Das sächsische LKA hat sich in jüngster Zeit ja einige Schoten geleistet. Gegen 17 Polizeibeamte des Mobilen Einsatzkommandos des Landeskriminalamtes Sachsen (LKA) wird unter anderem wegen gemeinschaftlich begangenen Diebstahls von 7.000 Schuss Munition und Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt. Und Bezüge zur „Reichsbürger“- oder „Prepper“-Szene gibt es auch noch. Und mit zweifelhaften Methoden versuchen augenscheinlich ein paar Ermittler seit Jahren, das Umfeld von Chemie Leipzig zu kriminalisieren und scheuen auch nicht vor der Schikane Unschuldiger zurück.

Die Titelgeschichte der neuen Ausgabe der „Leipziger Zeitung“ beschäftigt sich genau damit. Zwar erzählt Michael Freitag in der Titelgeschichte „Unschuldig verfolgt“ vor allem davon, wie das Landeskriminalamt seit 2013 versucht, den einst im Vorstand von Chemie Leipzig aktiven Henry A., der als Mitarbeiter der Stadtverwaltung seine Brötchen verdient, regelrecht zum Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach § 129 des Strafgesetzbuches zu machen.

Es ist ein echter Gummiparagraph, mit dem das LKA – konkreter die SOKO Linx – seit acht Jahren vergeblich versucht, im Umfeld des Fußballvereins eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren.Was für ein Gummiparagraph das ist, zeigt schon die Definition, was eine kriminelle Vereinigung sein soll: „Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“ Eigentlich eine Definition, die sich selbst widerspricht.

Die aber Ermittlern und Staatsanwaltschaft seit 2013 Grundlage genug war, im Umfeld von Chemie Leipzig ein organisiertes Netzwerk der Kriminalität zu vermuten und jahrelange umfassende Überwachungsaktionen anzuordnen, die schon zwei Mal als ergebnislos beendet werden sollten.

Aber einige Ermittler scheinen nicht ablassen zu wollen von ihrer Idee, dass man hier einer ganz besonderen kriminellen Vereinigung auf der Spur wäre, so ausgefuchst, dass selbst acht Jahre teils illegale Kommunikationsüberwachung einfach keinen belastbaren Hinweis ergeben, dass die überwachten Mitglieder von Chemie Leipzig, Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte in irgendeiner Weise Kriminelles miteinander planten.

Seit acht Jahren erlebt Henry A. deswegen nun einen Albtraum, der am 28. April einen neuen Höhepunkt fand: Da standen auf einmal Beamte des LKA vor seiner Wohnungstür und starteten eine 14-stündige Wohnungsdurchsuchung allein auf der Vermutung basierend, er könnte am 1. September 2019 dabei gewesen sein, als Anhänger des 1. FC Lok Leipzig in Neukieritzsch mit Pyrotechnik angegriffen wurden. Entsprechend hoch hängte dann auch die Polizei ihre Meldung für den 28. April: Landfriedensbruch.

Michael Freitag erzählt akribisch auch anhand des Aktenmaterials, wie sich das medial unter Dauerbeschuss befindliche LKA geradezu darin verbissen hat, aus Henry A. einen Gewalttäter zu konstruieren – auch mit Begründungen zum Durchsuchungsbeschluss, die nicht mal ansatzweise belastbar sind.

So ganz nebenbei wird also auch der schon lange desolate Zustand von LKA und Justiz sichtbar, wo die einen selbst die simpelsten Grundlagen des Datenschutzes einfach ignorieren und die anderen – möglicherweise aus Überlastung – die Durchsuchungswünsche einer sich verselbstständigten SOKO Linx einfach durchwinken. Motto: Wird schon was dran sein. Und auch die Staatsanwaltschaft scheint geradezu fixiert darauf, hier einer Szene habhaft werden zu können, gegen die die Ermittlungserfolge seit Jahren sehr überschaubar sind.

Und das wieder erinnert an Zeiten, in denen das ganze Land darüber diskutiert hat, dass die sächsischen Ermittler augenscheinlich alle Augen zudrücken, wenn es um Aufklärungen der rechtsextremen Netzwerke in Sachsen geht. Höhepunkt war hier ja das offenkundig gewordene Versagen bei der Ausermittlung des in Zwickau untergetauchten „NSU“. Das sollte sich ja ändern, versprach auch der sächsische Innenminister. Also musste er – vom Landtag genötigt – die schon aufgelöste SOKO Rex wieder mit Leben erfüllen.

Was umgehend von einer Gründung einer SOKO Linx gefolgt wurde, denn in Sachsen kennt man nur dieses Klippklapp: Bevor man ernsthaft die rechtsextremen Netzwerke ausermittelt und die Seriengewalttäter dort endlich hinter Schloss und Riegel bringt, will man erst mal ein paar linke Terroristen fangen. Egal, mit welche Methoden.

Die neue Leipziger Zeitung (LZ) Nr. 91, VÖ 28.05.2021
Die neue Leipziger Zeitung (LZ) Nr. 91, VÖ 28.05.2021

Nicht mal ein öffentlicher Skandal – wie er 2017 und 2018 öffentlich war – hat dieses Denken augenscheinlich beendet.

Und so ganz am Rande taucht natürlich die Frage auf: Wer sind eigentlich die Tippgeber und „Zeugen“ für die immer neuen Vorstöße des LKA gegen immer wieder denselben Personenkreis rund um Chemie Leipzig? Ein Verdacht, der ja nach dem geradezu postwendend erscheinenden Bericht im rechten Magazin „Compact“ aufgetaucht ist: Wer hat den Bericht über die Durchsuchung binnen weniger Stunden derart detailliert an das „Compact“-Magazin durchgestochen?

Natürlich bleiben nach den ersten Befunden noch jede Menge Fragen, denn wirklich auskunftsfreudig sind sächsische Behörden nicht, egal, wie detailliert die Anfragen der Journalisten sind. Transparenz ist nicht wirklich ihre Stärke. Und Datenschutz auch nicht, wie der Sächsische Datenschutzbeauftragte ja schon einmal angemahnt hat.

Da steht er nun …

Da passt es schon, wenn Jens-Uwe Jopp diesmal wieder aus seinem Lehrerleben erzählt und dem Versuch seiner Schüler, irgendwie Fausts Nacht-Monolog zu knacken, in dem ja auch dieser schöne, viel zitierte Satz steht: „Da steh’ ich nun, ich armer Tor / Und bin so klug als wie zuvor!“ Ja, wie lebt, liebt und lernt man in der Pandemie? Die Theater sind dicht, „Faust“ gibt es nur aus der Konserve. Und mit großer Verve vor der ganzen Schule in die Faust-Rolle schlüpfen geht auch nicht.

Eine reparaturbedürftige Gesellschaft?

Auf jeden Fall. Das thematisieren zum Beispiel in dieser Ausgabe Frank Willberg in „Nachhaltig reparieren“, David Gray in „Mate-Tee in Brüssel“ (worin es um bessere Bürgerbeteiligung geht), Antonia Weber in „Die Spitze des Eisbergs“ (worin es um den Umgang mit von Neonazis genutzten Immobilien geht) und Antonia Weber, Luise Mosig und René Loch auf einer Doppelseite über die kommende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

Dass die Pandemie nicht nur in Deutschland gelöst werden kann, thematisiert Antonia Weber in einem Interview mit Anja Mehnert-Theuerkauf. In „Der lange Schatten des Kaiserreichs“ bespricht Jens-Uwe Jopp nicht nur das Buch von Eckart Conze, sondern erklärt auch, warum sich unsere heutigen Rechtsausleger so sehr nach einem Reich zurücksehnen und welche untertänigste Haltung dahintersteckt, wenn sie permanent die Demokratie schlechtreden.

Jan Kaefer erzählt von einem neuen Sportradio aus Leipzig, Lucas Böhme nimmt den derzeit erst recht komplizierten Abnabelungsprozess junger Menschen von ihren Eltern unter die Lupe und Olav Amende versucht in „Für andere sprechen, mit anderen sprechen“ zu erkunden, warum sich die Linken derzeit so heftig über Identitätspolitik in die Wolle kriegen. Natürlich als Essay, denn das Sprechen von anderen und über andere ist immer auch ein Versuch, den eigenen Bergfried zu verlassen und Brücken zu schlagen.

Aber spätestens beim Ausloten des Gemeinsamen und des Trennenden wird klar: Da muss man Farbe bekennen und Rücksicht nehmen. Da wird die Welt anspruchsvoll und vielschichtig. Kein leichtes Unterfangen – aber der notwendige Beginn, überhaupt zu begreifen, dass selbst die gewohnte Eigensicht ein seltsames Konstrukt ist.

So wie bei Faust in seinem Nacht-Monolog, den man auch unter diesem Aspekt lesen kann.

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