Frag die Leute, die Ahnung haben von ihrem Job und wissen, was sie tun. Ist eigentlich ganz einfach. Es gibt sie tatsächlich. Es sind aber selten die geltungssüchtigen Männchen, die immer an die Mikrofone drängen. Es sind die, die im Hintergrund den Laden am Laufen halten, ihre Arbeit machen und niemals schreien, dass sie jetzt auch mal alle Aufmerksamkeit wollen. Man kommt ein bisschen ins Grübeln über die moderne Mannheit, wenn man sich durch die frisch erschienene „Leipziger Zeitung“ blättert.
Und das liegt nicht an Ulrike Gastmanns kesser Kolumne, mit der die Zeitung wie gewohnt endet und in der sie sich über Kaffee und Männer ihre Gedanken macht. Männer, die Ahnung haben von einem richtigen Kaffee, und solchen, die mit ihren psychischem Störungen die Chefetagen und Parlamente besetzen.
Sie sehen: In mir sprießt ein zynischer Freigeist, der sich jedes Mal bannig darüber freut, dass wir so pointiert schreibende Autorinnen als Mitstreiterinnen für die LZ haben. Und Ulrike Gastmann beschäftigt sich ja schon länger mit diesen geplagten Weltmitbewohnern, die es einfach nicht auf die Reihe bekommen, dass das Zeitalter der Knebelbärte, gebügelten Reiterhosen und der markigen Prachtdödelei zu Ende ist.
Endgültig zu Ende ist, auch wenn es noch die üblichen Nachwehen und Jammertiraden gibt von Hosen-, Schlips- und Aktenkofferträgern, die partout nicht auf die Reihe kriegen, dass Frauen mindestens genauso talentiert und befähigt sind. Von andersliebenden Menschen und andersfarbigen Zeitgenossen ganz zu schweigen. Dass eine weiße Haut, Übergewicht und Kurzatmigkeit eben keine Zeichen mehr besonderer Auserwähltheit sind, sondern auf einmal Dinge zählen wie:
– Konfliktfähigkeit
– Bildung
– Lebensklugheit
– Problemlösungskompetenz
– Teamfähigkeit
– Respekt
– Veränderungsbereitschaft
– Lernbereitschaft
– usw.
Ich führe das hier nicht weiter aus. Deswegen haben ja einige dieser grämlichst Frustrierten solche Probleme noch zu verstehen, warum jetzt ihre alten Auto-Prestige-und-Traditions-Themen niemanden mehr wirklich interessieren. Jedenfalls niemanden, der jünger als 30 und bei klarem Verstand ist. Weshalb Leipzig nun auf einmal über lauter Themen spricht, die völlig verquer liegen zum Denkhorizont der alten Männer – darüber zum Beispiel, dass Straßenbenennungen mitnichten historische Zeitzeugnisse sind, sondern Machtdemonstrationen.
Wie besoffen muss man eigentlich sein, das nicht sehen zu wollen?
Sehr anschaulich erzählt das in dieser Ausgabe Pia Benthin: „Gedenken ist Macht“. Sie ist auch mit Claudia Rauhut und Linda Schädlich losgezogen auf den von der AG Postkolonial entwickelten Stadtrundgang zur kolonialen Vergangenheit Leipzigs.
Dass der Stadtrat in drei Sitzungen im Juli Entscheidungen getroffen hat, die in den zehn Jahren zuvor undenkbar waren, darüber haben wir ja online schon berichtet. Auf eine Doppelseite in der Zeitung fassen wir das Wesentliche zum Klimanotstand-Sofortprogramm, Auwaldkonzept, Radverkehr und Clubkultur noch einmal zusammen.
Die Clubkultur ist ja durch Corona in schwerste Nöte gekommen. Aber diesmal dominiert Corona im Blatt nicht, auch wenn uns die Pandemie noch lange begleiten wird und die Stadt zusätzlich verändern wird – zusätzlich zur Verkehrs- und Energiewende. Es sind die deutschen Kommunen, die den Wandel gestalten müssen – auch wenn Corona ziemlich deutlich gemacht hat, dass sie eigentlich das Geld dafür nicht haben.
Wohin das Geld fließt und warum die alten, gut gefütterten Herren seit Jahren dafür sorgen, dass es falsch fließt – darüber schreibt David Gray in seiner Kolumne „Jump, you Fuckers“. Aber die alten Herren jumpen leider nicht. Denn wo sie kraftmeiern, verstecken sie ihre tiefverwurzelte Angst vor den anderen Herren mit Übergewicht. Oh ja, sie wollen geliebt werden, wie der derzeitige Ober-Dodo Donald gerade stoßseufzte. Aber nicht von allen und jedem, nur von genauso inkompetenten und nach Macht gierenden Männchen mit Bluthochdruck und Verdauungsstörungen.
Die ganz normalen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten waren ihnen immer egal. So tickt nun einmal Patriarchat. Und Olav Amende macht in seinem Interview mit Diana Wesser, die in Leipzig Hörspaziergänge anbietet und das Festival „Wegwohin“ mitorganisiert, schön sichtbar, was mit einer dagebliebenen Bevölkerung passiert, wenn Alpha-Männchen die Politik vergurken. So, wie das auch ab 1990 wieder passiert ist. Die „Treuhand“ ist nur das bunte Label für Männerpolitik, die lieber anderen Alphamännchen imponieren will, als den Leuten, die das Gewurstel dann ausbaden müssen.
Mit dem Leipziger Fußverkehrsverantwortlichen Friedemann Goerl interviewt Marko Hofmann auch mal einen Mann, der sich um eins dieser Softie-Themen kümmert, die die dicken alten Männer immer nicht interessiert haben: die Leipziger Fußwege, die in der Vergangenheit immer so gebaut wurden, dass sie just da abrupt und steil endeten, wo das Reich der (Über-)Motorisierten begann. Und beginnt. Er ist ja erst seit 2018 im Amt, vom Stadtrat implementiert, weil nicht nur den älteren Stadträt/-innen immer klarer wurde, wie boshaft die bisher praktizierte Autopolitik gegenüber allen schwächeren Verkehrsteilnehmern war.
Die eigentlich immer die Mehrheit waren, aber stets wie Störenfriede behandelt wurden und werden.
Warum so emotional?
Weil die Diskussionen der Gegenwart eben auch sichtbar machen, wie kindisch alle diese alten Positionen immer waren, unverantwortlich zumeist auch. Und wie Jens-Uwe Jopp in seiner leicht pädagogischen Kolumne anmerkt: unreif. Als Lehrer weiß er das. Er hat ja das Glück, jene Schülergenerationen zu erleben, die jetzt mitten in Klima- und Coronakrise ihren Abschluss gemacht haben und die bei ihren öffentliche Auftritten allesamt ernster und reifer wirken als die Herren Amtsbewerber in höheren politischen Positionen, die etwas ganz Wichtiges völlig vergessen haben – oder auch nie wussten. Etwas, was Jopp mit Vernunft und Augenmaß beschreibt, Mut zur Nähe und Motivation, für das, was dringend getan werden muss, auch etwas zu wagen.
So ein bisschen wie Sabine Mehnert, die Marko Hofmann zu ihren Radreisen befragt hat, Radreisen in Länder, in die man landläufig nicht reist, weil einem die großen, von Männern gemachten Medien immerzu einbläuen, es seien Schurkenstaaten.
Aber wer nie selbst hingefahren ist, weiß darüber nichts. Der hat bestenfalls fremder Leute Bilder und Vorurteile im Kopf. Reisen macht menschlicher – zumindest, wenn man auf dem Rad unterwegs ist und wirklich den Leuten begegnet, die da wohnen.
Oder sich selbst, wie Jens-Uwe Jopp beim Lesen von John Streleckys Buch „Das Café am Rande der Welt“ auffällt.
Denn wer sich selbst nicht sucht und sich fragt, was einen wirklich glücklich macht, wie will der überhaupt irgendetwas Belangvolles über andere Menschen sagen?
Und bei diesem Anriss lasse ich es. Sonst erzähle ich die ganze Zeitung nach – vom Slacklinen überm Kanal über die drohende Heimatlosigkeit der Icefighters bis zu den neuen Kultur-Wagnissen im Leipziger Osten. Selber lesen macht nachdenklich. Viel Spaß dabei.
Die neue „Leipziger Zeitung“ (VÖ 31.07.2020) liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Alle haben wieder geöffnet – besonders die Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Oder die LZ einfach einfach abonnieren und zukünftig direkt im Briefkasten vorfinden.
Keine Kommentare bisher
Wer an der Macht ist bekommt halt nichts mehr mit. Das war beim Adel so, bei den Kommunisten (den dazwischen lassen wir lieber ganz weg) und in der Demokratie ist es genau so. Kleben an ihren Posten und merken nicht was um sich rum passiert.
Das war so, ist so und wird wohl so bleiben. Ist halt die Natur des Menschen.