Vielleicht hat es über das „neue“ Abonnenten-Modell im Netz diesen einen Tag, diesen PR-Gau der LVZ am 5. Dezember 2019 gebraucht, um auch bei uns, der Leipziger Zeitung und L-IZ.de, mal wieder ordentlich ins Grübeln zu kommen. Da wird (nicht zum ersten Mal) eine Fliegerbombe in Leipzig entdeckt, Evakuierungen laufen, ein 1.000 Meter umfassender Sperrkreis wird errichtet und die LVZ macht einen Liveticker gegen Geld (Paywall) dazu. Anschließend rechtfertigt sich Chefredakteur Jan Emendörfer, schlägt gar vor, die Leser mögen doch zukünftig unentgeltlich selbst ausschwärmen und für die LVZ (mit)berichten.
Bei der L-IZ.de gab es dieses Mal keinen – sonst stets offenen – Online-Livebericht. Könnte es also um mehr gehen, als eine LVZ auf PR-Abwegen oder Leserbeschimpfung?
Im Gegensatz zu unzähligen vorherigen Vorfällen der letzten 15 Jahre blieben wir im Büro. Anders noch, als es kurz nach Mitternacht an der Prager Straße brannte und explodierte, eine weitere Fliegerbombe in der Pfaffendorfer Straße für nächtliche Evakuierungen sorgte, als Streiks bei der LVZ-Druckerei losbrachen (und wir ganz allein vor Ort waren), unzählige Fridays-Demonstrationen, Klimastreiks und Dorfrettungen in Sachsen und andere Demonstrationen in Leipzig stattfanden.
Auch als ein junger kurdischer Mitmensch aus dem Leipziger Osten bei „Nacht und Nebel“ abgeschoben oder Steuerfahndungen auf der Eisenbahnstraße durchgeführt wurden.
Eine unvollständige Aufzählung aus den letzten 12 Monaten.
Dieses Mal nicht. Es fand sich schlicht niemand, der von uns hätte vor Ort sein können und – Informationen und Fotos sammelnd – zwischen Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Sprengstoffexperten kompetent berichten wollte. Über tägliche und monatliche Artikel zum Stadtgeschehen, Sportveranstaltungen, Gerichtsverhandlungen, Liveberichte aus dem Stadtrat und viele andere Orts- und Interviewtermine hinaus, versteht sich.
Natürlich war die Erklärung von LVZ-Chefredakteur Jan Emendörfer, die Leser sollten doch gleich selbst berichten und man müsse auch keine Journalisten mehr vor Ort senden, mehr als falsch. Suggeriert sie doch, dass Leser als Gaffer mit Handykameras und inkompetent in Scharen an Katastrophenorten auftauchen und dann „berichten“ sollen. Und so die Arbeit der Rettungskräfte behindern, wo sich sonst versierte Vollzeit-Journalist/-innen der Situation anpassen und ihre Arbeit machen.
Doch eben diese Kolleg/-innen werden weniger. Es geht also um mehr als nur Abonnements und Konkurrenz der regionalen Zeitungen untereinander. Es geht längst um die Zukunft des lokalen Journalismus – in, für und aus Leipzig.
Das Netz – von einer Idee zum Mensch als Ressource
Das Netz, die Digitalisierung hat schon am Beginn ihres Zeitalters alles verändert – im Guten, wie im scheinbar Schlechten. Wem dieses Bild zu groß erscheint, muss nur einmal beobachten, wie Menschen auf offener Straße in die länglichen Computer in ihren Händen starren. Ferne first, Umgebung second, würde Christian Lindner wohl sagen, die ersten Digitalisierungskrankheiten sind bereits auf dem Weg (Bewegungsarmut, Lese- und Augenschwäche, Unfallopfer).
Doch die zugrunde liegende Idee in den 90ern trug ein Versprechen in sich: die Vernetzung der Welt, freier Austausch, Bildung und Wissenstransfer über alle nationalen und sozialen Grenzen hinweg. Was davon geblieben ist, mag jeder für sich selbst beurteilen, der anfänglichen Freiheit der ersten Webseiten (die Pornoindustrie vornweg) folgten neben Wikipedia, Onlineshops bis 2019 auch jede Menge Medienseiten ohne Bezahlschranke (Paywall).
Wirklich verändert haben das Netz jedoch Geschäftsmodelle wie Amazon (Handel), Apple (Endgeräte und Musikhandel) und Google (Youtube), welche auf pure ökonomische Dominanz ganzer Branchen heute und in der Zukunft abzielen.
Zudem entstanden Netze im Netz (Facebook seit 2004), die es verstanden, einen Schlüssel (Login) an eine eigene scheinbar kostenfreie Welt – zusammengesetzt aus bereits vorher existierenden Netzlösungen wie Chatprogramme, „Gruppen“ (einst freie Foren), eigene Webseiten, Bilder- und Videodienste und vor allem dem Hedonismus des „kleinen Mannes“ (und der Frau) anzubringen.
Das Versprechen der „Vernetzung der Menschen“ ist derzeit bei einem babylonischen Sprachgewitter und sozialer Separierung nebst sich radikalisierender Tendenzen angelangt. Denn wer noch weithin gehört werden will, muss schreien statt argumentieren.
Gleichzeitig brach vor allem mit Facebook und Google auch endgültig die Zeit des „Daten-Goldes“ an, bereits heute hat jeder Nutzer im blauen Netzwerk einen Vermarktungswert. Je nach Kaufkraft und Freigiebigkeit beim Nutzungsverhalten zwischen 5 und 25 Dollar, Tendenz steigend. Durch seinen individuellen Datensatz für Kunden (Käufer der Informationen zu Marktforschung und Manipulationen bei Wahlen) und die von Millionen kleiner und mittlerer Kunden eingespielte Werbung haben die Menschen ein Preisschild erhalten. Facebook als nur einer unter den Größten allein erzielte 2017 einen Umsatz von 41 Milliarden Dollar.
Der Mensch ist dabei, einen reinen Nutzwert als Ressource zu erhalten, während er mit jeder neuen Information über seine Bewegungen im Alltag (Ortungsdienste, lustige Uhren und Bewegungssensoren in den Smartphones sei Dank) gläserner und somit noch verwertbarer für Krankenkassen, Versicherungen, Kreditinstitute etc. wird. Der selbst bestellende Kühlschrank ist also nur der Anfang, automatische Einladungen zum Hausarzt oder zur Begräbnisvorbereitung werden folgen.
Wenn alles gewusst ist, was soll dann Journalismus?
Seit spätestens 2015 ist die Polizei selbst bei jeder Bedrohungslage öffentlicher Lieferant von Informationen geworden. Auf Twitter und Facebook senden die Behörden kontinuierlich und mehr und mehr Informationen, oft deutlich schneller als Pressemitteilungen an die örtlichen Medien. Was soll also noch Berichterstattung vor Ort, wenn eine Bombe gefunden wird oder gar gewalttätige Auseinandersetzungen in den Straßen und auf Demonstrationen stattfinden?
Wer verstanden hat, dass auch die Polizei in Zeiten rechtsextremer Tendenzen in den eigenen Reihen und durchaus möglicher Fehleinschätzungen selbst schnell mal beteiligte „Partei“ (siehe G20-Gipfel), also nicht „Schiedsrichter“ sein kann, darf mit dem Fehlen einer journalistischen Kontrolle nicht zufrieden sein. So wird seit Wochen ein Streit darüber ausgefochten, ob eine linke Spontandemonstration am 10. Oktober 2019 im Leipziger Süden gewaltsam war oder sich die Polizei die Gewalt zur Rechtfertigung des eigenen Handelns selbst erdacht hat.
Das zähe Ringen findet auch statt, weil kein Journalist und keine Journalistin vor Ort waren – es gibt keine dritte Sicht mehr. Und die Zahl der Anlässe ohne lokale Beobachter der Presse steigt kontinuierlich, oft genug ist nur noch ein Fotograf vor Ort, wie beispielsweise beim Baustellenbrand an der Prager Straße oder ein L-IZ.de-Reporter steht ganz allein beim nächtlichen Streik an der LVZ-Druckerei.
Bezahlschranken als Selbstverteidigung?
Jan Emendörfer wollte also provozieren, was durchaus auch gelang, mit einem drastischen Vorschlag. Ein Stilmittel wie es immer häufiger genutzt wird, um überhaupt noch durchzudringen in einem Netz aus Sensations-Skandal-Geschrei. Und er hatte durchaus Erfolg: Selbst der „Flurfunk“, ein Dresdner „Medien-Blog“ mit dahinter agierender regierungsnaher Marketingagentur, half mit beim kleinen Shitstorm. Kollegenschelte ist da übrigens immer das Leichteste was geht, beim „Flurfunk“ noch mit dem süffisanten Hinweis auf die Möglichkeiten, wie man selbst gern Geld beim Leser einsammeln möchte.
Denn der reichlich belanglose „Über-Medien-Medien-Bericht“ sei ja frei verfügbar ohne Bezahlschranke.
Bei einer Bombenentschärfung oder ähnlichen Ereignissen – womöglich in der tiefen Nacht – sind diese Kollegen dieses oder anderer Blogs selbst nie auf der Straße. Im Gegenteil: In Leipzig zum Beispiel darf man selbst bei herausragenden Bedrohungen und Ereignissen im Normalfall mit BILD, LVZ und L-IZ.de sowie der DPA-Agentur rechnen. Oder freien Mitarbeitern des MDR.
Der Rest der Kollegen macht bereits heute den „Büro-Job“, welcher meist in der „Wiedergabe“ der DPA-Meldungen besteht (Überschrift originell machen, Einstieg anpassen, fertig) oder Nachbetrachtungen am Rechner (Google-Recherchen, die jeder Leser auch selbst kann).
Ob Emendörfer angesichts der Leser- und Medien-Reaktionen „Hauptsache Aufmerksamkeit“ oder „Mist, verhauen“ gedacht haben mag, braucht ihn die Redaktion der LZ und L-IZ.de nicht anfragen: Die LVZ bezieht gegenüber der L-IZ.de seit 15 Jahren schon immer eigentlich nur indirekt und wenn gezwungenermaßen Stellung. Zum Beispiel, wenn wir uns beim Presserat über einen faktenumgehenden Artikel über die Leipziger AfD in Wahlkämpfen beschweren, sie eine Entgegnung formulieren und wir Recht behalten.
Für alles andere gilt die redaktionsinterne Spaßwette: Wann wird die LVZ-Redaktion uns überhaupt mal beim Namen nennen – in 15 Jahren die L-IZ.de exakt einmal, als man es nicht mehr umgehen konnte. Sogar aus wiedergegebenen DPA-Meldungen wird die „L-IZ.de“ sonst bis heute getilgt, den Namen „Leipziger Zeitung“ scheint man in den Fluren des Peterssteinwegs nur zu flüstern.
Dennoch bleibt – jenseits aller Konkurrenz-Spötteleien – die zum Start des Netzes übersprungene Frage für alle Nutzer von Online-Tageszeitungen, wer eigentlich den Anspruch erheben darf, die Arbeit, die Existenz und das Leben anderer kostenfrei in Form von unbeschränkten Artikeln und Reportagen zu nutzen.
Viele, ja die Mehrheit der Leipziger scheint der Meinung zu sein, dass „ihre Zeitung“ (ganz gleich, welche sie von blau bis rot meinen), gefälligst kostenfrei im Netz zu berichten hat oder wenigstens den Alltagsstandard halten solle. Ganz „Schlaue“ finden schließlich ihre Nachrichten ja heute auf Facebook, da kostet es auch „nichts“. (Wer dann mit diesen „Schlauen“ diskutiert, erlebt ja oft so sein Wunder über die „Quellen“ des „Wissens“).
Was bei der LVZ und nicht nur bei dieser zu den seltsamen Verrenkungen von „wir haben hinter der Paywall noch mehr, noch exklusivere Inhalte – auch mit Statistiken!“ führt. Was gelinde gesagt Unfug ist – in einer Stadt wie Leipzig ist etwas maximal ein paar Stunden „exklusiv“, es geht also um Korrektheit, Zeit für Nachfragen und somit Glaubwürdigkeit in der Berichterstattung.
Dennoch eröffnet sich mit der „LVZ+“-Aktion und die hörbare Abo-Gegenwehr der Leipziger erneut die große Frage: Wie soll es denn nun weitergehen?
Was ist in Zukunft tragfähig?
Man interpretiert den flapsigen Grundton von LVZ-Chefredakteur Jan Emendörfer sicher nicht ganz falsch, wenn man eine gewisse Verzweiflung herausliest. Die Verzweiflung über einen grundlegend gestörten Dialog, aber auch mangelnde Geduld am Peterssteinweg und schwache Online-Aboverkäufe.
Mancher rief da bereits nach einem neuen Chefredakteur, einem, der sich „mit dem Netz auskennt“. Kennt man sich aber im Netz der Nachrichten und deren Herkunft (ja, immer „lokal“) aus, merkt man schnell, wie inkompetent solche Rufer selbst sind. Zumal das neue Modell der LVZ aus Hannover vorgegeben wird, wo man sicherlich den Rechenstab gerade eifrig hin- und herschiebt.
Jubelmeldungen über rasante Abonnentenzahlen im Netz jedenfalls blieben bislang aus.
Gleichzeitig ist die LVZ-Printmacht auf ein Minimum einstiger Größe geschmolzen, das Papier stirbt, vor allem im tagesaktuellen Bereich zugunsten von Online seit Jahren. Im Netz jedoch ist die LVZ längst keine lokale Monopolmacht mehr, was den Gang für das Madsack-Blatt nicht leichter macht. Aber wenigstens hält das Nicht-Monopol im Leipziger Netz die Abopreise für alle niedriger als an anderen Orten.
Sage noch einer, Konkurrenz wäre nicht immer auch etwas für die Verbraucher.
Es dürfte also gerade kein „Abo-Rausch“ bei der LVZ stattfinden – eher ein äußerst schleppender Verlauf der neuen, strikten Online-Verkaufsidee „Inhalt gegen Geld“. Da wir selbst einen Erfahrungsvorsprung vor der LVZ aus dem Jahr 2015 und 2016 haben, kann dieser eigene „Bezahlschranken“-Versuch als Beleg dienen.
Die Paywall-Erfahrungen der Leipziger Internet Zeitung von 2015 & 2016
Vor vier Jahren versuchte die LZ-Schwesterzeitung L-IZ.de mit einer ähnlich drastischen Aktion wie nun die „LVZ +“, mittels vollständig geschlossener Artikel gegen Geld (Paywall) und dem Aufruf, Abonnements abzuschließen, auf die grundlegende Situation auch in der gesamten Branche aufmerksam zu machen. Die Stichworte waren und sind bis heute: solidarisches Modell, indem eine Anzahl von 1.500 Jahresabonnements zu je 99 Euro erreicht werden soll, um für alle die L-IZ.de offen zu halten und auszubauen.
Vor allem geht es dabei – man ahnt es – um den Aufbau einer schlagkräftigen Tagesredaktion in Leipzig.
„Freikäufer“ heißt dieses Modell, da so auch finanziell Schwachen die Informationen (über Streubomben im Viertel?) nicht vorenthalten werden. Und schon damals stand die Frage im Raum, was für diese finanziell und oft auch bildungsfernen Bürger unserer Stadt übrig bliebe, wenn alle Medien außer dem öffentlich/rechtlichen Rundfunk (dank 8 Milliarden Euro Jahresbudget von dieser Frage befreit) die Paywalls hochfahren?
Heute, rund vier Jahre später, ist es endgültig so weit, auch die LVZ hat die Türe zugeschlagen, andere, oft eher auf einige wenige Themengebiete spezialisierte Seiten im Netz betteln längst jeden Leser an, doch ein wenig Geld dazulassen, um wenigstens ein Miniteam finanzieren zu können.
Indem seit 2016 bekannt ist, dass man sich bis heute Abos/Logins teilen und mit dem eigenen Kauf sogar dafür sorgen kann, dass es eigentlich keine Paywall auf der L-IZ.de gibt, existiert in Leipzig und Sachsen bereits ein soziales und besseres Modell als so manche „Gib mal 50 Cent“-Bettelei.
Oder eben „harte Paywall“-Modelle wie bei der LVZ mit geschlossenen Artikeln selbst bei wirklich bedrohlichen Situationen.
Vielleicht ahnen Sie schon, wie es mit der „harten Paywall“ 2016 ausging?
Die Redaktion der L-IZ.de verfasste 2016 zum Versuch der „harten Paywall“ unzählige Artikel, rechnete den Bedarf (1.500 Abonnements) und somit die Kalkulationen offen vor, reagierte mit weiteren Artikeln auf Einwände, suchte den Dialog und kämpfte um eine nachhaltige Zukunft des lokalen Journalismus im Netz.
Offen und transparent stehen seither 148.500 Euro (brutto) als Ziel im Raum, um eine echte Leipziger Tageszeitung mit guter Qualität und Biss im Netz zu gewährleisten. Der „Rest“ soll weiterhin am lokalen und regionalen Werbemarkt entstehen. Auch, dass Gelder von den Lesern eine gewisse Unabhängigkeit der Redaktion mit sich bringt, ist seither bekannt.
Redaktionen, die Netzwerke wie Facebook, Youtube, Google und Co. nicht haben und dennoch heute Werbeeinnahmen in der Größenordnung 6 von 8 Milliarden allein am Onlinemarkt Deutschland von den Inhalte produzierenden Medien abziehen. Um den Rest bemühen sich sämtlich private TV-Sender und Spaßkanäle, Trash-Boulevard-Seiten wie BILD und Tag24 bis hin zu den entsprechend ausgleichend notwendigen Satireseiten.
Kritische und wirklich unabhängig agierende Medien – die lokalen und regionalen allen voran – hingegen haben in den vergangenen Jahren eher keine Kunden hinzugewonnen. Was netzweit zu steigenden Problemen und nicht zuletzt überhaupt erst zu den Abomodellen führte.
Zum Beispiel ließen 2019 nahezu alle werbenden Parteien zur Landtagswahl in Sachsen im Onlinebereich ihre Haupt-Budgets in den „sozialen Medien“ (Facebook first ;-). Was zu solchen „Schweinefleisch“-Geschichten führte, wie sie nur in rechten Hohl-Blasen entstehen können. Für wie manipulierbar dabei die Parteien selbst Menschen auch bei politischen (Kauf)Entscheidungen halten, ist eine andere Geschichte.
Der Wahlkampf in Sachsen zahlte jedenfalls bei Mark Zuckerbergs Truppe (irgendwo in Irland oder anderen Niedrigsteuer-Oasen) ein, die Wahlkampfkostenerstattung trug der deutsche Steuerzahler. Nur ein Beispiel von vielen, weil es natürlich in anderen Bereichen oder Branchen noch weitaus schlimmer steht.
Abbruch der „harten L-IZ-Paywall“ 2016
Zuerst äußerten sich die verbliebenen lokalen und regionalen Werbe-Kooperationspartner der L-IZ.de gegenüber fragend; wie es denn mit der Reichweite, die sie für ihre Werbung brauchen, aussähe. Freundliche Gespräche mit angenehmen Menschen, aber gefährliche für den Fortbestand der Redaktion. Hier darf man Themen ahnen, die gerade auch die gute alte Tante LVZ am Peterssteinweg hat. Denn noch nie ist in der noch kurzen Geschichte des Netzes beim Paywall-Einschalten, aber auch bei Preiserhöhungen im Printbereich anschließend die Leser-Reichweite gestiegen.
Binnen zweier Monate fiel 2016 die Kurve der ersten Abonnements stark ab, wer sich entscheiden wollte, hatte sich entschieden. Die Reichweite hatte sich von monatlichen 560.000 Visits (Besuchen) bei rund 200.000 Lesern auf 250.000 Besuche und noch etwa 70.000 Leser mehr als halbiert. Die wegbleibenden Leser verschwanden in Facebookgruppen (ein Effekt, der das Problem noch verstärkt), schauten, wo es kostenlose Infos und Geschichten gab und fanden jede Menge. Quatsch und Unsinn inklusive.
So mancher Text der L-IZ.de wurde zudem nach dem Zuklappen 2016 durch manche Leser herauskopiert und in die Netzwerke (natürlich nur als Zitate über Dutzende Zeilen 😉 oder gleich komplett in anonym betriebene Foren gestellt. Natürlich im besten Informationsinteresse.
Und die LVZ machte sich hier und da auf den Weg, möglichst jedes Thema wahrzunehmen, welches wir gerade bearbeiteten. Auch so kann man mit mehr Personal die Konkurrenz scheinbar niederhalten, oder? Nein, natürlich nicht Kollegen, es ging natürlich nur um „Vollständigkeit“ in der Berichterstattung.
Mancher L-IZ.de-Nutzer schimpfte wie ein Rohrspatz (vor allem via Facebook), nannte das Ansinnen „gierig“ angesichts der hochgefahrenen Bezahl-Mauer, sah sich um seine jahrelang kostenlosen Informationen betrogen. Und forderte also auch weiterhin ohne Beitrag von sich, man möge für ihn oder sie weiterarbeiten. (Also für wen dann, für die gute Laune von Werbekunden?).
Eine interessante Parallele zur Fliegerbombe der LVZ übrigens, es war die gleiche Forderung wie die nach einem kostenfreien Liveticker. Wäre 2019 jemand von der L-IZ.de losgegangen, hätte es ihn kostenfrei gegeben.
Zudem wurden auf einmal auch von treuen Dauer-Lesern plötzlich „Qualitätsfragen“ ins Feld geführt. Interessant auch dies, die Debatte um die „Qualität“ der LVZ läuft ja gerade, die Töne dabei sind eher ablehnender Natur (wobei man immer bedenken muss, zufriedene Leser sind oft leiser).
Und auch die Preishöhe (99 Euro bei der L-IZ.de im Solidarmodell, rund 119 Euro bei der LVZ aktuell) wurde gern angesprochen. Da wir übrigens verschiedene Finanzmodelle durchprobten, wissen wir heute: Es lag nie an der Höhe des Jahresabos, die Debatten waren stets auch bei kleineren Beträgen die gleichen und Pfennigbeträge trieben die Verwaltungskosten nach oben.
Verkürzt: Es wurde von manchen L-IZ-Nutzern die Forderung aufgestellt, das Angebot müsste ERST noch besser als die 10 Jahre zuvor werden, bis man DANACH ein Abo überlege.
Auch wenn es so derzeit der LVZ ähnlich entgegenschlägt und man den Vergleich zur L-IZ.de verweigern würde, kann man allgemein wohl formulieren: Bei dieser „Argumentation“ dürfte es sich einerseits um die unehrlichste Idee der Mediengeschichte handeln und ist zudem seit Jahrhunderten in der Aesop-Fabel vom Fuchs und den Trauben bestens beschrieben.
Solange etwas ohne eigenen Einsatz erlangbar ist, ist es gut, die Qualität gefällt, die Trauben sind süß. Wird eine (finanzielle) Anstrengung verlangt, sind die Trauben sicherlich sauer, vielleicht gar vergiftet? Ein Leser fühlte sich 2016 gar „erpresst“, nun für seine L-IZ.de Geld bezahlen zu müssen. Und wer lässt sich schon gern erpressen?
Also diese Redaktion auch nicht.
Nach drei Monaten hatten sich nach der Aktion 2016 aus über einer halben Million monatlicher Besucher etwas über 250 Menschen entschieden, die Arbeit der L-IZ.de-Redaktion mit einem Abonnement zu unterstützen (zum Glück kamen in den folgenden Jahren noch ein paar hinzu, sonst gäbe es die L-IZ.de heute nicht mehr).
Die Fassungslosigkeit darüber, dass einige Leser diesen damaligen Schritt zurück zum nahezu reinen „freecontent“-Angebot (aus der Not eines Verlages ohne Konzern im Rücken) als ihren Sieg über die böse Idee der Paywall verstanden, blieb. Die häufigste, wohlmeinende Antwort: Schulterklopfendes „Ich versteh Euch ja. Abo? Mach ich noch.“
Nein, taten viele von jenen Klopfern auch später, nach der Wieder-Öffnung, nicht. Auch nicht als freiwilligen Leserbeitrag, wie es schon seit damals möglich ist. Denn sie hatten den eigentlichen Gedanken abgelehnt, lasen anschließend wieder auf der L-IZ.de, die Besucherzahl stieg wieder – der Rest war verstehbare Höflichkeit.
Dass es ein Branchenproblem ist, zeigen zudem die intern kolportierten Online-Abo-Zahlen der „Sächsischen Zeitung“ und sicher auch die zukünftigen Angaben der LVZ. Kein sächsisches Regionalmedium wird wohl in absehbarer Zeit über 6.000 bis 7.000 Abos wirklich hinauskommen.
Bis heute ist dieser „Kampf“ nicht ausgestanden, der eine oder andere wichtige Termin wird also weiterhin entfallen müssen und dies, obwohl kein Vollzeit-Journalist der L-IZ.de/LZ deutlich mehr als 900 Euro netto monatlich verdient.
Tragfähige Lösungen ohne Abo- oder Geldmodelle?
Die Einführung einer Gemeinnützigkeitsmöglichkeit für Journalismus seitens des Gesetzgebers wird zwar seit Jahren besprochen, steht aber noch immer aus. So könnte man wenigstens einen gemeinnützigen Journalismus-Verein gründen und auf steuerlich absetzbare Spenden hoffen. Ganz ohne die derzeit existierenden Umgehungsprojekte über „Bildungsarbeit“ oder ähnliches mit klarer Zielsetzung.
Ebenso wird sich wohl auch die sicherlich anfangs gut gemeinte EU-Richtline (unter „Artikel 13“ bekannt) zum besseren Urheberschutz gerade für schreibende Journalisten als wenig sinnvoll erweisen: die sozialen Netzwerke – Facebook vornweg – werden alles versuchen, nichts von ihren Milliardenumsätzen an Journalisten, also die Urheber, abgeben zu müssen. Gleichzeitig saugen sie weiterhin täglich Aufmerksamkeit ab (siehe Aufmerksamkeitsökonomie) und vermarkten diese.
Wenn überhaupt, wird es eine Einigung mit den angeblich „Großen“ wie Springer und Co. geben, die Basisarbeit bleibt auch weiter bei den lokalen Journalist/-innen. Bis heute haben zudem Printerzeugnisse einen Steuervorteil, Online-Zeitungen zahlen die vollen 19 Prozent Mehrwertsteuer (Hinweis d. Red.: Wurde ab 2020 endlich auf 7 Prozent gesenkt). Offenbar gehört die oft (vor allem in Ostdeutschland) via eigenem Partei-Verlag in SPD-Besitz befindliche Printpresse zum „Bildungsangebot“. Onlinezeitungen jedoch nicht – angesichts mancher dieser Holzvernichtungen ohne Inhalt ein weiteres ausgesessenes Problem.
Eine weitere Idee, welche bereits mit dem Entstehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den 50er und 60er Jahren debattiert wurde, wäre ein weiterer denkbarer Weg. Ein Rundfunkbeitrag von zum Beispiel 25 Euro statt derzeit 17,50 und all den sozialen Ausnahmeregeln bei der Bezahlung, könnte einen Anteil von dann 7,50 Euro für freie Online-Medien mit Sitz im Erhebungsgebiet beinhalten.
Durch die Ausschüttung an die Verwertungsgesellschaft der Journalist/-innen (VG Wort) würden höhere Tantiemen unter Messung der Reichweite einzelner Artikel entstehen. Wie schnell da die „Paywalls“ bei vielen Online-Zeitungen wieder unten wären, kann man sich auch als Laie sicher lebhaft vorstellen. Man darf sogar vermuten, dass durch diesen Weg das Image der öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeiträge, dann als Sicherung auch der freien Berichterstattung eher steigen, denn sinken dürfte.
Zumal vor allem die dritten Programme, wie der MDR, sich längst den Vorwurf gefallen lassen müssen, mittels Rundfunkbeiträgen Internetzeitungen und so den regionalen Angeboten Konkurrenz zu machen.
Bis eine oder gar mehrere dieser noch fern liegenden Lösungen nicht existieren, wird das längst existente Siechtum des lokalen Journalismus weitergehen.
Es sei denn, die Bürger Leipzigs erkennen vorher den Wert einer möglichst von Werbekunden unabhängigen Berichterstattung vor Ort. Mit einem Abonnement einer lokalen Zeitung. Auch, um zu verhindern, dass der längst begonnene Aufkauf von Zeitungen durch Menschen wie Amazon-Gründer Jeff Bezos („Washington Post“), der Ferrari-Eigner („La Stampa“) und Holger Friedrich („Berliner Zeitung“) weitergeht.
Und damit eine Zeit anbricht, in der sich Reiche eigene Zeitungen leisten, die eher keinen Blick mehr „von unten“ auf die Gesellschaft haben und sich so aus dem „Immunsystem der Demokratie“ verabschieden werden.
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Hinweis: Am 11. Dezember 2019 haben wir nach einem Telefonat eine Einladungsidee an einen der Sprecher der „Initiative Leipzig + Kultur e. V.“, namentlich Falk Elstermann (NaTo Leipzig e.V.) in vorheriger Absprache gesandt. Darin steht, dass es einer gemeinsamen, öffentlichen Debatte zwischen gewichtigen Vertreter/-innen der LVZ, L-IZ.de und Kreuzer bedarf, welche von der Initiative eingeladen und moderiert werden sollte. Und worum es aus unserer Sicht dabei geht.
Themen: Die Zukunft des lokalen Journalismus in Leipzig. Und die Frage, wie wir alle (Medien, Leser, Macher) darin solidarischer vor allem im Interesse der wenigen noch wirklich vor Ort für 600.000 Einwohner Leipzigs agierenden Journalisten handeln können. Und was von Journalismus zu erwarten ist.
Da man sich seit sehr vielen Jahren kennt, gehen wir davon aus, dass die „Initiative Leipzig + Kultur“ alles versuchen wird, die entscheidenden Leute der einzelnen Medien zum Beginn des Jahres 2020 zu einer offenen und öffentlichen Debatte auf ein Podium zu laden. Und die genannte Medien ein ebensolches Interesse haben, sich der Diskussion mit ihren Lesern erstmals gemeinsam zu stellen.
Wir stehen dazu jederzeit bereit, bringen jede Menge Leser/-innen mit. Und übertragen die Debatte gern (auf unsere Kosten) mit allen eingeladenen Medien gemeinsam live im Netz. Ohne „LVZ+“-Modus oder „Freikäufer“-Modell der L-IZ.de oder „Steady“-Einschränkungen des Kreuzers – aka Paywall – versteht sich.
Bis heute, Stand 09. Februar 2021 ist auf diese Initiative hin nach anfänglichem Interesse keine Reaktion erfolgt.
Wertschätzung auf die Leipziger Art: Leipzigs Freie Szene glaubt, die LVZ mit Forderungen unter Druck setzen zu können + Vorschlag
Leipzigs Freie Szene glaubt, die LVZ mit Forderungen unter Druck setzen zu können + Vorschlag
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. November 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 400 Abonnenten.
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Es gibt 3 Kommentare
🙂 Danke an beide. Euer M.F.
Lieb L-IZ !
Ich bin schon länger Abonnent und finde euren Anspruch auf Bezahlung für Eure Arbeit gerechtfertigt.
Für meine Tageszeitung in Papierform bezahle ich ja auch.
Ich bedanke mich für die letzten Jahre und wünsche Euch für das neue Jahr weiterhin Erfolg und ab und an ein bißchen Freude und Anerkennung.
Th. Cämmerer
Mensch Leute,
macht bitte weiter! Haltet durch!
Ich mach Werbung für Euch, wo es geht. Nach dem Artikel noch nachdrücklicher.
Ihr seid gut und unverzichtbar.
Mit vorweihnachtlichen Grüßen
Ecke