Für FreikäuferEs wird zwar viel geschrieben über Fakenews in heutigen Medien. Und in Kürze besprechen wir auch mal ein kluges Buch dazu, in dem sich einer, der nicht so vergesslich ist, damit beschäftigt, wie Desinformation schon immer Teil der Medienwelt war. So brav und aufmerksam, wie sich einige klassische Medien heute geben, waren sie nicht immer. Die offene Flanke war immer die prekäre Nähe zum Zirkus.
Denn das, was heute Milliarden Leute quasi zu Selfmade-Redakteuren auf Facebook macht, das gab es auch in klassischen Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern immer. Leute erfanden einfach mal ein paar Nachrichten oder gleich die ganze Geschichte, andere nahmen dankend an, was ihnen der Postbote brachte, bretzelten es noch ein bisschen auf und dann raus damit mit Musik.
Es ging, seit Medien miteinander konkurrieren, immer um Aufmerksamkeit. Wer die Leser, Zuhörer, Zuschauer mit seiner Story in Bann schlagen konnte, machte das Geschäft. Egal, ob sie erstunken und erlogen war. Oder ein bisschen zu opulent geraten, etwas skandalisiert oder so scharf gewürzt, dass der Held der Geschichte sich genötigt sah, die Redaktion mit ein paar blauen Bohnen einzudecken.
Wer lesen will, wie das damals war im wilden Zeitungs-Westen, dem sei Mark Twains „Durch dick und dünn“ empfohlen. Aber auch in deutschsprachigen Landen gab es damals schon Zeitungsskandale, in denen geschwindelt, gebalzt und auf den Quark gehauen wurde. Das alles ist nicht neu. Und nicht immer waren Journalisten die Tugendwächter der Wahrheit. So verstanden sich viele oft auch gar nicht. Das große Buch über die Abhängigkeiten der Medien ist noch gar nicht geschrieben. Sie sind nicht nur von der „Quote“ abhängig, die sie oft genug zu regelrechten Leserflüsterern machten. Was am Ende sterbenslangweilige Produkte ergibt. Wer sich immer nur an seine Leser kuschelt, erzählt am Ende nur noch über Feuerwehrfeste, Geburtstagsfeiern im Seniorenheim und den eigenen Wettbewerb um den niedlichsten Wonneproppen.
Und natürlich wird dann nicht mehr über die eigentlichen Probleme der Gesellschaft berichtet. Übrigens auch so ein Punkt, der mir auffiel in dieser ganzen Berichterstattung über Demokraten, Liberale und (Rechts-)Populisten: Die Schreihälse von der rechten Bank bekamen viel mehr Raum eingeräumt, als alle linken Parteien je bekommen haben. Auch das kann mediale Darstellung bewirken: Das Ausblenden ganzer politischer Strömungen, die auf der Ebene der Redaktionsleitung nicht opportun sind.
Versuchen Sie einfach mal alles zu lesen, was über Linke, Grüne und SPD auch in deutschen Leitmedien berichtet wird: Sie tauchen dort fast nur auf, wenn es bei ihnen richtig Zoff gibt. Worüber sie sich ja schon freuen dürfen. Denn das, was Bernie Sanders in seinem Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten erlebt hat, ist noch ein paar Nummern schärfer.
Im Kapitel „Die Medienkonzerne und die Bedrohung unserer Demokratie“ in seinem Buch „Unsere Revolution“ beschäftigt er sich auch mit der Berichterstattung über seinen Wahlkampf, der insofern positiv betrachtet wird, weil Sanders als ernst zu nehmender Konkurrent von Hillary Clinton überhaupt erst einmal Medienaufmerksamkeit bekam. Er betrachtete den Zweikampf durchaus als wichtiges Mittel, um seine Ideen überhaupt erst einmal einem größeren Publikum vermitteln zu können.
Was bekanntlich auch bei einigen deutschen Kommentatoren schlecht ankam, die Sanders ernsthaft verübelten, dass er Hillary Clinton das Leben schwer machte.
Was dann seine vielen vor allem jungen Wähler ganz anders sahen. Denn Bernie Sanders drehte ihnen eben nicht die alten neoliberalen Heilsrezepte an, sondern redete über ihre Probleme. Und mal ehrlich: Steuern und Flüchtlingsproblematik sind wirklich nicht die Probleme der kleinen Leute.
Sanders: „Für die Medienkonzerne sind die realen Probleme des amerikanischen Volks – Armut, der Niedergang der Mittelschicht, Einkommens- und Vermögensungleichheit, Handel, Gesundheitsfürsorge, Klimawandel und so weiter – ziemlich irrelevant. Sie sehen Politik vorwiegend als Unterhaltung.“
Ist das ein spezifisch amerikanisches Problem?
Nein. Das trifft (vielleicht ein wenig in Watte gepackt) auch längst für Europa und Deutschland zu.
Sanders: „Von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, sind Journalisten darauf geeicht, Wahlkämpfe als eine Art Gameshow, Baseballspiel, Seifenoper oder als eine Abfolge von Konflikten zu betrachten.“
Streitereien und Skandale dominieren die Wahrnehmung von Politik. Was natürlich genau den Effekt hat, der so verblüfft: Mit jeder Rüpelei, jeder kleinen Stänkerei schafften und schaffen es die Krawallmacher vom rechten Rand, sofort eine riesige mediale Empörungswelle auszulösen und damit ihr Thema und ihre Sicht der Dinge wieder zentral und in vollem Scheinwerferlicht zu platzieren. Sie sorgen genau für die Schlammschlachten, die rückgratlose Medien so lieben.
Sanders: „Die politische Berichterstattung inszeniert das Drama des Wahlkampfs. Mit den Bedürfnissen des amerikanischen Volks und den Ideen und Programmen, die Kandidaten zu ihrer Befriedigung und zur Lösung der Probleme anbieten, hat sie wenig zu tun. Der größte Teil der Berichterstattung thematisiert die Personen der Kandidaten. Die tiefe Krise, in der unser Land steckt, spielt kaum eine Rolle.“
So weit entfernt davon sind wir nicht. Das Polit-Entertainment spielt Leuten in die Hände, die die Kunst der Selbstdarstellung perfekt beherrschen. Sebastian Kurz in Österreich, der Kandidat der ÖVP, hat es gerade wieder perfekt vorgeführt. Berlusconi hat diese Kunst beherrscht (und war quasi der Lehrmeister für Trump).
Medien, die Berichterstattung so begreifen, sorgen dafür, dass nicht nur dieser Typus Politiker belohnt wird mit jeder Menge Aufmerksamkeit (und am Ende auch mit Wählerstimmen), sondern auch die Themen dieser Bildschirmlieblinge dominieren. Wenn überhaupt noch Themen dominieren, und nicht lauter Befindlichkeiten, Animositäten und inszenierte Empörungen. Inhalte? Gar die oben von Sanders aufgezählten?
Kann man mit der Lupe suchen.
Die Inszenierung dominiert. Und auch dadurch wird die Wirklichkeitswahrnehmung verschoben. Die Entertainer sind allgegenwärtig. Die Politik passiert als Show. Für die Recherche zu den medialen Blitzen fehlen Zeit und Leute. Die Meute zieht dem Zirkus hinterher. Übrig bleibt ein Platz mit zertretenen Pappbechern, verlorenen Winkelementen und Fanpostkarten.
Wie Trump tatsächlich zum Präsidenten gehypt wurde, kann Sanders aus einem Blog von Eric Bloehnert zitieren, der gründlich analysierte, wie viel Bildschirmpräsenz die unterschiedlichen Kandidaten schon 2015 bekamen. Trump hatte schon weit vor seiner Kür zum Kandidaten der Republikaner ein 200-faches an Bildschirmpräsenz gegenüber Sanders. So entsteht natürlich kein Streit der Ideen.
Was sage ich. So etwas Unverfrorenes: Wer streitet denn heute noch über Ideen?
Es ist genau das, was politische Berichterstattung so bunt und flach und gehaltlos gemacht hat. Auch hierzulande. Was Schwätzern erst allen Raum verschafft hat, sich medial zu inszenieren. Und dann stellen sich gut bezahlte Kommentatoren hin und behaupten, sie hätten so was nicht geahnt …
Ach nö.
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