Es sind immer wieder Sätze von Kolleg/-innen in der jeweils neuen „Leipziger Zeitung“ (die Nr. 70 liegt jetzt überall, wo es gute Zeitungen zu kaufen gibt), die so einen kleinen Aha-Moment ergeben, auch wenn die Themen in der Zeitung von uns meist lange vorher schon angedacht und geplant sind. So auch unsere Recherche-Tour in die Erinnerungswelt der DDR. Was davon ist heute noch wirksam? Oder hängt uns die 1990 Abgewickelte immer noch am Hacken?
Das wetterleuchtet natürlich auch in all den Beiträgen zum aktuellen Landtagswahlkampf, die wir in der Zeitung untergebracht haben. Bis hin zu Frank Willbergs Betrachtungen zur Wahlkampf-Plakatästhetik. Am Ende kann er nur den Kopf schütteln, wenn der Rechtsausleger unter den sächsischen Parteien ausgerechnet für Vielfalt wirbt und drei junge Frauen im Dirndl abbildet. Hat sich da jemand im Land geirrt? Oder ist das wirklich die Vorstellung alter, kauziger Männer von Vielfalt?
Aber der Satz, über den ich stolperte, befindet sich in Lucas Böhmes Beitrag „Die DDR (2): ,Walterchens‘ Wirtschaftswunder, ein wenig Wohlstand, Wahnsinnsvisionen“.
Der Satz geht so: „Die im Laufe der sechziger Jahre mehrfach neu aufgelegte Wirtschaftsreform kränkelt am Widerspruch zwischen Effizienzwunsch und Kontrollanspruch der Herrschenden, bleibt letztlich inkonsequent.“
L-IZ-Leser werden dem jüngst in der Besprechung zu Cordia Schlegelmilchs Buch „Eine Stadt erzählt die Wende“ begegnet sein. Auch den Wurzenern war 1990 noch allzu gut bewusst, dass die DDR-Wirtschaft bis 1972 relativ gut funktionierte. Was eben nichts mit dem 1963 beschlossenen „Neues Ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖSPL) zu tun hatte, sondern damit, dass dieser dritte Versuch der SED, die private Wirtschaft zu enteignen und die Wirtschaft immer stärker zentral zu leiten, nicht wirklich funktionierte. Bis 1972 gab es noch hunderte mittelständischer Unternehmen im Osten, die mit Kreativität und Unternehmergeist weiter hochwertige Produkte für den Alltag produzierten.
Bis heute fehlt eindeutig das große Buch zur Analyse der DDR-Wirtschaft. Dafür sind sich die meisten Ökonomen und Statistiker augenscheinlich zu fein. Wahrscheinlich würde man dann sehr deutlich sehen, was die von Erich Honecker 1972 ausgelöste letzte Enteignungswelle für diesen Mittelstand bedeutete. Sie radierte nämlich das Wettbewerbsdenken endgültig aus der Ökonomie der DDR. Ab jetzt wurde nur noch produziert, was die Plankommission in Berlin vorgab, Ressourcen wurden umgelenkt, Selbstständigkeit der Betriebsleiter regelrecht erstickt. Und den Nackenschlag bekam die DDR-Wirtschaft dann 1981 mit der Bildung der Riesen-Kombinate, die überhaupt nicht mehr zu steuern waren.
Als wäre die DDR ein großes Experiment gewesen, mit dem man zeigen wollte was passiert, wenn man menschlichen Ehrgeiz, Wettbewerbsdenken und Eigeninitiative völlig aus dem Wirtschaftsleben entfernt. Genau daran ist die DDR gescheitert und wäre sie auch dann gescheitert, wenn 1989 niemand die Mauer geöffnet hätte.
Und was hat das mit der Gegenwart zu tun?
Dieses Denken ist leider nicht tot. Schon gar nicht in Sachsen. Die Angst vor echtem Wettbewerb sitzt tief. Auch die vor dem politischen Wettbewerb, der immer auch einer um die klügsten wirtschaftlichen Lösungen ist. Und so findet man auch in der Politik der sächsischen Regierung das alte, bürokratische Misstrauen, den von Lucas Böhme erwähnten Kontrollanspruch. Er versteckt sich nur. Niemand wird vortreten und eine zentrale Lenkung der Industriebetriebe in Sachsen fordern.
Aber dieser Kontrollzwang steckt auch im ganz normalen Umgang mit Geld. Geld, von dem eigentlich genug da ist, um Sachsens Kommunen genau die Spielräume zu geben, die sie brauchen, um ihrer Gemeinde endlich wieder so ein Grundgefühl zu geben: „Wir können unsere Probleme aus eigener Kraft lösen.“
Stattdessen stecken hunderte Gemeinden in fast derselben Gefühlslage, wie sie für die letzten DDR-Jahre typisch war: „Es geht nichts mehr.“ Man ist völlig von der Gnade von oben abhängig, wenn das Dorf überhaupt groß genug ist, mal die Aufmerksamkeit der „höheren Instanzen“ auf sich zu ziehen. Ohnmacht hat auch viel mit Geld und finanziellen Handlungsfreiräumen zu tun, mit der Möglichkeit, selbst entscheiden zu können (nicht nur teilzuhaben).
In der DDR wurde das gern mit dem Lenin-Spruch bemäntelt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Ein Spruch, der das Misstrauen impliziert. Und man muss sich nicht lange mit der sächsischen Förderpolitik beschäftigen um zu sehen, wie tief dieses Leninsche Denken in der Verwaltungsbürokratie verankert ist. Jedes einzelne Förderverfahren ist so mit dem offenkundigen Misstrauen in die Antragsteller (in der Regel Städte, Gemeinden, Landkreise …) durchsetzt, dass die Gelder nur mit monatelangen Prüfvorgängen ins Bewilligungsverfahren kommen oder die Hürden so hoch sind, dass die Gelder gar nicht abgerufen werden können.
Da braucht man den jeweiligen Finanz- und Innenministern keine Nähe zu Leninschem Gedankengut unterstellen. Diese Art Denken ist Teil von Machtpolitik. Wer die Bedingungen kontrolliert, unter denen ganz normale Steuergelder dahin fließen, wo sie gebraucht werden, bestimmt über Wohl und Wehe, macht sich Freunde und Unterstützer – oder verärgert sie auch. Geldpolitik ist Machtpolitik. Sie schafft ein Machtgefälle.
Und sie würgt am Ende nicht nur Eigeninitiative ab, sie unterhöhlt auch das Vertrauen der anderen, nämlich derer, die verwaltet und knappgehalten werden.
Deswegen ist das Stichwort Bürgerbeteiligung so wichtig – und wird Bürgerbeteiligung in Sachsen fast nur als Feigenblatt benutzt. Ganz offensichtlich setzt sich das regierungsamtliche Misstrauen fort bis ganz unten – als Misstrauen der Kommunalbehörden in das anarchistische Element Bürger.
Was eben auch zur Folge hat, dass immer mehr Bürger das Gefühl haben, dass sie an ihrer eigenen Demokratie keinen Anteil mehr haben. Denn wohin das Geld fließt, das beschließen viel zu oft diverse Hinterzimmergremien, die irgendwie davon überzeugt sind, dass es ihnen allein zusteht zu entscheiden, für welche Wunschprojekte die Steuergelder ausgegeben werden. Die Meldelisten für die Strukturkommission für den Kohleausstieg waren vollgestopft mit diesen Projekten.
Aber es ist nur ein Satz.
Wir haben ja die DDR-Serie nicht ohne Grund vor dem anstehenden 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution gestartet.
Denn diese Revolution steht ja für etwas Besonderes: den selbstbewusst werdenden Bürger, der sich nicht mehr entmündigen lassen will. Der weiß, dass es ein Grund- und Lebensrecht ist, ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen. Davon handeln verschiedene Geschichten in der neuen Zeitung, auch wenn sie scheinbar von ganz anderen Dingen handeln.
Etwa Konstanze Caysas Interview mit dem Boxtrainer Matthias Eichler.
Oder Marko Hofmanns Interview mit Gerold Bausch von der HTWK („Wir wissen gar nicht, was mit unseren Daten passiert“).
Oder Jens-Uwe Jopps Kolumne über den „Sucher“ Günter Kunert. Was er mit einer Besprechung zu Adornos „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ ergänzt, in der nun einmal auch zur Sprache kommt, wie Menschen in einer Demokratie entmündigt werden können, „denen zwar die Freiheit geschenkt wurde, ihnen aber der Umgang mit derselben weitgehend fremd blieb. Der Neoliberalismus hat nicht wirklich ein Interesse an mündigen Bürgern …“
Denn: Er braucht nur willige Konsumenten. Deswegen sind Besitz, Geld und Status seine Symbole, nicht das verantwortungsvoll selbst gestaltete Leben, der wache, für seine eigenen Bedürfnisse sensible Mensch. Der dann eben von neuen Heilsversprechen nicht zu verführen ist, weil ihm dieses vorgekaute Denken zutiefst zuwider ist.
Und da muss man nicht lange nachdenken: Entmündigung und Bevormundung haben Folgen. Genau die, die derzeit Sachsen in Schieflage bringen.
Aber bevor ich die ganze Zeitung referiere: Selber lesen. Die neue „Leipziger Zeitung“ liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Oder einfach abonnieren und direkt im Briefkasten vorfinden.
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Es geht um die Förderpolitik im Verhältnis zu den Kommunen. Hier sollte klargestellt werden, daß die Kommunen ein selbständiges Rechtssubjekt sind. Vertreten durch die Bürgermeister. Die sich alle naselang auf die verfassungsgemäße Selbständigkeit der Kommunen berufen und sich strikt verbitten, in ihre “Hoheit” einzugreifen. Wobei das nicht wenige Bürgermeister mißzuverstehen scheinen und die “Hoheit” auf sich persönlich beziehen (Köpping, Lantzsch, Jung). Es wird schwierig, geschenkte Gelder ohne Kontrolle zu verpulvern. Das wäre aber die Konsequenz. Weder die Rechtssaufsicht, noch der ausreichende Staat und am allerwenigsten die Bürger hätten und/oder haben einen Einfluß auf die Verwendung. Die angesprochenen Bürgerhaushalte sind doch in Wahrheit nur Placebos.
Dabei wird ebenfalls unterschlagen, daß “die Kommune” eben nicht “die Bürger” sind, auch nicht stellvertretend, sondern oft genug dem Bürger als selbständiges Rechtssubjekt gegenüber steht – im wahrsten Sinne des Wortes. Kommune und Bürger auf eine Ebene zu stellen ist nicht nur Unsinn, es werden schlicht falsche Erwartungen geweckt. Und das ist schlimmer als falsch, denn es enttäuscht unerfüllbares Vertrauen.