Die „Absatzwirtschaft“ hat nichts mit Schuhabsätzen oder dem Absatz von Teesieben oder Tauchsiedern zu tun, es ist eine der großen Zeitschriften der Werbevermarkter in Deutschland, all der Werbebuden, die mit aller Macht ihre Konsumbeglückung an den Mann oder die Frau bringen wollen. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn man dort das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 5. Juni zu sogenannten Fan-Pages nicht gleich mal für Pillepalle erklärt hätte. Denn die deutschen Werbevermarkter sind schon vor Jahren eine heiße Allianz mit dem privaten Datensammelportal Facebook eingegangen.

Datenschützer hatten geklagt, in diesem Fall das unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, und zwar gegen den Betreiber einer solchen Fan-Page, die Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH. Der EuGH hatte entschieden, dass auch die Betreiber einer simplen „Fan-Page“ für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Facebook verantwortlich sind.

Als wären endlich einmal nüchterne Richter mit diesem Thema befasst gewesen. Denn die deutschen PR-Agenturen und Werbevermarkter haben Macht. Das vergisst man oft, weil man sich permanent in ihrem Kosmos aufhält. Und sie haben seit dem Start von Facebook alles dafür getan, sämtliche Werbeaktivitäten in dieses Netzwerk zu verschieben und in Lehrveranstaltungen in Kammern, Verbänden und Unternehmen den Werbeverantwortlichen einzureden, dass es keine Alternative zu dieser Strategie gibt.

Denn mit Facebook ist möglich, was mit klassischer Werbung nicht ging: Die Werbung konnte via Targeting dem Kunden direkt auf seinen account geliefert werden. Was ja erst einmal toll klingt: Punktgenaue Werbung, ohne Verluste mit riesiger Verbreitung. Jeder bekommt genau die Werbung, die seinen Interessen entspricht. Oder von der irgendein Algorithmus meint, dass sie passen könnte.

Dass dahinter ein gigantischer Apparat zum Auslesen und Sammeln von Daten steckt, der von Milliarden Menschen auch noch die persönlichsten Datenspuren registriert, war nach dieser Überredungstour den werbenden Unternehmen nicht mehr beizubringen. Es war ihnen sogar egal. Und nicht nur Unternehmen warfen ihre Werbegelder fortan in Facebook-Auftritte und „Communities“, es folgten Fußballvereine, Städte, Clubs, gemeinnützige Einrichtungen. Auf einmal fand es jeder toll, auf Facebook eine Seite zu betreiben und Anhänger auf Fan-Pages zu sammeln – und für nichts davon verantwortlich zu sein.

Das gehörte ja auch zu den Märchen, die gepflegt wurden: Das Netzwerk gehört zwar Facebook, auch die Seite, die sich jemand dort einrichtet, gehört Facebook – also greift ja wohl auch kein Presserecht. Entsprechend verzweifelt agieren einige Gerichte, denn seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl wissen wir ja, dass sich Facebook nur bedingt für die Inhalte interessiert. Und auch nur dann, wenn es den Ruf des Unternehmens zerkratzen oder die Geschäfte beeinträchtigen könnte.

Und die meisten Nutzer von Facebook-Seiten ließen gleich mal alle notwendigen Informationen für ein Impressum weg. Jeder tat so, als wäre das ein völlig rechtsfreier Raum – und viele glauben das noch immer.

Deswegen nimmt das EuGH-Urteil den Werbevermarktern jetzt ein wichtiges Argument weg.

Meedia schreibt hierzu: „Auch wenn für die Wirtschaftsakademie nicht vermeidbar sei, dass Facebook diese Daten sammele, so hafte sie gemeinschaftlich mit Facebook zusammen für diesen Verstoß. Der Betreiber einer solchen ‚Fan-Page‘ sei durch die von ihm vorgenommene Parametrierung (Zielpublikum, Ziele der Steuerung oder Förderung seiner Tätigkeiten) an der Sammlung der personenbezogenen Daten der Besucher beteiligt.

Auch lässt der EuGH die Argumentation nicht gelten, dass man als Seitenbetreiber die Sammlung nicht ausschließen könnte. Denn schließlich kann man diese Daten in Form von Statistiken als Seitenbetreiber sehen und entsprechend die Angebote gezielter gestalten. Auch wenn man diese Funktion nicht nutze, so bliebe es bei der Beachtung der Verpflichtung im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten.“

Oder mal so formuliert: Doofstellen gilt nicht. Wer eine Facebook-Seite einrichtet, weiß, dass Facebook alle Daten sammelt, die über diese Seite hereinkommen. Er macht sich zum Komplizen. Wissend oder unwissend, das ändert nichts.

Das Geschäftsmodell von Facebook, das seine Geschäfte nun einmal mit Daten macht, ist mittlerweile hinlänglich bekannt.

Und man ahnt bei „Absatzwirtschaft“ schon sehr genau, dass es mit der Vernebelung so nicht mehr funktioniert.

„Facebook ist heute für viele Marken als Medium viel zu wichtig, um darauf verzichten zu können“, lässt man Carmen Brablec, „Expertin für Positionierung und Marken-Bildung“, sagen. „Das bedeutet, dass hier die Unternehmen gemeinsam mit Facebook ein klares gesetzeskonformes Vorgehen finden müssen. Nur sollte die EU in Summe generell vorsichtig sein, dass man nicht zum Regulierungsweltmarktführer im Internet wird.“

Das sind mal wieder fette Nachtigallen, die man da trapsen hört. Denn man verdient sich ja goldene Nasen mit diesem Daten-Grabbing und allem, was man damit werbetechnisch machen kann. So golden, dass man davon auch reihenweise PR-Lehrstühle an deutschen Hochschulen bezahlen kann. Ein kleiner Nebeneffekt, der dafür sorgt, dass junge Leute, „die was mit Medien“ machen wollen, heute keine fundierte Journalisten-Ausbildung mehr bekommen, sondern zu Public-Relations-Leuten geformt werden. Nachschub für die Werbebranche.

Leute, die dann dreist behaupten, dass „Facebook heute für viele Marken als Medium viel zu wichtig“ ist, um darauf verzichten zu können. Das kennen wir aus dem Bankenwesen: Die Kolosse werden so marktdominant und sind mit so vielen PR-Buden vertraglich vernetzt, dass am Ende kein politisches Gremium mehr den Mumm hat, das dreiste Geschäftsgebaren zu beenden.

Die „Absatzwirtschaft“ hat Facebook jetzt schon mal an der Seite.

Und wenn man die PR-Branche bei sich hat, kann man den Leuten, die immer noch glauben, sie würden sich mit einer Seite auf Facebook nicht zum Dealer für die Daten anderer Leute machen, einreden, dass sie ruhig weitermachen können mit dem Zirkus. Oder mit den Worten von Brabec: „Bevor also die Entscheidung fällt, die eigene Fanpage stillzulegen, rate ich allen Betroffenen sich mal über die Hintergründe dieser Rechtsprechung zu informieren und keine voreiligen Schlüsse daraus zu ziehen. Erstmal sollten wir nicht schon wieder in Panik verfallen.“

Einige wirklich besorgte Vereine und Unternehmen haben ihre „Fan Pages“ mittlerweile abgeschaltet. Manche auch schon vor Inkrafttreten der DSGVO am 25. Mai, weil sie gemerkt haben, dass sie den PR-Leuten und Facebook mit ihren Heile-Welt-Versprechen auf den Leim gegangen sind. Ist ja alles ganz leicht, niemand muss wirklich die AGBs lesen oder die ganzen Betriebseinstellungen von Facebook angucken und ändern. Ein Klick – und schon hat man tausende Fans, Freunde, Kunden oder wie immer man das nennen will – ein Klick, der die Datenschleusen von Facebook sofort öffnet.

Deswegen war die EuGH-Feststellung jetzt so nüchtern wie wichtig: Dass jeder Seitenbetreiber genau dafür die Verantwortung trägt und die Besucher der Seite darüber aufzuklären hat, ob er Daten-Grabbing zulässt und wenn ja, wie viel. Das wollten nämlich all die Gläubigen der modernen Werbewelt nie wahrhaben: Dass sie sich mit ihrer fröhlichen Kaffeefahrt-Mentalität zu Komplizen gemacht haben für ein Geschäftsgebaren, dem die EU mit Recht eine erste, noch sehr zurückhaltende Grenze gesetzt hat.

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