LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 65Als die führende Youtube-Managerin Susan Wojcicki Anfang November 2018 mit der Video-Mitteilung an die Öffentlichkeit tritt, im Falle der Verabschiedung der neuen EU-Urheberrichtlinie im Europaparlament würde das Videonetzwerk von Google (Alphabet Inc.) etwa 35 Millionen Youtube-Kanäle abschalten, trifft sie auf eine etwa ein Jahr lang ruhig geführte Debatte. Erste Ergebnisse auf EU-Ebene hatten im Juli 2018 ergeben, die Richtlinie (RL) noch einmal nachzuverhandeln, Proteste gibt es zu dieser Zeit kaum.
Gerade einmal rund 800 Aktivisten hatten sich im August 2018 bei einem europaweiten Aufruf zu Demonstrationen eingefunden. Der See ruht still, als Wojcicki Ende 2018 beginnt, die eigenen Nutzer des Netzwerkes mit Sperren, Filtern und Schließungen wegen genau zweier Vorhaben zu bedrohen, welche auf den Kern des Geschäftsmodells von Youtube und anderer Plattformen wie Facebook zielen.
Die Richtlinie soll die Haftung für die hochgeladenen Inhalte in Europa auf Youtube übertragen und das Mutterunternehmen „Alphabet Inc.“ soll erstmals nach Jahren des Stillstands in den Verhandlungen überhaupt dazu gebracht werden, in den kommenden zwei Jahren mit Urhebern in Europa über sogenannte Lizenzzahlungen aus den Erlösen des Netzwerkes zu verhandeln. Die sind wie heute schon durch Radio- und TV-Stationen pauschal zu entrichten, sodass die Verwertergesellschaften GEMA (Musik), VG Wort (Text) und VG Bild & Kunst (Fotos) praktisch einmal im Jahr eine Summe für alle genutzten Werke ihrer angeschlossenen Künstler, Fotografen, Musiker und Kompositeure auch von den Plattformen erhalten sollen.
Die dafür nötigen Netz-Analysewerkzeuge halten die Verwerter bereits vor, Youtube (und auch Facebook und weitere) haben selbst ebenfalls längst Filter entwickelt, um Werbekunden katalogisierte Angebote unterbreiten zu können und sollen sich also lediglich einer Zahlungsverpflichtung für bislang illegal genutzte Werke unterwerfen. Die vergangenen Jahre der Piraterie im Netz – von raubkopierten Filmen, über Musik und Bilder – hat die Verwertergesellschaften längst aufrüsten lassen, Branchenkenner bestätigen LZ deutlich, dass die Prüf-Verfahren funktionieren. Ebenso, dass dies auch auf kleineren Plattformen problemlos umsetzbar ist, diese sollen auch weit weniger nach Reichweiten und Nutzerzahlen oder im Falle eines nichtkommerziellen Betriebes gar nichts zahlen.
Für reine Netznutzer normalerweise ein Thema, was sie kaum berühren dürfte, denn ihnen soll im Gegenzug neben der weiterhin möglichen Verbreitung eigener Bilder und Filme nun auch das legale Verbreiten auch von urheberrechtlich geschützten Werken ermöglicht werden – kostenfrei und ohne Haftung.
Wenn die Plattformen, die seit Bestehen von Facebook, Youtube und Co. die Aussage „wir sind nur die Plattform“ (also haften für nichts) zur neuen „Netzökonomie“ erhoben haben, diese Haftung übernehmen. Und einen zu verhandelnden Obulus an die Verwertergesellschaften (VG) der europäischen Kreativen, also auch von kleineren bis großen Youtubern zahlen, sofern sie selbst Werke schaffen und sich den VG anschließen wollen.
Wollen sie das nicht, müsste die Plattform Youtube also bereits beim Hochladen der oft kolportierten 400 Stunden Videomaterial pro Minute vorfiltern und die Lizenzware rauswerfen. Dazu schreibt die RL ihnen noch so oder so ein persönliches Reagieren auf Beschwerden der sogenannten Uploader vor. Und von Personalkosten hält man bei den Plattformbetreibern ebenso wenig, wie eine solidarische Verteilung von Geldern an Urheber. Das Prinzip „The Winner takes it all“ ist hier Geschäftsmodell.
Lizenzen zahlen oder die Abstimmung am 26. März 2019 hacken?
Während andere Plattformen bis heute schweigen oder wie Facebook nun bereits begonnen haben, mit der Presseverlagsbranche über erste praktische Umsetzungen zu verhandeln, startet Youtube mit der Mitteilung vom Oktober 2018 einen ersten Generalangriff. CEO Susan Wojcicki bricht mit ihrer Warnung direkt in die neuen Geschäftsmodelle der eigenen Youtube-Influencer und Pseudojournalisten wie „Le Floid“ mit Millionenreichweiten auf Youtube ein, welche daraufhin in eigenen Videos beginnen, den Schrecken vom Untergang Youtubes zu verbreiten. „Wenn das schon Youtube sagt“ reicht als Bestätigung für den Wahrheitsgehalt der Drohung, den Schlachtruf Wojcickis „die EU macht das Internet kaputt“ tragen sie so in die Kinder- und Jugendzimmer der Republik.
Die Welle breitet sich allmählich aus, auf Kritik wird mit der sonst eher bei Zuwanderungsthemen aus AfD-Kreisen bekannten Heuchelei reagiert: „Urheberrecht ja, aber nicht so.“. Bald ist eine inhaltliche Debatte unmöglich, die Feindbilder lauten neben „der Politik“ die „Springer-Lobby“ und die bösen Verwertungsgesellschaften, also mithin die Interessenvertretern der Urheber, die sich in diesen versammeln, um für ihre Lizenz-Rechte einzustehen.
Es gelingt dem Unternehmen Alphabet, welches laut Handelsblatt Ende 2018 hinter Apple mit einem Börsenwert von 887,9 Milliarden US-Dollar noch vor Amazon (auch nur eine Plattform) liegt somit, Journalisten, Fotografen und Musikern vorzuwerfen, sie seien gierig, wenn sie auf die Umsetzung bereits bestehenden Urheberrechts bestehen. Natürlich nicht selbst, das übernehmen nun die Youtuber und Fans in Debatten im Netz, Hashtag #Artikel13 oder #saveyourinternet.
Dazu entstehen indirekt von Google gesteuerte Kampagnenseiten, auf denen man vorgefertigte Mailinhalte und vorbereitete Bilderbotschaften an EU-Abgeordnete senden kann. Im Ziel der Seiten wie fixcopyright.eu vor allem die Berichterstatter der EU, also spezielle Abgeordnete, welche mit den Verhandlungen rings um die Richtlinie näher befasst sind. Darunter Artikel-13-Gegnerin Julia Reda (Piraten) und Befürworter Axel Voss (CDU). Statt „Youtube gegen das Urheberrecht“ entsteht der Frame: „das Netz“ gegen „die Politik“. Die Kampagne lautet auch hier und über die gleichnamige Seite verbreitet „SaveYourInternet“, 10.000 E-Mails gehen bei der EU ein, bei 800 Demonstranten zuvor auf der Straße.
Die gesamte Richtlinie wird seither vor allem durch die namensgebende Seite saveyourinternet.eu, welche Google über die Lobbyorganisation Edri betreibt, längst systematisch auf den Artikel 13 (in der Endfassung Art. 17) verengt. Jenen Teil der 149 Seiten umfassenden Neuordnung der europäischen Urheberrechte im Netz also, der vorsieht, was Youtube nicht will: Geld für Lizenzen zahlen oder die Inhalte ausblenden, um einem millionenfachen Diebstahl auf der eigenen Plattform vorzubeugen.
Doch da die Richtlinienschreiber dies wohl durch Zuarbeiten einer anderen Lobby geahnt haben, sind in der Richtlinie bislang wenig beachtete Gegenmaßnahmen vorgezeichnet. So sollen neue, europäische Plattformen erst Lizenzen zahlen, wenn sie drei Jahre alt sind, mehr als 10 Millionen Euro Umsatz im Jahr verzeichnen und fünf Millionen Nutzer haben. Hier haben offenkundig europäische Konkurrenten aus dem Verlags- und Musikbusiness im Rahmen ihrer Lobbyarbeit bereits mal gerechnet. Und etwas Eigenes vorbereitet, vor allem wohl, sollte Youtube auch weiterhin keine verhandelten Lizenzzahlungen leisten.
Am 26. März 2019 beschließt die EU die neue Richtlinie ohne weitere Änderungen, sehr zum Entsetzen von fast 5 Millionen Unterzeichnern einer Petition dagegen, für die Richtlinie. Und statt die Niederlage einzusehen, setzt die Seite saveyourinternet.eu nun mit kritischen Stimmen von Datenschützern im „jetzt erst recht“-Modus die Kampagne fort.
Ein Netzwerk, welches im vergangenen Jahrzehnt mit der milliardenfachen Erhebung, Zusammenführung und Vergoldung der Daten seiner User seinen Hauptumsatz und seine eigentliche Marktmacht bestreitet, kämpft nun mit Bedenken von Menschen, die diese Daten vor dem 26. März nicht zu schützen wussten, gegen die erste Urheberrechtsreform seit 18 Jahren. Sicher nicht die letzte skurrile Verdrehung in dieser Auseinandersetzung.
Asymmetrisches Lobbying und die Folgen in der lokalen Politik
Im Vorfeld der Abstimmung am 26. März gab es im Rahmen der Kampagne auch zwei Demonstrationen in Leipzig. Verlief die erste noch mit rund 500 zumeist sich gegenseitig mit dem Smartphone filmenden vorrangig männlichen Teilnehmern am 9. März weitgehend als „Netzdemo“, wurde am 23. März 2019 mit Unterstützung der namentlich dafür prädestinierten „Piraten“ deutschlandweit zum letzten Gefecht geblasen. Von nicht besonders hellen Politikern als „Bots“ titulierte 4.000 Jugendliche gingen auch in Leipzig für die „Freiheit des Internets“ auf die Straße, am Rande und auf der Bühne einige lokale Politiker im Europa- und Kommunalwahlkampf.
Die Statements lauteten unter anderem: „4.000 Menschen, die ‚niewiederCDU‘ rufen, das können wir uns doch nicht entgehen lassen“ (Vertreter B90 / Die Grünen). „Ach, die Demo ist schon vorbei, ja, ich lese heute Abend mal Eure Artikel dazu, Danke.“ (SPD). „Ihr Journalisten werdet noch weniger Lizenzgelder bekommen als jetzt. Ich vertraue da meiner Europaabgeordneten Reda.“ (Die Piraten).
In dieser einzigen konkreten Einlassung war ein weiterer Streitpunkt in der RL gemeint: die Neuregelung der Tantiemenverteilung bei der VG Wort zu 50:50 zwischen Verlagen und Autoren für die schreibende Zunft, also Presse und Bücher. In Unkenntnis offenbar, dass diese Kannregelung entweder wieder Verhandlungen, neuerliche Klagewege von Autoren in Deutschland oder eine Erhöhung der Honorarangebote durch die Verlage als Ausgleich nach sich ziehen dürfte. Wenn nicht, sollten Autoren für schlecht zahlende Verlage (auch weiterhin) nicht schreiben.
Als Realpolitiker auf der Leipziger Demonstration entpuppte sich übrigens an diesem Tag wenig überraschend PARTEI-Stadtratskandidat Kuno Kumbernuß. In seiner Rede betonte er, dass er „heute zur Urheberrichtlinie sprechen“ werde, so wie er „immer über Dinge rede, von denen ich nichts verstehe“.
Volltextvariante (Stand 20. März 2019) der neuen Richtlinie im Netz (deutsche Übersetzung)
Weitere Artikel zur Europäischen Richtlinie und Urheberrechtsreform finden Sie unter unter l-iz.de/tag/Uploadfilter
Warum die neue Leipziger Zeitung geradezu einlädt, mal über den Saurier Youtube nachzudenken
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