LeserclubWer dabei war, wird sich erinnern. Einmal wenigstens, einmal wieder lebendig gewesen zu sein, ein, zwei Stunden lang. Vielleicht mehr. Hinterher schaute keiner auf die Uhr, denn Margarita, wie Herr L. sie fรผr sich nannte, und die auf Plakaten gern nur DIE DIVA hieรŸ, in ihrem Ausweis aber so einen kleinen bรผrgerlichen Namen trug, wie man ihn in L. eher mit Bescheidenheit spazieren fรผhrte, hatte dieser todtraurigen Stadt noch einmal gezeigt, was sie war, wenn sie trรคumte. Und dass sie schon lange nicht mehr getrรคumt hatte.

Leute laufen herum wie Gespenster, Nachtgestalten, unglรผcklich wie Suppenterrinen, wie verlorenes Strandgut, fรผr das sich nicht einmal ein Strandrรคuber finden wollte. Und manche waren dabei wie Gestalten ihrer eigenen Trรคume, irgendwo verloren zwischen grau gewordenen Kulissen, heillos verlaufen und dabei so leicht zu reizen, als koche in ihnen seit Jahren ein versalzenes Sรผppchen.

Und nun saรŸen sie da im rot leuchtenden Kinosaal und erwarteten sichtlich so eine Art Wunder auf der Bรผhne. Und vielleicht war es nur Herr L., der bemerkte, wie sie stutzten und die Stirn runzelten, als die Vorstellung nicht wie erwartet mit einem Trommelwirbel und Gitarrensolo begann, auch wenn im Dunkel der Bรผhne sichtlich die Musiker von Margaritas Band ihre Positionen einnahmen und dann tatsรคchlich die Sรคngerin auf die Bรผhne kam mit rot lodernden Haaren und rot loderndem Kleid. Wo saรŸ eigentlich der Beleuchter? L. sah ihn nicht, der Beifall erstickte sofort, auch wenn diese Leute augenscheinlich durch jahrelangen Fernsehkonsum schon konditioniert waren und schon dann automatisch klatschten, wenn nur jemand auf die Bรผhne schritt.

Aber die Technik gehรถrte Margarita. Und sie hatte auch das Mikrophon. Und noch bevor sie ins gleiรŸende Licht vorn am Bรผhnenrand trat, hรถrte man ihre Stimme, ein wenig rauer, als Frauenstimmen sonst sind, krรคftig selbst dann, wenn sie beinah flรผsterte. Und sie flรผsterte eigentlich nur, als sie sagte: โ€žBevor wir das heute anfangen, liebe Leute, muss ich etwas vorausschicken.โ€œ Das war der Moment, als die ersten Klatscher gleich wieder aufhรถrten. Das war so nicht geรผbt. โ€žDenn dieses Konzert findet nicht nur statt, um Euch allen noch einmal zu zeigen, was Ihr verloren habt.โ€œ

Ihre Texte schrieb sie selbst, dass wusste L. Und ihre Texte saรŸen. Schnรถrkellos, ohne den lyrischen Ballast, mit denen sich so viele Schlagerstars hierzulande in die Quoten retteten und die Leute mit Zuckerwatte umgarnten, weil sie glaubten, das erst wรคre echt und wahr und wirklich. L. wusste es besser. Und fรผhlte sich in Vorfreude gebadet, als die Diva dann im Rampenlicht stand und den ganzen Saal zu umarmen schien, als sie sagte: โ€žIhr habt vergessen, dass das Eure Stadt ist. Dass Ihr ihr ein Herz und eine Seele geben mรผsst. Niemand sonst. Und dass ihr euch kรผmmern mรผsst, damit euch dieses Herz nicht verloren geht. Dieser alte Kinosaal, in dem ich sehr, wirklich sehr sehr viele herrliche Stunden erlebt habe โ€ฆโ€œ

Ein Raunen strich durch die Reihen. Das hatten wohl die meisten hier so erlebt.

โ€žโ€ฆ er wรคre uns beinah genauso verloren gegangen wie so vieles andere, was uns einmal stolz gemacht hat auf unsere Stadt โ€ฆโ€œ

Und es kam tatsรคchlich ein zustimmendes โ€žJaโ€œ aus dem Saal.

โ€žโ€ฆ und uns das Gefรผhl gegeben hat, DIESE STADT GEHร–RT uns.โ€œ

Und wieder ein โ€žJaโ€œ, ein zustimmendes Raunen.

โ€žPardon: Gehรถrte unsโ€œ, sagte die Diva. Und das Raunen verstummte.

โ€žUnd bevor ich anfange, muss ich noch sagen, dass ich dieses Konzert zwei Frauen widme, die manche von Euch vielleicht noch kennen. Eine von ihnen ist meine langjรคhrige Bรผhnenpartnerin Belinda โ€ฆโ€œ

Sie machte eine Pause. Aber es reagierte niemand. War das zu lange her, erinnerte sich niemand? Wahrscheinlich, dachte L., sah aber in der ersten Reihe einige Kรถpfe sich neigen, als fragten die einen die anderen, wer denn diese Belinda war. Muss man die kennen?

โ€žโ€ฆ und jener Frau, die die meisten von Euch als Prinzessin kannten.โ€œ

Und diesmal gab es zustimmendes Raunen. Ja, an die konnte man sich noch erinnern. Ihr Unfall hatte sie alle bewegt, die in der Zeitung nur das Gute, Schรถne und Freudetrunkene suchten, die Seiten, die L. und S. produzierten, lieber รผberblรคtterten. Wer will schon jeden Tag mit dem ร„rger der Welt konfrontiert werden, wenn man die Abenteuer der Schรถnen, Reichen und Glรผcklichen verfolgen konnte?

Die manchmal, wie bei der Prinzessin, so tragisch endeten, dass selbst Leute mittrauerten, die nie und nimmer in diesen illustren Kreisen aufgenommen worden wรคren. Die wussten, dass der Glamour unerreichbar war fรผr sie. Fรผr die die Welt, in der die Prinzessinnen tanzten, in Wirklichkeit vรถllig fremd war. Man schaute nur โ€“ mit den Augen der bunten Seiten โ€“ wie durch ein Schlรผsselloch ins hellerleuchtete Zimmer, staunte, neidete, fieberte und ging nachher mit den Traumgebilden der anderen durch den eher grauen Alltag. So war sie in Erinnerung geblieben.

โ€žUnd deshalbโ€œ, sagte die Diva, โ€žwidme ich gleich das erste Lied unserer Prinzessin.โ€œ Da ging sogar ein Seufzen durch den Saal. Das freilich verstummte, als die Diva noch anfรผgte: Unserer EISPRINZESSIN. Auf gehtโ€™s!โ€œ Und jetzt fiel tatsรคchlich der Bursche an der Gitarre ein, der Mann an der Trommel kam in Bewegung und die Bรคsse legten los, als die Diva das Lied von der Eisprinzessin sang.

Und wer es hรถren will, suche es in den Archiven. Es geht ja nichts verloren. Da wir hier aber auch alle Spuren verwischen, damit niemand sagen kann, wir hรคtten seine kleine, ihm ans Herz gewachsene Stadt vielleicht karikiert, fรผgen wir stellvertretend die Videoclips jener Musikerinnen ein, von denen manches an unsere Diva erinnert. Dieses hier zu Beispiel.

Sie sehen, wir fรผhren sie ganz weit weg, damit auch kein Kommentator auf die รผbereifrige Idee kommt, wir kรถnnten die eine oder andere โ€žaus Funk und Fernsehen nur zu gut bekannte Sรคngerinโ€œ meinen, wenn wir die Geschichte der Diva erzรคhlen. Nein, sie tritt nicht in den groรŸen Stadien und Arenen auf. Dazu war sie immer zu eigensinnig, zu stรถrrisch, zu bissig. Also so, wie sich Mรคnner mit groรŸem Herzen Frauen wรผnschen, nicht nur auf der Bรผhne oder im Film.

Frauen, die selbst am Steuer sitzen, wenn sie mit ihrem Bandbus ins letzte Dorf fahren und in den letzten Dorfsaal, wenn das Dorf nicht lรคngst schon verschwunden war von den Landkarten, in Nacht und Nebel, zu Fuchs und Igel und Jรคger und Wolf. Wenn da noch ein paar Leute wohnten, die ihre Freude am Da-Sein nicht mit dem letzten fahrenden Bus begraben hatten. Oder mit dem letzten Dorfladen, der schloss, oder dem letzten Zug, der am Bahnhof drauรŸen am Dorfrand hielt. Alles รผberflรผssig, weil zu teuer, so wie die Dรถrfer und die Dรถrfler und die alten Dorfgasthรคuser mit ihren oft riesigen Sรคlen, in denen drei Dutzend mitsummende Mรคnner einfach nur kรคrglich aussahen. Aber wie die Diva und ihre Band war das seit Jahren die Welt.

Eine andere wรผrde es fรผr sie nicht mehr geben, es sei denn in dieser nicht ganz so kleinen Stadt L. wรผrde der Funke wieder รผberspringen, wรผrden wenigstens hundert, zweihundert eingefrorene Herzen wieder auftauen. Was ihr vielleicht sogar gelang. Denn ihre Lieder hatten den Rock. Frรผher, so erinnerte sich Herr L., waren sie romantischer, chansonhafter, franzรถsischer, hรคtte L. es formuliert. Und hatte er wohl auch, als er die beiden noch gemeinsam auf der Bรผhne erlebte, Margarita und Belinda, in einer Zeit, da alle so viel jรผnger waren, so vollgestopft mit Hoffnung, dass es an manchen Abenden richtig wehtat.

Dass sich das auch schon mit einer gehรถrigen Prise Wehmut und einer Messerspitze Wut mischte, wurde Herrn L. erst so richtig bewusst, als er merkte, dass es eigentlich eins ihrer alten Lieder war, das die Diva hier zelebrierte, nur dass aus Klavier- und Saxophon-Begleitung im Lauf der Zeit eine richtige Band mit Schlagzeug, Bass und E-Gitarre geworden war. Und das Tempo hatte sich wohl auch erhรถht.

Die Diva schmachtete nicht mehr ins Mikrophon, appellierte nicht mehr an die GenieรŸer und Kenner der feinen Tรถne. Sie hatte gelernt, dass ihre eigentlichen Verehrer wohl eher robuste Burschen waren in robusten Arbeitsanzรผgen, mit Dreitagebart und Schwielen an den Hรคnden. Und wer behauptet, die gรคbe es nicht mehr, die Wohlriechenden, Schรถngekleideten, Smarten und Erfolgreichen aus der 1. Reihe seien heute die Macher und Vollender der Welt, der war halt noch nicht drauรŸen, mit der Diva im alten Transporter, den nur noch die TรœV-Plakette zusammenhielt.

Oder da, wo Herr L. manchmal lieber seine alten Nietenhosen anzog und die festen Stiefel, wenn es hinab in stinkende Kanรคle ging, in Abrisshรคuser, auf Dachstรผhle oder auch schon mal mit dem Seil auf einen alten Schornstein, von dem man fast die ganze Stadt unter sich liegen sah. Und hinab die vielen Wunden, die Zeit und Abriss gerissen hatten. Wo einem der Atem wegbleiben konnte aus lauter Staunen und reiner Hรถhen- oder Tiefenangst.

Und Margarita gab ihnen nichts, ihr Beleuchter hatte so viele Scheinwerfer montiert, dass jedes Lied ein einziges Bad aus Farbe war โ€“ eisigblau wie beim Lied von der Eisprinzessin, brodelnd Rot beim ersten Lied von Belinda. Und wenn man noch dachte, das wรผrde niemanden in diesem Saal von den Sitzen reiรŸen, spรผrte selbst L. den kalten Schauer, als sich die Rockballade von der schรถnen Belinda als ein Todestanz entpuppte, ein Tanz mit den Gefรผhlen der Mรคnner, der Frauen, den eigenen. Und nur eines erklรคrte das Lied nicht: Wer der Rote Mann mit der Kapuze war.

Herr L. jedenfalls hatte da die alten Bilder aus dem Polizeireport vor Augen, die nuschelnde Stimme eines Polizeisprechers, dem der eine Todesfall so egal war wie der andere, dem man anhรถrte, dass er die beiden Sรคngerinnen nie selbst auf der Bรผhne erlebt hatte, dem alles eins war und das Einzelne eher nur unwichtiger Schreibkram. Abzuheften an dem Tag, an dem der bearbeitende Staatsanwalt mit den Schultern zuckte und anwies, den Fall zu den Akten zu legen.

โ€žUnd da waren es schon zweiโ€œ, sagte das kleine spรถttische Ich in L.s Hinterkopf. Und der nach Kaffee lechzende Immer-Beobachter sah in der 1. Reihe die tuschelnden Kรถpfe. Der Saal war zwar unruhig, aber wogte im selben Takt wie die Songs der Diva, die beim dritten und vierten Lied endgรผltig zur Hexe Margarita wurde.

โ€žVorsicht, andere Geschichteโ€œ, mahnte das spรถttische Ich.

Aber das war Herrn L. zutiefst gleichgรผltig. Denn dass in dieser begabten Sรคngerin da vorn auch eine feurige Hexe steckte, die รผberhaupt nicht zufรคllig an eine andere Hexe erinnerte, die mit wildem Schreien durch eine nรคchtlich glรผhende Stadt ritt und die Fenster eines miesen kleinen Wassertrรคgers der Macht zertrรผmmerte, war kein Zufall. Dazu kannte er sie zu gut, auch wenn er sie so noch nie gesehen hatte.

Hatte er einen Moment nicht aufgepasst? Hatte sie in Windeseile das Kostรผm gewechselt? Sodass jetzt wirklich Flammen um sie zu sprรผhen schienen, als sie kurz in den Song eines vรถllig anderen Dichters abglitt und auf einmal ein Haifisch durch den Saal zu schweben schien, ein riesiger, gieriger Schatten? Vielleicht auch nur ein Lichteffekt, ein paar Scheinwerfer, die sich รผberblendeten und die Gesichter im Saal weiรŸ und leichenhaft aussehen lieรŸ. Wie unter Wasser. Und in der Musik gurgelte und brodelte es tatsรคchlich, als hรคtte Margarita den ganzen Saal mit unter Wasser gerissen, dorthin, wo riesige Raubtiere um ihre Beute kreisten. Ihr groรŸes Fressen suchten.

Und zumindest erinnerten sich einige Leute hinterher, dass es zwischendurch diese arg proletarischen Tรถne gegeben hatte. Doch sie verstรถrten nicht wirklich, so gebannt waren sie alle, selbst die ร„lteren, Alten und Uralten, die ja eigentlich gekommen waren, die Wiederauferstehung ihres Kinos zu erleben und nun in einem Konzert gelandet waren, das sie an ihre wildesten, wirklich ihre wildesten Zeiten erinnerte.

Und das schien sie tatsรคchlich mitzureiรŸen, als wรคre das jetzt endlich einmal dran gewesen. Mit all der Gewalt einer Sรคngerin, die alle Tรถne beherrschte vom Hauchen bis zum Wรผten, vom Locken bis zum herausfordernden Tanz. Sodass sie alle zusammenzuckten, als diese wilde Sรคngerin unverhofft das Tempo wechselte, und dafรผr deutlicher wurde. Als wรคre jetzt jedes Wort wichtig, auch wenn es nur das beliebte alte Kinderlied war: Fuchs, Du hast die Gans gestohlen.

Dass man sogar sein Kinderlied zum rocken bringen konnte, erstaunte selbst den schon die ganze Zeit staunenden Herrn L. Er hatte selbst gezuckt. Und sein kleines spรถttisches Ich hatte ihn auch darauf aufmerksam gemacht, dass sie ja alle in der 1. Reihe saรŸen: der Fuchs, der Hai, der Tiger, das Mammut, alle die Leute, die Herr L. in dieser Woche alle am Telefon und unter den Fingern gehabt hatte, als er Artikel um Artikel begann, um das meiste davon wieder zu lรถschen, weil ihm die wichtigsten Puzzle-Stรผcke fehlten.

Und die in der 1. Reihe hatten gezuckt, dessen war er sich sicher. Er staunte sowieso, dass sie alle der Einladung gefolgt waren: die kleinen und groรŸen Beamten, die groรŸen und kleinen Politiker, die diese Stadt ausgespuckt hatte in die Welt, die Autohaus- und Hรคuserbesitzer, von denen fast alle eine kupferglรคnzende Adresse am Herrmannkai innehatten.

Und als wรคre Fuchs das Stichwort gewesen, merkte er jetzt, wie sie sich versteiften. Denn ihre alten schรถnen tierischen Alias-Namen hatten sie ja bestimmt nicht vergessen. Hรคtte er der Diva lieber nichts davon erzรคhlen sollen? Oh, natรผrlich hatte er auch โ€“ wie รผblich โ€“ sein stets einsatzbereites schlechtes Gewissen bei sich. Das ihn schnell stumm machte, wenn auch nur so ein Funke an Verdacht aufglomm, er hรคtte jemandem doch aus Unrecht zu sehr auf den FuรŸ getreten, ein unbedachtes Wort gesagt oder geschrieben. Das jaulte dann der Hรถllenhund in ihm. Und irgendetwas versuchte ihn ein bisschen tiefer rutschen zu lassen im Sessel. Aber von rechts drรผckte ihm seine Mascha die Hand. Und links schnaufte Kollege S. Weglaufen war nicht.

Und so ungefรคhr klang das auch, was die Diva dann sang, jetzt schon seit geraumer Weile auch in ihren hรถchsten Stimmlagen unterwegs. Da, wo man sich Zuversicht holt, wenn man merkt, dass der Saal aus spรผrbaren Grรผnden begann, immer aufgeregter zu werden.

Denn wenn man so vielen Menschen das Gefรผhl gab, man kรถnnte dabei sein, wenn Dinge wieder geschehen, dann hatte man eine Erwartung geweckt, die sich nicht so leicht stillen lรคsst. AuรŸer, man verteilt jetzt Taschentรผcher, Kekse und Erdnรผsse. Was so bestimmt nicht geplant war. Denn vorn auf der Bรผhne lieรŸ Margarita die Tiere rocken, verteilte die Stadt und machte groรŸen Kehraus. ALLES MUSS RAUS! โ€žErinnert Ihr Euch Leute!?โ€œ

Und fรผr einen Moment hing die Frage in der Luft.

Bevor ein Gitarrensolo noch einmal das Motiv mit dem Haifisch anklingen lieรŸ. Und Margarita fast mit boshafter Freude ins Mikro hauchte: โ€žNatรผrlich erinnert Ihr Euch.โ€œ

Pause.

โ€žAber Ihr habt alles vergessen.โ€œ

Und hรคtte L. nicht so eine Ahnung gehabt, dass die Boshafte jetzt das Ende einleitete, hรคtte er wohl nicht gemerkt, wie still gerade die 1. Reihe geworden war. Nur der etwas untersetzte Bรผrgermeister fast am Rand der Reihe schien noch nervรถs hin und her zu rutschen auf seinem Sitz. Vielleicht der einzige, der bereit war, sich gegen diese gesungenen Vorwรผrfe zu wehren. Denn etwas anderes war es ja nicht, wenn hier Bรคr und Fuchs und Lรถwe so geschildert wurden, wie sie waren: groรŸe Raubtiere vor dem Herrn, die nie genug zu Fressen bekamen und immer mehr wollten.

Dumm, ja, an der Stelle hatte er nicht aufgepasst.

Denn das nรคchste Lied tobte genau mit diesen Worten durch den Saal: โ€žImmer mehr, immer mehr, immer mehr โ€ฆโ€œ

Der Mann am Schlagzeug schien lรคngst in Trance zu sein, er trieb die Lieder voran mit einer Wucht, die die Diva geradezu dazu zwang, alles zu geben, was Brust und Kehle hergaben. Und der Saal โ€“ jedenfalls alles hinter der 1. Reihe โ€“ war gefangen von diesem Wirbel, ging mit, als wรคre jeder Einzelne da auf seinem Platz ein halbes oder ganzes Leben jรผnger.

Und wรคre alles andere dann nicht geschehen, Herr L. hรคtte das Ganze genau so in Erinnerung behalten wollen. Aber wie das so ist im Leben eines Erdenmenschen: Es kommt immer noch was anderes hinterher. Das Leben kennt keine schรถnen Kapitelenden.

Die Serie โ€žWas passiert jetzt โ€ฆโ€œ

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