LeserclubWo Kollege S. glaubte, in einer Chandlerschen Ganovenklamotte gelandet zu sein, wurde Herr L. das Gefühl nicht los, in einer Teufelskomödie gelandet zu sein, in der sich alles in irren Kreisen auf den großen Hexensabbat zubewegte. Auch wenn er bei Don Leone nie so recht wusste, welche Rolle der spielte – die des Magiers oder die des ausgebufften Wohnungsverwalters. Aber was war dann Mamma Mias Hexenküche?
Denn genau da landete ja Herr L. an jenem Tag, an dem der rosa Dunstschleier über dem Städtchen L. nicht weichen wollte und der Polizeibericht lauter seltsame Vorkommnisse schilderte, die so überhaupt nicht zum sonst so friedlichen Alltag dieses beschaulichen Örtchens zu passen schienen, mal von den paar Einbrüchen in Keller und Scheuern zu schweigen, die ortsüblich geworden waren, seit alles nur noch ein einziges Rührei war. Oder den paar Ladendiebstählen, bei denen es um meist höherprozentige Spirituosen ging.
Die Wandbeschmutzer, die in einem fort an die Wände schmierten „Der B. ist doff!“, waren in der Regel nachts unterwegs.
Aber Gänsediebstähle waren lange nicht vorgekommen, bestätigte die Polizei all den anrufenden Reportern (und das waren wirklich nicht mehr viele), und der Diebstahl von feiner Damenunterwäsche frisch von einer Leine im Innenhof eines – jawollo – beschaulichen Anwesens war ebenso nicht alltäglich. Zumindest machte man sich in einem internen Plausch der Polizeikommissare schon Gedanken, ob da nun ein besonders verquerer Triebtäter unterwegs war oder die Armutsdelinquenz jetzt auch in L. neue Formen annahm. Aber so recht schlau wurde man aus den Vorfällen nicht. Jedenfalls nicht in dieser recht lustlosen Runde treuer Staatsdiener, die nach dem ganzen Hin und Her in dieser Woche sowieso keine rechte Lust mehr hatten, überhaupt noch bedeutungsvoll durch die Stadt zu fahren.
Erst am Morgen hatte man sie wieder zurückgepfiffen, sie sollten sich nun doch nicht um die Vorgänge am Herrmannkai kümmern. Und nächtliche Ruhestörungen vor den Häusern bekannter Persönlichkeiten dieser Stadt, die teilweise schon als fertig vorformulierte Anzeigen auf ihren Schreibtischen lagen, sollten sie vorerst auch nicht weiter verfolgen, es liefen derzeit Gespräche auf höherer Ebene.
Und dass überhaupt von dieser seltsamen Tatenlosigkeit gestandener Polizeibeamter mit mehr oder weniger diensteifrig absolvierter Laufbahn jemand Kunde erhielt, hatte mit Don Leones besonderen Beziehungen zur Milizia zu tun. Denn wer in L. in Frieden leben wollte, der unterhielt spendable Beziehungen zu feinfühligen Kommissaren, die Verständnis dafür hatten, dass die Kulturen in bella italia und im strengen Germania ein klein bisschen verschieden waren. Das war schon den einen oder anderen guten Espresso wert. Und einen netten kleinen Parmaschinken und vielleicht auch das eine oder andere schnuckelige Weinchen aus dem Mezzogiorno.
Keiner fragte, wo das lag.
Polizisten in L. waren belesene Menschen und konnten leuchtende Augen bekommen, wenn ihnen der freundliche Herr Leone etwas vom Land erzählte, wo die Zitronen blühen.
Und was erzählte er Herrn L., als er ihn wortgewaltig bei Mamma Mia ablud, jener resoluten Dame mit der furiosen Frisur, die alle Welt für die leibhaftige Mutter dieses Energiebündels hielt? Und die er auch so behandelte: erfurchtsvoll, schwärmerisch wie ein richtiger Sohn der südländischen Sonne, und nur voll des Lobes für ihre Kochkünste, die Herr L. tatsächlich vorgeführt bekam, während Don Leone ihm die säuberlich getippten Seiten mit dem Loblied auf einen allseits bekannten und umtriebigen, beliebten und nimmermüden italienischen Unternehmer in die Hand drückte, das am nächsten Tag dort in der Zeitung stehen sollte, wo eigentlich die Seite mit den verramschten Immobilien und das lange Bürgermeisterinterview stehen sollten.
„Streichen Sie ruhig ein bisschen darin herum, mein Lieber! Setzen Sie Pointen! Ein paar feine Beleidigungen für den Herrn Leone, machen Sie nur!“
„Aber warum? Das ist doch nicht mein Text!“
„Doch, mein Lieber. Morgen ist es Ihr Text. Und soll ich Ihnen was sagen, mein Sportsfreund“, raunte der zufriedene kleine Mann Herrn L. ins Ohr, während er ihm aus einer riesigen Flasche so ein italienisches Tröpfchen einschenkte, dessen Namen man nur aussprechen kann, wenn man drei Gläser dieses Tröpfchens getrunken hatte. „Sie werden mich lieben dafür.“
„Also so eine Art Zaubertrank?“
„Gut pariert. Nein. Für den Zaubertrank ist meine Mamma mia zuständig. Die werden Sie nachher küssen vor Lust, das verspreche ich Ihnen. Aber das hier, mein Lieber, das ist Ihre Sicherheitspolice, ihr Versicherungsscheinchen ..“
„Wofür? Ich besitze doch nichts? Ich bin, wie sie sicher wissen, nur ein …“
„Ich weiß. Deswegen gibt es da draußen und da drüben und da oben“ – Don Leone zeigte tatsächlich in alle Richtungen, außer nach unten, da war ja der riesige mittelalterliche Keller mit seinen Weinvorräten – „lauter Leute, die haben Sie zum Fressen gern.“
„Das weiß ich doch.“
„Aber Sie wissen nicht, was sich solche Leute ausdenken, wenn sie glauben, dass sie zutiefst verärgert sein sollten …“
„Na ja …“
„Eben“, sagte Don Leone. „Weißt du, mein Lieber, was dein großer Freund Oleg gerade macht?“
„Der wird noch ausschlafen. Der ist nicht so …“
„Dein Freund Igor und meine lieben Cousins stehen jetzt vor Deinem Haus und gucken fünf dicke fette Burschen mit Visagen wie Edamerkäse an.“
„Versteh ich n…“
„Doch, verstehst du nur zu gut. Deine Freunde, über die du so viel schönen Text geschrieben hast, sind eigentlich nur kleine große Feiglinge. Die kommen immer von hinten herum, verstehst du?“
„Hintenherum? Du meinst, sie rufen beim Chef an und machen mich madig?“
„Das machen sie, wenn sie Verstopfung haben, aber nicht, wenn sie mies drauf sind. Dann werden sie – wie heißt das so schön bei euch hier? Nickelig. Oder ningelig? – Ist auch egal. Jedenfalls hintenrum, klammerheimlich, wie die Füchse. Schon wieder so ein Tierchen. Nimm’s mir nicht übel … Mach schön viel Peperoni rein, liebste Mamma Mia“, brüllte Don Leone durch die Küche, denn am Herd sprutzelte und brutzelte es, war die kleine Frau schnaufend dabei, ein Gericht zusammenzuzaubern, in dem viel d’oglio und penne vorkamen, ohne dass sich L. den Namen des berühmten Leoneschen Familienrezeptes auch nur hätte merken können. Und Mamma strahlte und warf die Zutaten mit beiden Händen in die Pfanne, während Don Leone seinen Gast sanft an der Stirn berührte. „Das musst du benutzen, du Träumer. Sie schicken fünf von ihren kleinen Kraftwürstchen in deine Straße, zu deinem Haus, zu deiner Tür, wo du weißt, dass man nur ein bisschen dagegentreten muss, und schwups steht die ganze Fußballmannschaft – na?“
L. dämmerte das schon. Aber vorstellen wollte er sich das nicht. Irgendetwas sträubte sich auch nur gegen den Gedanken.
„Vor deiner Wohnungstür.“
Mascha, dachte L. nur. Und jetzt zählte das kleine Männlein in seinem Kopf tatsächlich eins und zwei und drei zusammen und der automatische Reflex ließ ihn natürlich hochschnellen, womit Don Leone gerechnet hatte, der ihn sanft zurückdrückte in die Polsterbank.
„Siehst du? Ich bin nicht dumm, mein Lieber L. …“
„Das hätte ich auch nie …“, sagte L. Und das stimmte auch. Dieser ganz und gar nicht lustige Italiener war wahrscheinlich der einzige Ganove in dieser Stadt, den er bis jetzt tatsächlich ernst genommen hatte. Und dem er wirklich ein paar clevere Winkelzüge zutraute, sonst hätte er es nie geschafft, sich in diesem Nest der grimmigen Mienen, beleidigten Rücken und falschen Freundlichkeiten auch nur drei Jahre zu behaupten.
Da wusste L. noch nicht, was Don Leone ihm nachher noch zeigen würde.
Aber jetzt sahen sich beide recht aufgeweckt in die Augen, L. tatsächlich zum ersten Mal richtig munter an diesem Tag.
„Wie gesagt: Ich bin nicht dumm. Und wenn ich mitten in der Nacht so einen Besuch bekomme, so mit Madonna und Oleg und dem nervösen Herrn L. im Auto, dann weiß ich, wen ich morgen früh aus den Federn klingeln muss.“
„Mich?“
„Nein, meine drei schönsten Cousins und deinen Kumpel Oleg mit seinem Kumpel Oleg. Sollteste mal hören, wie so ein verflixter Russe fluchen kann, wenn man ihn mitten aus dem Schlaf klingelt. Und ich hab’s lange klingeln lassen, weißt du?“
„Kann ich mir v…“
„Und wenn er nicht abgenommen hätte, wäre ich mit meinen Cousins selbst hingefahren und hätte ihm die Scheiben eingeschmissen mit meiner besten Flasche Vino Rosso, kannst du glauben.“
„Aber warum …?“
„Wie gesagt, du kleiner Menschenkenner: Man ärgert die Pomeranzen im Land der sauren Äpfel nicht einfach so und bringt sie um ihren geliebten Schönheitsschlaf. Da werden sie grimmelig und grantelig. Und jetzt stehen sich meine Kumpels und deine Kumpels und diese fünf Meister mit breiten Schultern auf deiner Straße vor deinem Haus tapfer gegenüber wie die Helden von Lanzelot.“
„Aber …“
„Nichts aber. Entweder packen die fünf Fettsäcke ein oder … oder unsere Jungs machen Ennio Morricone mit ihnen. Und dass wir bessere Western machen als diese Herren Fettnacken im feinen Anzug, das verspreche ich dir. Darauf einen Don Camillo!“
„Ich bin aber nicht in der Kirche.“
„Na und? Du musst nur die richtigen Worte haben, dann hört ER dir auch zu, scheißegal, ob du drin bist oder ein heimlicher Peppone bist.“
„Weder noch.“
„Schummeln is nicht. Trink nur. Auf deine Gesundheit. Und: Mascha weiß Bescheid.“
Und die Kasserollen schepperten und irgendein erschrecktes Geflügel versuchte Mamma Mias fleißigen Händen zu entkommen, während sie die Penne am Dampfen hielt und die Pfanne überm Feuer balancierte und etliches Gemüse in Gehacktes verwandelte.
Und hätte L. nicht das stille Gefühl gehabt, dass Don Leone tatsächlich meinte, was er sagte, wäre er jetzt wohl aufgesprungen und durch die halbe Stadt gejagt, um sich wirklich zu überzeugen, ob sich in seiner Straße zehn bullige Kerle grimmig gegenüberstanden und fünf von denen nicht wussten, wer jetzt den Mumm haben sollte, den Chef anzurufen.
„Siehstu? Bekommst sogar wieder Farbe im Gesicht.“
„Aber dafür haben Sie mich nicht zu ihrer Mama gebracht.“
„Wie werde ich“, tat Don Leone empört. „Wie könnte ich. Lies den Text. Den braucht nachher dein Spannemann in der Redaktion. Der muss nämlich noch vier Seiten füllen heute.“
„Aber wir haben doch …“
„Vergiss es. Wenn die Schakale nicht wollen, dass alle erfahren, wer die besten Happen gekriegt hat, dann steht davon nichts in euerer Zeitung. Nicht ein Fitzelchen. Capito?“
„Aber es stimmt …“
„Eben“, sagt Don Leone. „Trink noch einen. Tut dir wirklich gut.“
„Aber ich kann doch so was nicht schreiben: ‚Herr Leone weiß sehr gut, wie man auch mit den Gefahren und Niederschlägen im Leben eines tüchtigen Unternehmers umgeht‘. Das klingt ja, als wenn ..“
„… ich dich dafür bezahlt habe?“
„Nein. Als wenn Sie sagen: Freunde, ich weiß, wo euer Scheiß Auto steht.“
„Hast du jetzt Scheiß gesagt?“ Don Leone strahlte über beide Backen. War das das unaussprechliche Tröpfchen? „Ist ja süß.“
Und dann wurde er ernst, als hätte er den strahlenden italienischen Sonnenschein in seinem Gesicht einfach ausgeschaltet. „Falls es deine Freunde …“
„… die nicht meine Freunde sind …“
„… heute morgen noch nicht geschnallt haben, lesen Sie es morgen in euer hübschen kleinen Zeitung. Und zwar in einem Artikelchen, in dem der sonst als so spröde bekannte Herr L. die Familienrezepte von Mamma Mia lobt, als hätte er ein ganzes Fläschchen Likör dabei getrunken und mit Herrn Leone persönlich die Capri-Fischer gesungen …“
„Ich kann nicht …“
„Musst du auch nicht. Musst nur korrigieren, was dir nicht gefällt. Der Satz aber …“
Und Don Leone pochte auf den Satz mit dem tüchtigen Unternehmer – „Das bleibt drin. Das ist euer Versicherungsscheinchen. Deins und das von deinem Kollegen S., der mich nachher noch anrufen wird …“
„Woher wollen Sie …“
„Das hab ich in der Nase. Genau wegen demselben Satz. Und dem werde ich nichts anderes sagen, caro mio. Und nun auf die Plätze. Du wirst essen und wünschen, nie geboren zu sein.“
„Kocht sie so …“
„Wart’s ab. Mamma mia ist ein Engel. Und wer an diesem Tisch sitzen darf, der weiß, was es bei Maria im Himmel zu Essen gibt.“
„Da komm ich aber nicht hin.“
„Ich weiß. Ich auch nicht.“
Und dann schaute Don Leone wieder mit voll entfalteter Lebensfreude auf die dampfenden Portionen, die Mamma Mia auf die Teller schaufelte. „Und Mamma Mia auch nicht, hab Erbarmen, aber was Sie schon alles angestellt hat, das wird sie dir erzählen, wenn wir alle drei vorm Teufel stehen und der Kerl uns fragt, ob’s schön gewesen ist da oben. Und was sag ich dann?“
„Schön aufregend? Bisschen verregnet? Bisschen düster in diesem Land des traurigen Sauerkrauts?“
„Könntest du Recht haben. Aber dem Diablo werde ich sagen: Dem da hab ich den Hintern gerettet. Und die da hat meinen Hintern hundert Mal gerettet. Und jetzt bist du dran, du alter Bock. Zeig, was du kannst.“
Und er lachte wiehernd, wie ein Bock eben. Während L. ganz ernsthaft alle Adjektive aus dem Text strich, in denen es gemütlich war, heimelig, kuschelig, köstlich und gastfreundlich zuging. Da waren eine Menge roter Striche, die den Text auf etwas zusammenschnurzeln ließen, was man tatsächlich noch als die Geschichte eines netten italienischen Küchenjungen lesen konnte, der eines Tages nach Norden wanderte, um gegen große Drachen, Bären und andere Ungeheuer zu kämpfen. Und am Ende dastand und pausbäckig in die Sonne schaute, während ihm Mamma Mias Potzblitzsoße auf der Zunge zerging.
„Himmlisch“, sagte er.
Und ein Fetttropfen rann Don Leone von der Lippe. Ein großes Seufzen entrang sich seinem Leib.
„Dafür also die ganze Show?“
„Nein, caro mio. Die große Show kommt erst noch. Aber du musst nicht alles wissen.“
„Doch“, wagte L. zu widersprechen. Ein klein bisschen, denn seit er Happen um Happen von Mamma Mias Familienspezialität zu sich nahm, hatte er ein ganz und gar ungehöriges Gefühl, so ein biblisches, fast babylonisches. Er fühlte sich tatsächlich geneigt, aufzuspringen, und Mamma Mia zu küssen, so, wie man die Welt küsst, wenn man freudetrunken ist.
Dass er überhaupt mal ein Gefühl wie freudetrunken haben könnte, hätte er noch gestern oder vorgestern nicht gedacht. Vorvorgestern schon. Aber da war es Mascha gewesen. Und der Mond.
„Bevor du überschwänglich wirst, mein Lieber, zeig ich dir noch meine Hunde?“
„Ihr habt Hunde?“
„Du wirst es sehen. Komm.“
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