LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 64Zu kaum einem Thema kursieren dieser Tage so viele widersprüchliche Aussagen, wie zur anstehenden EU-Urheberrechtsreform ab diesem Jahr. Youtuber und ihre Fans rufen zu Demonstrationen auf, der Hashtag „NieWiederCDU“ kursiert in Höchstfrequenz, man wirft vor allem dieser Partei auf Bundes- und EU-Ebene vor, das Netz und die Nutzer nicht verstanden zu haben. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern des Richtlinienentwurfs scheinen verhärtet.
Und doch teilen beide Seiten das Bekenntnis, es ginge ihnen um ein zeitgemäßes Urheberrecht, das einen angemessenen Ausgleich zwischen Urheberrechtsschutz und Verbraucherschutz findet und das hohe Gut der Meinungsfreiheit nicht beschneidet.
Woher rührt also der Streit?
Um das zu verstehen, muss man erst einmal sortieren, welche Akteure in der Debatte um Deutungshoheit kämpfen. Von der Richtlinie sind grundsätzlich drei Gruppen betroffen: Die Urheber und Künstler (einschließlich ihrer Infrastruktur, also Verlage, Vertriebe usw.), deren Werke genutzt werden. Die Unternehmen, die diese Werke nutzen, und schließlich die Verbraucher, die die Dienstleistungen dieser Unternehmen als Konsument oder „Prosument“ (d. h. Uploader von User-generated Content) in Anspruch nehmen.
Es wäre schön, wenn man diesen drei Gruppen jeweils ein gemeinsames Interesse unterstellen könnte. Tatsächlich ist aber gerade bei den digitalen Unternehmen die Situation noch weitaus komplexer. Es gibt von kleinen Start-Ups bis zu Megamonopolen, von offenen Communities bis zu strikt redaktionell kuratierten Medien natürlich ein breites Spektrum an Geschäftsmodellen.
Einige profitieren klar von der Richtlinie, etwa Medien mit überwiegend eigenen Inhalten (Onlinemagazine, Web-TV) oder Medien, die Inhalte auch jetzt bereits lizenzieren (z. B. Netflix, Spotify) und in Konkurrenz zu Medien stehen, die die Inhalte in der Vergangenheit noch umsonst nutzen konnten (z. B. Plattformen wie Youtube) und dadurch erhebliche Marktvorteile haben. Auch Unternehmen, die mit Lizenzen handeln (wie bspw. Onlinevertriebe) dürften bei Einführung der Richtlinie aufatmen.
Youtube, Google und Co.
An einem Scheitern der Richtlinie sind also vor allen Dingen kommerzielle Plattformen mit User Generated Content wie Youtube, Google und Facebook interessiert, deren bisheriger Marktvorteil wegfällt: Sie können nicht mehr wie bisher die Lizenzpflicht auf diejenigen abwälzen, die Inhalte hochladen (Uploader), sondern müssen künftig wie jedes andere Medium auch für die genutzten Inhalte bezahlen. Die Konkurrenz freut sich über das Ende der Marktverzerrung, die Uploader freuen sich, endlich nicht mehr von Abmahnungen bedroht zu sein. Und die Urheber freuen sich, endlich für ihre Arbeit bezahlt zu werden.
In der Theorie zumindest, denn von Freude hört man in der öffentlichen Diskussion wenig und von positiven Effekten auch nicht. Eher muss man den Eindruck haben, die Richtlinie beende die Meinungsfreiheit, führe Zensur durch Uploadfilter ein, würde schon kleine Schaubilder (Memes) verbieten und Links besteuern. Sie schade den Urhebern und bereichere Großkonzerne, so die These.
Dazu werden allerlei Experten herumgereicht, die eine alarmistische These nach der anderen in die Welt setzen und vorgeben, die Interessen der Verbraucher und der gesamten Internetökonomie zu vertreten.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn ein auf Verteidigung für Urheberrechtsverletzer spezialisierter Anwalt wie Christian Solmecke gegen eine Richtlinie polemisiert, die Uploader von der Haftung befreit.
Oder wenn Plattformen wie Youtube, die seit Jahr und Tag Overblocking (überzogene Sicherheitseinstellungen führen zum Ausschluss auch urheberrechtlich korrekter Inhalte) betreiben und nach Gutdünken eigene Richtlinien für Inhalte festsetzen, plötzlich als Advokaten einer Antizensurbewegung auftreten. Durchschaubarer, weil deutlich transparenter, positionieren sich die Urheber- und Verwerterverbände, obwohl auch hier kurz vor dem Trilog das Ausscheren von einigen Label- und Presseverlagsvertretern aus dem Pro-Richtlinien-Block für Fragezeichen sorgte.
Ist die Richtlinie also doch nicht gut für die Rechteinhaber, oder spielen auch hier komplexere Interessenlagen eine Rolle?
Ein Faktencheck der Argumente
Der wohl heftigste Streit tobt um die Frage, ob die Richtlinie in Artikel 13 künftig Plattformen zum Einsatz von Uploadfiltern zwinge. Die extremsten Auslegungen behaupten, die Richtlinie schreibe solche Uploadfilter vor, auch wenn das Wort nicht im Richtlinientext vorkommt. Die Richtlinie könne gar nicht ohne Uploadfilter umgesetzt werden. Gemäßigtere Kritiker befürchten, dass zumindest der großflächige Einsatz zu befürchten sei.
Beide Positionen sehen im Einsatz von Uploadfiltern unmittelbar die Gefahr des Overblocking und langfristig die Schaffung einer Zensurinfrastruktur. Dies gefährde die Meinungsfreiheit. Ein weiteres Argument, das in der Debatte immer wieder vorgetragen wird, ist die Mutmaßung, dass Marktführer mit ihren bestehenden Filtern wie bspw. Youtubes Content-ID-System einen Vorsprung hätten und kleine Mitbewerber gezwungen seien, diese Systeme dort einzukaufen. Die Monopolstellung werde also weiter gestärkt.
Erstaunlicherweise kommt in der Debatte der eigentliche Kern des Artikels 13 nicht vor: Eingeführt wird eine Pauschallizenz. Die großen Plattformen wie Youtube und Facebook sollen künftig wie alle anderen Dienste für genutzte Inhalte bezahlen, bekommen aber ein besonderes Privileg: Sie brauchen keine individuelle Rechteklärung vornehmen, sondern können bereits veröffentlichte Werke im Rahmen der Pauschallizenz nutzen.
Der Clou an der Regelung ist, dass sie auch Urheberrechtsverletzungen beim Erstellen der Inhalte durch Nutzer der Plattformen (User) heilt (Artikel 13, Absatz 2). Im Klartext bedeutet das: Wenn ein User einen eigenen Clip mit fremder Musik unterlegt oder mit Filmausschnitten aufpeppt und auf Youtube hochlädt, wird dies in Zukunft nur noch unter sehr speziellen Voraussetzungen untersagt sein (z. B. Verstoß gegen das Erstveröffentlichungsrecht). Sowohl User wie auch Plattform dürfen zudem davon ausgehen, dass sie rechtens handeln, solange die Rechteinhaber an von der Pauschallizenz nicht erfassten Werken nicht aktiv werden.
Es liegt anders als derzeit keine Pflichtverletzung mehr vor, entsprechend drohen auch keine Strafen, wenn Nutzer der Plattformen sich versehentlich Werke herausgepickt haben sollten, die nicht von der Pauschallizenz erfasst sind.
Ein Sendeprivileg im Netz
Diese Regelung ist durchaus nicht neu. Sie entspricht dem Sendeprivileg, das herkömmliche Rundfunksender haben. Deren laufender Sendebetrieb wäre nicht möglich, wenn jedes Fitzel Musik aufwendig individuell rechtlich geklärt werden müsste. Genauso ist es für eine Plattform nicht möglich, jedes Werk, das Nutzer in ihren Inhalten verwenden, individuell zu klären. So beschreibt der Youtube-Slogan „Broadcast yourself“ zukünftig also genau das europäische Linzenzmodell: Es ist eine Demokratisierung des Rundfunk-Sendeprivilegs.
Noch entspannter wird die Lage, wenn man die in den Artikeln 9 und 10 erfassten Änderungen der kollektiven Rechtewahrnehmung und Verhandlungswege betrachtet, die darauf ausgerichtet sind, die Lizenzierung möglicher Inhalte in noch größerem Umfang zu erleichtern. Hierzu dient insbesondere die in Artikel 9a vorgesehene Erweiterung der Wahrnehmungsbefugnis der Verwertungsgesellschaften. Die Mitgliedsstaaten dürfen ihren Verwertungsgesellschaften (wie GEMA, VG Wort und anderen) erlauben, auch Werke von Rechteinhabern zu lizenzieren, die nicht Mitglied der Verwertungsgesellschaft sind oder auf andere Weise der Verwertungsgesellschaft die Rechte zur Wahrnehmung übertragen haben.
Es gilt dann nicht nur die haftungsbefreiende Vermutung, dass die Verwertungsgesellschaft das genutzte Werk vertritt, sondern die Pauschallizenzen decken tatsächlich wirksam sämtliche Werke ab, die nicht aktiv von den Rechteinhabern herausgelöst werden. Den übrigen Rechteinhabern an den verwendeten Inhalten ist zuzumuten, dass sie sich ihre Vergütung als Ausschüttungen bei der Verwertungsgesellschaft abholen.
Diese Kannbestimmung hat die Rechtslage in Skandinavien zum Vorbild. Für die Plattformen hätte sie den Vorteil, dass diese die erforderlichen Rechte in einem One-Stop-Shop erwerben könnten. Dies wird für Autorenrechte sicher der Fall sein, die Rechte der Tonträgerhersteller oder der Filmhersteller könnten aber auch Gegenstand solch kollektiver Wahrnehmung werden.
Warum also das Bohei um die Uploadfilter?
Für 99 % der Debatte muss man leider konstatieren, dass die Richtlinie den Diskutanten inhaltlich schlichtweg nicht bekannt ist. Vielleicht auch, weil sie noch nur auf Englisch vorliegt, sicher aber, weil man den bekannten Namen wie Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo oder bekannten Youtubern im Netz nachläuft. Die Annahme, dass Uploadfilter zwingend seien, gründet sich auf den missverstandenen Umstand, dass der europäische Gesetzgeber den Plattformen die Freiheit zubilligt, die Pauschallizenz auch abzulehnen.
Was sie mehrheitlich nicht tun werden, denn dann muss die Plattform entweder die Inhalte einzeln lizenzieren oder aber die Plattform von Inhalten, die Urheberrechte verletzen, ab Bekanntwerden des Verstoßes sauber halten. Diese Ausnahmeregelung wird sinnvollerweise von Plattformen genutzt werden, deren User kaum Inhalte mit lizenzpflichtigem Drittmaterial hochladen. Dass diese Plattformen nicht gezwungen sein sollten, eine pauschale Lizenz zu erwerben, die sie in der Praxis nicht benötigen, dürfte einleuchten.
All die in der Öffentlichkeit diskutierten möglichen Auswirkungen von Uploadfiltern auf Dienste wie Youtube sind also eine Scheindebatte. Diese Plattformen werden die Pauschallizenz erwerben, das Netz wird also rechtsicherer und die Urheber von Musik und anderen Inhalten verdienen – manche zum ersten Mal – Geld.
Es gibt zudem noch weitere Ausnahmen. Die Richtlinie zielt konkret auf kommerzielle Angebote, deren primärer Zweck die Verbreitung und werbliche Vermarktung von hochgeladenen Inhalten ist. Salopp gesagt: Anbieter, die genau wissen, dass sie urheberrechtlich geschützte Werke auf ihrer Plattform nutzen. Sie müssen mit Gewinnabsicht große Mengen urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich zugänglich machen. Die Inhalte müssen von Usern hochgeladen werden und von der Plattform gespeichert und organisiert (kuratiert) werden. Wikipedia fällt darunter genauso wenig wie Kleinbörsen, Auktionsplattformen, Datingservices, Datenclouds oder Diskussionsforen.
In Artikel 2 Absatz 5 des Richtlinienentwurfs findet sich die Definition mitsamt Ausnahmen, die man gleichsam als wichtigstes technisches Update der Reform betrachten kann. Denn einige der dort explizit beschriebenen Dienste gab es zur letzten Regulierung vor 18 Jahren noch nicht.
Aber auch Artikel 13 schränkt den Kreis der betroffenen Plattformen im Absatz 4aa nochmals ein: Unternehmen, die weder älter als drei Jahre sind, noch mehr als 5 Millionen individuelle Besucher haben, noch weniger als 10 Millionen Euro globalen Jahresumsatz verzeichnen, genießen ein Haftungsprivileg. Diese „Start-Ups“ sind lediglich verpflichtet, eine Autorisierung zu erlangen und auf Mitteilung des Rechteinhabers hin unautorisierte Werke von der Webseite zu entfernen.
Die Mitgliedstaaten dürfen nach eigenem Ermessen diese Minimalhaftung im Nationalen Recht etwas verschärfen, indem sie auch diesen Plattformen auferlegen, solche bekannten Verstöße auch für die Zukunft zu unterbinden.
Alle Beiträge zu diesem Thema finden Sie unter l-iz.de/tag/uploadfilter
Über den Autor: Markus Rennhack ist Politikwissenschaftler und befasst sich als Urheber, ausübender Musiker und Mitarbeiter des Leipziger Musikverlages Kick The Flame mit dem Thema Urheberrecht seit mehreren Jahren aus verschiedenen Fachperspektiven. Seit 2014 ist Markus Rennhack zudem einer von insgesamt 64 Mitglieder-Delegierten bei der GEMA und vertritt dort die Rechte für die rund 70.000 “angeschlossenen und außerordentliche Mitglieder”. Hierbei handelt es sich überwiegend um “kleine” Musiker und Komponisten, also Urheber von Werken, welche nur bedingt von ihrer Musik & Kompositionen leben können.
Zur Volltextvariante der neuen Richtlinie im Netz (engl. Version)
Volltextvariante (Stand 20. März 2019) der neuen Richtlinie im Netz (deutsche Übersetzung)
Hinweis der Redaktion: Der Artikel erschien erstmals am 1. März 2019 in der Monatszeitung LEIPZIGER ZEITUNG. Update vom 4. März 2019: Im Netz beginnt zur Stunde die Mobilisierung zu einer Demonstration gegen den Artikel13 & die möglichen Uploadfilter für den morgigen 5. März 2019 vor der CDU-Parteizentrale in Berlin. Anlass ist der Plan in der EU, die entscheidende Abstimmung vom 25. März auf kommende Woche vorzuziehen. Derzeit gehen die Gegner der Richtlinie davon aus, dass so ihrem Protesttag am 23. März 2019 zuvorgekommen werden soll.
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