und wenn Egon Bahr tausendmal recht hat mit seinem Satz โEs geht um die Interessen von Staaten.โ
Ein Satz, der ebenso tausendmal falsch ist. Natรผrlich meinte Egon Bahr auch seine Genossen, als er nachschob: โMerken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzรคhlt.โ
So kann ein Politiker reden. Muss er aber nicht.
Und schon gar nicht leitet sich daraus dieses โKreuziget sie!โ ab, mit dem eine wild gewordene Kommentatoren-Schar jetzt ausgerechnet die SPD-Genossen zum Kotau befehlen mรถchte, die sich seit 50 Jahren um eine friedliche Ostpolitik bemรผht haben. Ein Thema, mit dem sich Thomas Fischer in eine โSpiegelโ-Kolumne am 16. April beschรคftigt hat. Wer damals eine bessere Lรถsung hatte, der werfe den ersten Stein.
โManโ taumelt nicht in Kriege
Im Steinewerfen sind wir ja gut. Im Kreuzigen auch. Man lernt nur nichts dabei. Und man macht Kriege zu anonymen Ereignissen, in die irgendwer hineingetaumelt ist. Was schon 1914 nicht stimmte. Volker Hagedorn greift das in seinem Buch โFlammenโ auf, in dem es eigentlich nur um die furiose Zeit der modernen Musik zwischen 1900 und 1918 geht. Aber er lรคsst die Nachrichten aus den Zeitungen nicht weg. Und wer damals nicht so selektiv las, wusste, wie die Lunte seit 1912 brannte und immer wieder der Schatten eines paneuropรคischen Krieges im Raum stand. Stichwort: Balkankriege.
Weshalb Egon Bahr in diesem Punkt natรผrlich Unrecht hat. Im Gechichtsunterricht wird nรคmlich das Wichtigste meist nicht erzรคhlt. Und grรถรtenteils auch nicht, wer alles ganz persรถnlich schuld ist an Kriegen. Denn Kriege kommen nicht aus dem Nichts. Sie sind vorbereitet mit Aufrรผstung und Mobilisierung, mit Aufmarschplรคnen und dem Denken meist einer sehr kleinen Handvoll machtbesessener Mรคnner, die im Kopf eine Vorstellung von einer Welt haben, die sich nach ihnen zu formen und zu richten hat.
Das ist โ in Fortschreibung einer Phrase von Rolf Henrich โ โvormundschaftliche Politikโ. Autokratische sowieso. Und wer behauptet, das hรคtte in Deutschland wieder keiner gewusst, der hat wieder nur selektiv gelesen.
Da zitiere ich mal einen unserer wirklich klugen Intellektuellen, der den Titel zu Recht trรคgt: Hans Magnus Enzensberger. In seinem gerade erschienenen Buch โFallobstโ (2019 abgeschlossen) zitiert er Ricarda Huch รผber Nikolai I. (โMichael Bakunin und die Anarchieโ, 1932): โIn dem Bestreben, alles Eigenleben in Russland zu unterdrรผcken, blieb er siegreich, solange er lebte.โ Und dann fรผgte er die Sรคtze hinzu: โDas kรถnnte auch fรผr Lenin und Stalin gelten. Putins Ehrgeiz hat dasselbe Ziel im Auge.โ
Und Nikolai I. gehรถrt eindeutig zu Putins Vorbildern.
Kriege werden nicht von โmansโ angefangen, sondern von Mรคnnern, die darin einen โEhrgeizโ verwirklichen. Das ist das, was Bahr ausblendet, wenn er von Interessen von Staaten spricht. Denn meist sind es eben nur die Interessen einer kleinen Clique an der Macht, die ihre Interessen zu Staatsinteressen macht. Mit blutigen Folgen.
Was รผbrigens im k.u.k.-รsterreich von 1914 nicht anders war.
Wie sieht Pazifismus in einer Welt mit Autokraten aus?
Und das verschwindet ja nicht einfach, wenn man den groรen Traum eines Weltfriedens trรคumt. Aber wie 1914 und wie 1939 stehen wir vor der Tatsache, dass man diesen Traum nur partiell verwirklichen kann und dazu schwere Waffen braucht. Denn etwas anderes verstehen die schweren Jungs nicht. Und solche Dinge wie Demokratie, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Vรถlker verachten sie geradezu.
Sie halten die Landkarte tatsรคchlich fรผr ein Spielfeld, auf dem sie mit dem Leben ihrer Soldaten und der dort friedlich lebenden Menschen spielen kรถnnen.
Nur hat Stefan Zweig solche Typen verachtet, so sehr verachtet, dass er ihnen keine Romane gewidmet hat โ wenn man von den Bรผchern รผber den zwielichtigen Joseph Fouchรฉ und den gnadenlosen Calvin einmal absieht. Was wรคre das geworden, wenn Zweig auch einen Band รผber die โMonster der Menschheitโ geschrieben hรคtte? Wahrscheinlich eher ein Buch รผber ihre mutigsten Gegenspieler.
Denn dass Geschichte etwas zutiefst Persรถnliches ist, war ja seine Grundรผberzeugung. Und seine grรถรte Enttรคuschung war, dass diese finsteren Gestalten auch im 20. Jahrhundert wieder fรผr einen Schrecken ohne Ende sorgen konnten.
Zur Selbstreflexion braucht es reflektierende Medien
Sie merken schon: Da wรคre der Anfang fรผr einen veritablen Streit. Und รผber das, was am Pazifismus letztlich streitbar sein muss.
Ergรคnzt sich das nun thematisch mit den anderen Texten in der neuen LZ?
Ansatzweise schon. Denn hinter der schwerpunktmรครig auf den Seiten 1 bis 5 thematisierten Abschiebepraxis in Sachsen steckt ein ganz รคhnliches Denken รผber Menschen als Verfรผgungsmasse. Nicht nur vom bisherigen Innenminister Roland Wรถller so vertreten. Aber auf Seite 6 wird sein Rรผcktritt thematisiert โ Ergebnis eben nicht nur einer Serie von Skandalen, sondern auch einer โHardlinerโ-Politik, mit der in Sachsen nun einmal seit Jahrzehnten Politik gemacht wird. Und zwar keine gute.
Und auch keine reflektierte.
Wobei: Zur Selbstreflexion gehรถren auch Medien, die reflektieren und nicht nur Regierungspolitik apportieren. Davon gibt es in Sachsen nicht so viele. Man hat sich so aufs Bejubeln und Abnicken eingeschossen.
Aber das macht niemanden klรผger. Worum es bei der Selbstreflexion geht, das thematisiert Konstanze Caysa in ihrem Interview mit Delef Y. Mal keinem berรผhmten Leipziger. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen. Der den schรถnen Satz sagt: โHeroisch wรคre: wenn man das Geschehen reflektiert, analysiert und zu den Katastrophen steht und damit umgeht. Was ich erlebe, ist aber total viel Verdrรคngung โ damit die Party nicht endet, damit man sich selbst nicht infrage stellen muss.โ
Na, ertappt?
Damit geht es los. Damit geht รผbrigens auch Journalismus los. Selbstreflexion und Zweifeln. Und ein Verzicht, wo immer es geht, auf das Wรถrtchen โmanโ.
โManโ ist nie an etwas schuld. Es ist immer der konkrete Mensch in seinem Zweifeln, in seiner Angst und seiner Unentschlossenheit, der (mรถglicherweise) handelt und Dinge verรคndert. Hoffnung entsteht nur, wo der ganz konkrete Mensch die Welt fรผr verรคnderlich hรคlt und entsprechend aktiv wird. Womit ist bei dem durchaus wohltuenden Interview wรคre, das SRF Kultur am 18. April online gestellt hat.
Denn hier geht Rutger Bregman im Gesprรคch mit Barbara Bleisch darauf ein, was nun daraus folgt, wenn der Mensch selbst โvon Grund auf gutโ ist โ und trotzdem einige Menschen unรผbersehbar bรถse, grausam und rรผcksichtslos handeln.
Schauen Sie es sich selbst an.
Die neue Leipziger Zeitung (LZ), Ausgabe 101, Vร 29.04.2022, finden unsere Abonnenten natรผrlich im Briefkasten vor. Fรผr alle anderen ist die Ausgabe an allen bekannten Verkaufsstellen erhรคltlich.
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