Seit ein paar Wochen tobt ein veritabler Streit. Zuerst listete der Leipziger Lebensmiteilfachhรคndler Biomare die Produkte der Spreewรคlder Hirsemรผhle aus โ€“ nicht weil sie den รถkologische Standards des Unternehmens nicht genรผgten, sondern weil der Inhaber der Spreewรคlder Hirsemรผhle ein bekannter AfD-Mann ist. Und Biomare begrรผndete die Auslistung auch รถffentlich. Erstaunlicherweise bringt es jetzt gerade die wirtschaftsnahe F.A.Z. fertig, ihm dabei indirekt Scheinheiligkeit zu unterstellen.

Obwohl die Botschaft eindeutig war und der Briefwechsel mit dem kampflustigen AfD-Mann auf der Homepage von Biomare auch รถffentlich einsehbar ist. Malte Reupert, Inhaber von Biomare, begrรผndet die Auslistung nicht einmal vordergrรผndig mit der AfD-Mitgliedschaft von Jan Plessow, sondern mit der offiziell verkรผndeten AfD-Haltung, den Klimawandel zu leugnen.

Das geht nicht zusammen. Man kann nicht fรผr eine รถkologische Landwirtschaft sein und gleichzeitig den Klimawandel leugnen und auch noch programmatisch gegen die Energiewende kรคmpfen. Das passte nicht nur fรผr Biomare nicht zusammen, sondern auch fรผr Alnatura, Dennree, Biocompany, Weiling und andere Biolรคden, die die Produkte des Brandenburger AfD-Mannes ebenfalls auslisteten.

โ€žVor zwei Monaten haben wir uns entschlossen, ein Produkt auszulisten, dessen Hersteller sich als AfD-Funktionรคr engagiert. Zuvor hatten wir ihn angeschrieben und ihn damit konfrontiert, dass sein politisches Engagement in der Partei der Leugner des menschengemachten Klimawandels dem Kernanliegen der Biobranche entgegenstehtโ€œ, formulierte es Biomare Anfang des Monats in einer Pressemitteilung zu diesem lรคngst auch in den โ€žsocial mediaโ€œ heftig gefรผhrten Streit. โ€žSeine Antwort spricht fรผr sich selbst und hat letztlich zur Auslistung gefรผhrt.โ€œ

Auf diesen Streit ging nun Hannah Bethge in einem Kommentar fรผr die F.A.Z. unter dem schon erstaunlichen Titel โ€žGesinnungstestโ€œ ein, obwohl sie im Text dann die eigentlichen Grรผnde tatsรคchlich richtig referiert.

Aber dieser Artikel wandert nicht ohne Grund in unsere Reihe โ€žMedien machen in Fakenews-Zeitenโ€œ. Denn am entscheidenden Punkt nimmt Hannah Bethge eine seltsame Kurve.

โ€žAls Vertreter der vermeintlichen ,Lรผgenpresseโ€˜, deren genauere Lektรผre Plessow nachdrรผcklich empfohlen sei, kรถnnen wir dazu nur sagen: Das wรผssten wir auch gern. Bedarf der legitime Erwerb eines Produkts jetzt immer eines Gesinnungstests der Konsumenten und Produzenten? Dann dรผrfte so mancher รผberrascht sein von der hohen Durchfallquote, die wir schon jetzt prognostizieren kรถnnen. Denn wenn Widersprรผche zum neuen Ausschlusskriterium erhoben wรผrden, stรผnden die eigenen Anhรคnger noch dรผmmer da als der schnell identifizierte Feind aus dem Umkreis der AfD.โ€œ

Solche Volten erlebt man in den Kommentaren konservativer Zeitungen des ร–fteren, ohne einen ersichtlichen Grund dafรผr erkennen zu kรถnnen, warum jetzt auf einmal die eigentliche Argumentationsbasis verlassen wird.

Eben ging es noch um den Hรคndler Biomare, der fรผr sich selbst beschlossen hat, mit dem Hersteller Spreewรคlder Hirsemรผhle keinen Handel mehr treiben zu wollen. Und auf einmal lรถst sich das Subjekt in einem Wรถrterbrei auf, in dem es auf einmal um die Konsumenten selbst gehen dรผrfte. Denen es wahrscheinlich wirklich egal wรคre, wenn sie nicht wรผssten, wie der Inhaber der Spreewรคlder Hirsemรผhle tickt. Jetzt wissen sie es. Und wenn sie das Produkt wirklich kaufen wollen, gehen sie woanders einkaufen.

Die eigentliche Frage, die Hannah Bethge hier klammheimlich umschifft: Dรผrfen Unternehmer in eigener Entscheidung auch ihre Geschรคftsbeziehungen zu Leuten abbrechen, deren Einstellung (zum Beispiel zu Klimawandel und Artensterben) sie fรผr inakzeptabel halten?

Ich denke: Ja. Das ist ihr gutes Recht.

Und: Dรผrfen sie die Entscheidung und deren Begrรผndung auch รถffentlich machen?

Das ist Meinungsfreiheit: Ein klares Ja.

Auch wenn viele Unternehmer gern so tun, als wรคren sie unpolitisch. Die meisten sind sehr wohl politisch, wรคhlen ihre politischen Freunde aber gern nach Nรผtzlichkeit aus oder nach dem, was die konservativen Medien so gern als โ€žWirtschaftskompetenzโ€œ verkaufen.

Aber es geht ja in dem Kommentar gar nicht darum, ob Biomare das darf oder nicht.

Denn Hannah Bethge dreht noch eine seltsame Pirouette mehr. Und zwar an dieser Stelle vรถllig ohne รœbergang. Es wirkt wie eine kalte Dusche: โ€žWer mit dem SUV zum Unverpacktladen fรคhrt, auf Bioprodukte schwรถrt, aber auf die zwei Billigflรผge im Jahr nicht verzichten will, von Nachhaltigkeit redet und alle zwei Jahre ein neues iPhone kauft, sollte vielleicht erst einmal die eigenen Widersprรผche auflรถsen, bevor er mit erhobenem Zeigefinger die ideologische Unvertrรคglichkeit eines Unternehmers mit den eigenen Werten anprangert.โ€œ

Ich denke mal: Mehr Vorurteile lassen sich kaum in so wenige Zeilen stopfen. Vorurteile nicht mal gegen den Hรคndler, der hier klare politische Grenzen gezogen hat, sondern gegen die Leute, von denen augenscheinlich eine Menge Kommentatoren ganz klare Vorstellungen haben: Die Menschen, die in Bio-Lรคden einkaufen.

Das Argument erinnert รผbrigens an ein anderes, das ganz rechte Medien gern รผber Grรผnen-Wรคhler verbreiten. Motto: Grรผnen-Wรคhler fahren hรคufiger SUV als alle anderen, es sei nun mal eine reiche Klientel, die sich Bio auch leisten kรถnne.

Mit dem Argument hat sich der โ€žSpiegelโ€œ im Juni einmal beschรคftigt und 1.800 Bรผrger nach Parteiprรคferenz und SUV-Besitz gefragt.

Ergebnis: โ€ž35,6 Prozent der SUV-Fahrer wรคhlen CDU/CSU, 1,33 mal mehr als in der Gesamtbevรถlkerung/auch Anhรคnger der AfD (16 Prozent) und der FDP (11,4 Prozent) sind unter den SUV-Fahrern 1,24 beziehungsweise 1,37 mal stรคrker vertreten als in der Gesamtbevรถlkerung (der Wert eins entspricht der Verteilung in der Gesamtbevรถlkerung). Wรคhler der Grรผnen sind in der Gruppe der SUV-Fahrer mit 16,6 Prozent dagegen im Vergleich zur Gesamtbevรถlkerung unterreprรคsentiert (0,72 mal so oft).โ€œ

Das sind jetzt die Wรคhler. Was ja nicht heiรŸt, dass Grรผne hรคufiger im Bioladen einkaufen als etwa CDU- oder AfD-Wรคhler. Eine Studie dazu hab ich noch nicht gelesen. Aber eins weiรŸ ich: Was Hannah Bethge auflistet, sind lauter handfeste Vorurteile, die suggerieren, dass die Kunden in Biolรคden einfach nicht bereit sind, ihre Lebensweise zu hinterfragen. Sozusagen Wasser predigen und selber (Bio-)Wein trinken.

Womit eigentlich der Anlass der ganzen Fehde einfach ins Gegenteil gekrempelt wurde, denn damit begann ja alles, die ganze Debatte von Biomare, das mit seiner Auslistung auch den eigenen Kunden gegenรผber Position bezogen hat. Genau das aber will der Kommentar wieder verwรคssern und postuliert gar noch, dass โ€žam Ende seiner Tiradenโ€œ (der ร„uรŸerung von Jan Plessing) das โ€žeinzige Argumentโ€œ kommt, โ€žum das es hier tatsรคchlich gehtโ€œ: โ€žWas ein Engagement eines Menschen in einer Partei mit dem Produkt zu tun hat, das in seinem Unternehmen hergestellt wird, hรคtte ich gerne noch mal nรคher erklรคrt bekommen.โ€œ

Tut mir leid. Wer bei der AfD so elegant immer die โ€žTiradenโ€œ weglรคsst und sich dann noch rauspickt, was vielleicht Diskussionsgrundlage sein kรถnnte, der akzeptiert auch die Tiraden.

Vielleicht ist es das, was ich an diesem Kommentar so doppelbรถdig finde.

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Wenn es immer nur um Klickzahlen und Leserhasche geht

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