Erstaunlich, aber so ist es: Mit ihrer Unverfrorenheit, sich auf dem digitalen Markt zusammenzuraffen und zu nehmen, was scheinbar nur herrenlos herumlag, haben es die großen Internet-Konzerne, allen voran Google mit seiner Flimmerbildchentochter Youtube, geschafft, ein ganz heißes Eisen wieder auf die Tagesordnung zu bringen: den entfesselten Kapitalismus und seine neoliberalen Orgien.

Auf einmal beschäftigte sich ein ganzes EU-Parlament wieder mit der Frage: Gelten im Internet nun Regeln? Und wenn nein: Was richtet das eigentlich mit unserer Gesellschaft an? Zum Beispiel die um sich greifende „Alles for free“-Mentalität, die Millionen Nutzer dieser Netzwerke in dem Glauben wiegt, man könne alles einfach so herunterladen, was da irgendwo rumliegt, man müsse niemanden fragen, vielleicht, weil Mama Youtube die ganze Zeit erzählt, dass man sich schon kümmert und dass man wacht über seine unmündigen Kinder.

Einige von denen betreiben erfolgreiche Kanäle, verdienen sogar ein bisschen Geld damit und erzählen ihren Nutzern dann, dass das das Internet ist. Und seit ein paar Monaten erzählen sie ihnen auch, dass ihr geliebtes Internet in Gefahr ist, wenn Uopload-Filter eingeführt werden. Filter, die einfach kontrollieren, ob der hochgeladene Stoff schon irgendwo urheberrechtlich geschützt ist oder ob er neu ist und originär. So wie die meisten dieser flitzigen Youtube-Kanäle, denen Youtube-Managerin Susan Wojcicki angst und bange gemacht hat mit ihrer dreisten Behauptung, das Videonetzwerk werde gleich mal 35 Millionen Kanäle abdrehen, wenn die neue Urheberrechtsnovelle kommt.

Nichts davon ist geschehen. Die Zahl war einfach so aus der Luft gegriffen. Samt der Behauptung, Youtube könne nicht filtern, was urheberrechtlich geschützt ist, wofür Youtube Lizenzen erworben hat und wofür nicht. Das ist technisch alles möglich.

Aber mit dieser Kampagne hat Youtube gezeigt, wie milliardenschwere Konzerne heute Politik machen, nicht nur beeinflussen, sondern machen, wohl wissend, dass die vielen jungen Menschen, die mit dem und im Internet aufgewachsen sind, eine Macht sind. Wenn sie sich in den Netzwerken verabreden, geht die Post ab.

Das hat eine gute und eine schwarze Seite. Die schwarze Seite ist – hier offen sichtbar – die leichte Manipulierbarkeit einer ganzen Nutzergruppe.

Was noch etwas anderes zeigt, was jetzt so langsam in den Fokus der Kritik rückt: Am 3. April berichtete die „Süddeutsche“ darüber.

Bernd Graff schreibt dort: „Die weltgrößte Videoplattform Youtube soll jahrelang die ausdrücklichen Bitten von eigenen Mitarbeitern ignoriert haben, sogenannte ‚toxische Videos‘ aus dem Angebot zu entfernen oder aus seinen Empfehlungsspalten zu nehmen. Gemeint sind Beiträge mit politischer Propaganda und Fake News, mit Verschwörungstheorien, diskriminierenden oder extremistischen Inhalten. Das berichtet der Wirtschaftsdienst Bloomberg in einem ausführlichen Report. Die Unternehmensleitung der Google-Tochter – genannt wird die CEO Susan Wojcicki – habe die internen Meldungen stets mit dem Hinweis auf die Bedeutung solcher Filme für die Reichweite ignoriert. Man habe keine Einbrüche im ‚Nutzerengagement‘ hinnehmen wollen.“

Das heißt, eines der größten und wirksamsten sozialen Netzwerke hat mit Hass, Gewalt und Fake News regelrecht Stimmung gemacht, weil das Quote bringt, weil man damit riesige Klickzahlen erreicht.

VÖ am 05.04.2019. Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 65. KLICK zum Vergrößern

Nur dummerweise ergibt das auf Youtube dann auch das verstörende Bild, dass die eingeblendeten Kanäle voller Verschwörungstheorien, Gewalt, Missgunst, Bosheit und wissenschaftlich völlig irren Auftritten sind. Als wäre die ganze Welt über Nacht verblödet. Und das Schlimme ist: Den Stoff ziehen sich Millionen User täglich rein und sind dann (da sie kein Korrektiv sehen) überzeugt: So ist die Welt.

Diese Debatte hat gerade erst begonnen, denn sie trifft sie alle – von Facebook bis Youtube. Sie haben mit diesem irren Stoff ihre Nutzerzahlen hochgejazzt, aus denen sie dann ihre Geschäfte generieren. Und gerade die Kritik aus den USA zeigt: Sie kommen damit nicht mehr so einfach durch. Wer solche Veröffentlichungsmaschinen betreibt, muss auch inhaltlich Verantwortung übernehmen.

Die Giganten behaupten zwar, sie würden sich bemühen. Aber gerade Mark Zuckerbergs Wunsch nach weltweiten Regeln im Internet macht deutlich, dass diese Netzwerke den Teufel wohl nicht mehr in die Flasche bekommen. Sie brauchen dringend die Unterstützung kluger Gesetzgeber, die sie quasi von außen dazu zwingen, den Müll aus den Kanälen zu beseitigen.

Denn darum geht es. Nicht um die ganzen Geschäftsmodelle der meisten Youtube-Stars.

Aber wozu der Ausflug?

Weil mehrere Demonstrationen in Leipzig dieser Tage zeigen, wie mobilisierbar auch und gerade die junge Generation ist, wenn es ihre Lebenswelt betrifft. Und die „Leipziger Zeitung“ Nr. 65 beschäftigt sich damit – in vielen Facetten. Im Kern steht überall die zentrale Frage der kapitalistischen Gesellschaft: Freiheit versus Egoismus. Wo ist die Balance? Und wo muss einer irrelaufenden Entwicklung von der Gemeinschaft eine Grenze gezogen werden?

Die Debatten ballen sich derzeit, denn nicht nur viele junge Menschen bekommen mit, dass alles viel zu lange vor sich hingelaufen ist

– bei den viel zu lange geduldete Umweltsündern (Seite 3)

– bei der verfehlten Förderpolitik (Seite 4)

– bei der Sicherung neuer Wohnquartiere (Seite 6)

– bei der Förderung der falschen Großprojekte (Seite 7)

– bei der verzögerten Energiewende (Seite 8)

– in der Wohnungspolitik (Seite 9)

– in der Fluglärmkommission (Seite 10)

.. nur um einen kleinen Einstieg in die neue „Leipziger Zeitung“ zu geben, die Nr. 65. ganz klassisch auf Papier gedruckt, auch wenn wir mit der L-IZ auch online zeigen, dass man sich vor den Riesensauriern des Internets nicht fürchten muss. Und dass das geliebte Internet auch dann nicht verschwindet, wenn irgendeine Youtube-Managerin droht, irgendwas abzuschalten. Gerade Youtube, das mit dieser Menge freiwillig bestückter Kanäle seine Geschäfte macht.

Für alle Kiddies, die es bis hierher geschafft haben zu lesen: Nicht ihr seid von diesem Moloch Youtube abhängig, sondern Youtube ist von euch abhängig. Ihr seid es, die klare Regeln für einen menschlichen Umgang dort in diesem Netzwerk fordern dürft. Tut es einfach. Es ist euer verdammtes Recht.

Die neue „Leipziger Zeitung“ liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Oder einfach abonnieren und direkt im Briefkasten vorfinden.

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