„War der OBM nun dabei oder nicht?“, fragt Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte in der Runden Ecke und übersendet eine kleine Glosse zu dem, was am Donnerstag, 3. Mai, zur Einweihung des Froschbrunnens auf dem Rabensteinplatz parallel in der L-IZ und auf LVZ Online zu lesen stand. Diese stammt aus dem Kommentarteil der LVZ und lautet: „Bei der LVZ wird darüber berichtet, dass OBM Jung bei der Eröffnung dabei war und es wird sogar zitiert, was er sagte. In einem Artikel über das gleiche Ereignis bei der Leipziger Internetzeitung steht zu lesen, dass der OBM gestern verhindert war und sich vom Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer vertreten ließ.“ Stimmt. Genau das haben wir geschrieben, weil es halt so war.
Weiter, so der LVZ-Leser: „Zwei gänzlich unterschiedliche Berichte über das gleiche Ereignis. Nur die Fotos sind in beiden Artikeln identisch – auf denen ist allerdings der Oberbürgermeister nicht zu sehen. Sollte die LVZ ihren Mitarbeiterstamm schon so ausgedünnt haben, dass jetzt Pressemitteilungen bereits so als Berichte umgeschrieben werden, als wäre ein Journalist vor Ort gewesen? Dumm nur, wenn die Realität dann einen anderen Verlauf nimmt, als die Presseeinladung vermuten ließ.“
„Identisch“ sind die Fotos nicht, denn für die LVZ war der stadtbekannte rasende Fotograf André Kemptner vor Ort, was offenbar jedoch fehlte, war ein LVZ-Journalist. Denn das die Texte auf der LVZ und in der vorab publizierten Meldung der Stadt Leipzig zur Brunneneinweihung sehr ähnlich sind, zeigt der Leser im Kommentarbereich auf: „Hier die Pressemitteilung von der Seite der Stadt Leipzig: https://www.leipzig.de/fileadmin/extensions/pressreleases/6BA6501CD5BA67E5C125827F0033F7C1/316-quo-Froschbrunnen.pdf – Mit Journalismus hat das alles wirklich nichts mehr zu tun und ist leider nur Wasser auf die Mühlen derer, die ständig von ‚Lügenpresse‘ schwafeln. Hier sollte die LVZ dringend über ihren Auftrag als Leipziger Tageszeitung nachdenken und wieder zur Einhaltung der üblichen journalistischen Standards zurückkehren.“
Stimmt auch. Sollte sie, kann sie aber offenbar schon seit einiger Zeit nicht mehr.
Wenn es so einfach wäre
Der Unterschied ist tatsächlich: Wir waren da, als der Froschbrunnen aufgedeckt wurde. Ob die LVZ jemanden entsandt hatte außer den umtriebigen Fotografen André Kempner, wissen wir nicht. Es ist trotz der Peinlichkeit, dann Lokaljournalismus zu simulieren, letztlich auch egal. Weil das Ergebnis etwas zeigt, was den meisten Mediennutzern einfach nicht bewusst werden will, obwohl wir nun seit Jahren drüber schreiben: Wenn man den Medien die Finanzierungsgrundlage entzieht, können sie keine Journalisten mehr bezahlen. Dann ist auch keiner mehr vor Ort.
Das ist augenscheinlich ein Satz, der einfach nicht verstanden oder eben leserseitig auch im Netz anerkannt werden will. Und gerade regionale Medien wie LVZ und L-IZ kämpfen um Modelle (wie unser „Leserclub“ mit den „Freikäufern“, die für die Offenheit der Artikel sorgen sollen). Gerade heute flatterte die Mail herein, dass es nun die „Sächsische Zeitung“ mit einer „harten Bezahlschranke“ versuchen wird. Nach schwedischem Vorbild, schreiben die Kollegen vom „Flurfunk“, also nur noch Inhalte gegen Geld.
Ob’s gelingt? Wer weiß …
Gerade im Netz geht es dabei vor allem um die Menschen, denn Druckkosten fallen ja nicht mehr an. Journalisten sind auch nur Leute, die von ihrer täglichen Arbeit irgendwie leben wollen. Wenn sie dafür nicht bezahlt werden, verlassen sie das Metier, gehen lieber als Marketingmensch in irgendein stinkreiches Unternehmen, das mit Leute-Veralbern sein Geld verdient. Oder sie werden Pressesprecher. Wechseln also die Seiten und versuchen oft genug wirklichen Journalismus mit diversen Floskeln eher aufzuweichen. Vor zehn Jahren konnte man noch irgendwie (gefühlt) davon ausgehen, dass auf jeden Journalisten ein PR-Mensch auf der anderen Seite kam.
Mittlerweile ist das Verhältnis wohl eher 1:10. Die Medien haben ihren Personalstamm abgebaut – auch die LVZ. Immer weniger Leute müssen versuchen, irgendwie das Tagesgeschäft abzudecken. Dafür werden es auf der anderen Seite immer mehr Leute, die als Agenturmitarbeiter und PR-Fuzzis die Redaktionen mit Texten zuballern. Motto: „Ich habe hier eine tolle Geschichte für euch.“
Wer die Serie eifrig mitverfolgt hat, weiß, dass dieser ganze Bulli-Kram bei uns gelöscht wird.
Nur einmal die Mail-Zahlen für den 2. Mai 2018
130 „werthaltige“ Mails an die Redaktion konnten ohne Federlesen sofort gelöscht werden. Nachrichtenmüll, der anderswo natürlich trotzdem veröffentlicht wird. Solange alle diese überbezahlten Agenturen ihren Informationsschrott auch noch loswerden, hören sie nicht auf und es wird immer schlimmer mit der „Informationsflut“, die eigentlich eine Junk-Flut ist.
Waren auch ernsthafte Meldungen dabei?
Ja: 14 Stück. Darunter auch die erwähnte Pressemitteilung der Stadt zur Einweihung des Froschbrunnens. Die Pressemitteilung war natürlich vorher schon fertig. In der Regel bekommen die Journalisten diese vor Ort in Papierform ausgehändigt, damit sie schon mal wissen, was drinsteht. Und was nicht. Das, was nicht drinsteht, erfragt man dann vor Ort. Oder man bekommt mit, dass einer der Zitierten gar nicht kommen kann, weil irgendwas dazwischengekommen ist – in diesem Fall OBM Burkhard Jung.
Burkhard Jung war wirklich nicht da
Was man natürlich nicht erfährt, wenn man Meldungen nur noch am sogenannten „Newsdesk“, also im Büro irgendwo auf dieser Welt sitzend abarbeitet. Was beim LVZ-Online-Artikel der Fall zu sein scheint. Eine handvoll Redakteure sitzt nur noch an diesem Sammeltisch in der Redaktion und tackert die Meldungen so, wie sie reinkommen, hastig ins System – Tempo, Tempo, Tempo. Ein bisschen umformuliert, damit es nicht so aussieht, dass man doch nur die eine Pressemitteilung zur Grundlage hatte.
Unser „Melder“ arbeitet seit nun über fünf Jahren so ähnlich – aber doch ein bisschen anders: Wir formulieren nichts um, sondern geben die Pressemitteilungen, die wir für informativ halten, so raus, wie sie reinkommen – mit dem Absender als Autor. Wir behaupten nicht, wir hätten das selbst verfasst. Aber weil es relevante Informationen sind, geben wir es an unsere Leser weiter.
Auch mit Zähneknirschen. Denn viele dieser Meldungen sind ja auch durchaus mal verpasste Geschichten, denen man nachgehen könnte. Denn normalerweise wird das Material erst richtig relevant, wenn auch wirklich ein Redakteur da ist, hingeht, vor Ort registriert, was passiert, Fragen stellt.
Und da sind wir bei dem Problem, das allen ernsthaften Medien heute zu schaffen macht: Wenn sie immer weniger Journalisten bezahlen können, sind immer weniger richtige Redakteure tatsächlich dort, wo Dinge geschehen. Vor Jahren schon haben die nicht ganz so ernsthaften Medien angefangen, an dieser Stelle mit „Leserreportern“ zu arbeiten, sich einfach Bilder und Eindrücke von irgendwelchen zufällig vor Ort Gewesenen zusenden zu lassen.
Das Ergebnis ist ziemlich wassersuppig, eine Art „Facebook light“ und Gerüchteküchen entstanden. Und solche „Newsseiten“ wie „Tag24“ erblickten das Licht der medialen Unterwelt (nein, da linken wir bestimmt nicht hin, dafür mal auf den Sprachlos-Blog, der sich damit bereits befassen konnte).
Auch aus einem Grund, der gern vergessen wird: Journalisten haben in der Regel gelernt, was man alles abfragen und aufnehmen muss, damit die Geschichte seriös und belastbar wird. Es ist in der Regel ein Handwerk, das man genauso ernsthaft lernt wie Zimmerer, Dachdecker oder Programmierer. Journalisten sollen die Zeit zum Nachgehen haben, während die Leser ihre Arbeit machen – und diese Zeit nutzen können, am Ende belastbare Ergebnisse zu liefern. Es geht im Kern also um Vertrauen, Glaubwürdigkeit und die Vereinbarung: kümmert Euch drum, geht hin, schaut nach und erzählt die Wirklichkeit so gut es geht. Das ist mir 8,25 Euro im Monat wert.
Und eigentlich wissen es die meisten Leser auch – denn diese Ansprüche werden ja auch täglich an uns per Mail, Facebook, Chats und Anrufen herangetragen. Man traut uns zu, die richtigen Ansprechpartner zu finden, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Fakten herauszufinden und am Ende in einer gut lesbaren Geschichte ein wichtiges Stück Wirklichkeit sichtbar machen zu können.
Aber wir vermuten jetzt einfach mal ganz freundlich, die noch verfügbaren Lokal-Redakteure der LVZ waren am 2. Mai auf anderen Terminen. Denn in der Regel finden mehrere Termine parallel statt. Alle – aus Sicht der Einladenden – ganz, ganz wichtig.
Aber die LVZ hat eben auch nicht mehr so viele Leute „on the road“. Auch Madsack sei „Dank“ verlagert der Hannover Mutterkonzern Journalismus „nach oben“.
Weniger Leute aber heißt
Weniger ordentlich gemachte Geschichten, mehr Agentur-Meldungen von DPA usw..
Weniger belastbare Nachrichten über das, was draußen geschieht, zunehmend eindimensionale Sichtweisen.
Weniger Nachfragen, Nachhaken und Dranbleiben, dafür schnelles Weiterreichen von PR.
Weniger bearbeitete Themen, weniger relevante Berichterstattung.
Immer weniger Wissen der Leser über das, was in ihrer Gesellschaft wirklich vor sich geht.
Und es bedeutet immer mehr Platz für die großen Fakenews-Schleudern. Die den Raum dann natürlich füllen mit all dem Junkfood, was sie tagtäglich ohne all diese Mühen und Aufwendungen produzieren. Das funktioniert ganz einfach mit Copy & Paste, die Überschrift noch aufbrezeln, bis sie blutet, und raus damit und die (Neu-)Gier der eh schon überdrehten Leser abgreifen und die ganze Zeit am Zappeln halten.
Da vergisst man dann schnell, dass seriöse Geschichten Zeit brauchen, Leute, die vor Ort fahren, sich alles anhören und begucken und hinterher – aus eigenem Erleben – aufschreiben, was geschah.
So beginnt das. Und natürlich steht die Frage: Wollen wir so eine Welt, in der wir mit buntem Unfug zugemüllt werden? Oder wollen wir wirklich wissen, was passiert?
Die Frage lassen wir hier einfach mal stehen. Auch in dem Wissen, dass wir jeden Tag mindestens zehn wichtige Geschichten NICHT erzählen konnten, weil noch nicht genügend Unterstützer für die L-IZ.de gefunden sind. Denn nun (Stand Mai 2018) 700 Freikäufer sind eben keine 1.500 – oder? Und so fehlt die Kollegin und der Kollege neben uns halt. Und das natürlich, weil wir die zusätzlichen Menschen nicht bezahlen könnten. Wir arbeiten ja auf keinem breiteren Fuß als die LVZ, das zu behaupten, wäre anmaßend.
Doch so richtig hat sich noch lange nicht herumgesprochen, was es bedeutet, wenn Medien keine Kraft mehr haben, hinter die Kulissen zu schauen. Wenn sie sich in allzu starke Abhängigkeiten von Werbekunden begeben und beginnen „Geschichten auszusparen“.
Geht doch auch so, oder? Irgendjemand schüttet doch die ganzen Kanäle voll mit irgendwelchem schnell gemachten GANZ WICHTIGEN Nachrichten. Wie zum Beispiel der, was Burkhard Jung am 2. Mai am Leipziger Froschbrunnen so alles gesagt hat. Obwohl er gar nicht da war.
Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.
Jetzt spuckt der Frosch auf dem Rabensteinplatz wieder Wasser
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