Die High-Tech-Jungs aus dem Silicon Valley haben zwar meist die groรe Klappe. Aber sie wissen nicht wirklich, was sie tun. Sie sind Techniker und sehen alles, was sie planen, umsetzen und milliardenfach wirken lassen, durch die Brille von Ingenieuren. Sie beschรคftigen sich nicht wirklich damit, was ihre tollen neuen Erfindungen mit dem Menschen anstellen. Und welche fatalen Effekte sie verstรคrken. Sie erfinden ja keine neuen Menschen โ aber multiplizieren die Schwรคchen des alten.
Gerade Facebook mit seinen von Gewinnmaximierung getriebenen Algorithmen macht es deutlich. Mark Zuckerberg hat eine Maschine erfunden, die den Menschen in seiner Informationsblase hรคlt und ihn regelrecht abschneidet von den Korrekturen, denen ein Mensch normalerweise im Alltag ausgesetzt ist. Menschliche Gesellschaft ist normalerweise auch ein Korrekturraum.
Am Arbeitsplatz, im Gemeinderat, in der Kirchengemeinde, in der Familie, in der Nachbarschaft mรผssen Menschen es aushalten, dass sie mit anderen Menschen zusammenkommen, die anders denken, fรผhlen, leben. Oft halten sie es nicht aus โ nรคmlich dann, wenn die Blase dicht ist, wenn der Herdentrieb dominiert und sich Menschen in Phantasiewelten eingerichtet haben. Oder darin eingesperrt sind, weil sie glauben, ein Verlassen der Blase wรผrde Ausgrenzung und Verstoรung nach sich ziehen.
Passiert in der menschlichen Realitรคt viel zu oft und immer wieder.
Die Ideen von Demokratie und Republik sind Erfindungen, die kluge Leute gemacht haben, um diese fatalen Blasen zu รถffnen und Menschen dazu zu bringen, รผber ihre Differenzen zu reden. Differenzen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Aber was passiert, wenn neue Techniken Menschen das Gefรผhl geben, dass Differenzen die unerwรผnschte Ausnahme sind? Ich kann das hier einfach schreiben. Weil ich weiร, dass wir hier unter uns sind. Kรถnnen Sie ruhig glauben: Wir sind hier in einer Blase.
Keiner abgeschlossenen. Es kann jeder hereinkommen, der will. Aber die meisten Leute kommen hier nicht her. Weil sie hier etwas Unbequemes vorfinden: eine kritische Sicht auf die Welt, die sie nicht teilen. Und damit meinen wir nicht nur die Nulldenker aus dem rechten Spektrum und die Leute, die mit Fernseh-Soaps glauben, alles zu erfahren, was man zum Leben braucht. Auch die meisten Leute, die in dieser Stadt eine groรe Klappe haben, lesen hier nicht. Es wรผrde ihre Denkweisen stรถren, Unruhe in ihre Gedanken bringen. Das so Glattgeschliffene ihrer Meinungen lรคdieren.
Wer nachdenklicher wird, wenn es um die Wirklichkeit geht, hat nicht mehr die groรe Klappe. Der bekommt es mit Zweifeln und Fragen zu tun.
Wir haben sehr viele Groรe-Klappe-Menschen, aber viel zu wenige Frager und Zweifler.
Der Mensch ist ein denkfaules Wesen. Jedenfalls der jetzige in seiner Mehrheit. Ob es kรผnftig anders sein wird, weiร ich nicht. Vielleicht muss die menschliche Zivilisation tatsรคchlich erst einmal kollabieren, bis die รberlebenden begreifen, wie wichtig es ist, das Ding da im Kopf auch so zu benutzen, wie es vernรผnftig ist. Das lernt man heute meistens nicht.
Denn unsere Gesellschaft macht es dem Einzelnen leicht, in Filterblasen zu verschwinden und dort nur noch in Echokammern der immer selben Denkweisen zu โ vegetieren, sag ich mal. Mehr ist das ja nicht. Es spart eine Unmenge an Energie, wenn man immer nur mit Leuten zu tun hat, die dasselbe sagen, denken, meinen. Das war schon vor Facebook & Co. so. Algorithmen verstรคrken diese Abschottung nur noch. Und sie sortieren die klassischen Medien aus gutem Grund aus: Die sind, wenn sie gut sind, Filterblasen-Stรถrer. Sie geben Anregungen und Widerworte und Stรถrfeuer fรผr Filterblasen.
Kein Wunder also, dass Facebook gerade daran herumexperimentiert, die Medienseiten (und andere Unternehmen) in eigenen Netzwerk aus den Timlines der Nutzer zu entfernen โ sollen sie doch Geld zahlen, um gesehen zu werden. Der zahlungskrรคftige Mainstream wird bleiben. Und die รถffentlich-rechtlichen natรผrlich.
In seinem Buch โDie informierte Gesellschaft und ihre Feindeโ geht der Kommunikationswissenschaftler Stephan Russ-Mohl am Ende auch auf die Frage ein, wie wir die Zerstรถrung unserer Medienlandschaft mรถglicherweise verhindern kรถnnen.
Das wird so nicht gelingen, wie er es beschreibt.
Aber er legt den Finger in die Wunde, die auch den meisten Kommunikationswissenschaftlern gar nicht bewusst ist: Es gibt gar keine informierte Gesellschaft. Die meisten Menschen sind โ darauf ging ja auch Jason Brennan in โGegen Demokratieโ ein, ungebildet, ignorant, unkritisch, unbelesen. Uninformiert. Sie wissen nicht einmal, wen sie wรคhlen, wenn sie am Sonntag zur Wahl gehen, informieren sich nicht รผber Politiker, Wahlprogramme oder das Funktionieren unserer Gesellschaft. Das ist in den USA nicht anders als in Germany.
Man sagt, was alle sagen (zumindest alle in der eigenen Filterblase), versucht ja nicht anzuecken (โTu, was sie dir sagenโ), bejubelt das Alphamรคnnchen, das vorn mit Zornesglut den Ton angibt โ weswegen der Weinberg-Skandal auch kein Problem irregelaufener Emanzipation ist, sondern zeigt, wer in einer unwissenden Gesellschaft tatsรคchlich den Ton angibt โ fรผgt sich den meist stillschweigenden Erpressungen seiner Peergroup (was schon in der Schule anfรคngt) und ignoriert konsequent alles, was dieses geschlossene Weltbild (das nicht nur Nazis haben) stรถren kรถnnte.
Denn eine solche Stรถrung empfindet der Betroffene in der Regel als ganz persรถnliche Gefรคhrdung. Die geschlossenen Welt-Bilder entstehen ja, weil sie auch eine gewisse Schutzfunktion haben: Sie suggerieren eine homogene, sich gegenseitig schรผtzende Gruppe. Die Einwohner von Kuhkaff X. bilden solche Gruppen genauso wie Fuรballfanclubs, Ortsparteigruppen und Stammtischrunden.
Medien heiรen ja vor allem so, weil sie teilweise noch Vermittlungen herstellen zwischen solchen unterschiedlichen Welten. Aber das ist heute selbst Medienmachern oft nicht bewusst. Weil sie sich bei der Jagd um Quoten und Clicks fast genauso verhalten wie Herr Zuckerberg und seine toughen Freunde.
Stephan Russ-Mohl dazu: โVor allem sollten wir uns unseres eigenen Confirmation bias bewusst werden, der dazu fรผhrt, dass wir jene Nachrichten bevorzugen, die unsere Vorurteile bestรคtigen. Jeder muss zumindest wissen, dass Algorithmen uns so bedienen, dass wir uns in unserer Filterblase mรถglichst pudelwohl fรผhlen (โฆ) Die tรคgliche Portion โGegengiftโ zur eigenen Weltsicht ist wichtig, im virtuellen wie im โrichtigenโ Leben.โ
Nur so als Lesefrucht aus Russ-Mohls Buch
Nicht einmal dieses โwirโ gibt es. Die meisten Menschen werden nicht einmal mit dem Gedanken konfrontiert, dass sie in einer Blase leben und wie sie damit regelrecht manipuliert werden. Sie werden mit diesem (stรถrenden) Gedanken nicht mal konfrontiert. Nicht mal in der Schule. Sie erfahren nicht einmal, wie kritisches oder gar wissenschaftliches Denken funktioniert โ eine Art zu Denken, die bewusst so angelegt ist, dass sie alles โSelbstverstรคndlicheโ, fรผr โgewissโ Betrachtete und โAlle Leute sagen dasโ infrage stellt, immer wieder dem Experiment unterwirft und austestet: Halten die Behauptungen der Praxisbelastung stand oder nicht?
Das ist genau der Punkt, an dem wissenschaftliches und journalistisches Denken sich begegnen mรผssen. Sonst ist das Medium kein Medium, sondern ein Algorithmus zur Verstรคrkung von Vorurteilen.
Was Zuckerberg and friends anstellen, ist nichts anderes als die technische Multiplizierung dieses (falschen) Medienprinzips. Sie haben nicht begriffen, dass es einen offenen, demokratischen Diskurs nur geben kann, wenn man
- die Menschen dazu zwingt, ihre Denkblasen zu verlassen und diese nicht als die alleingรผltigen zu betrachten, und
- Standards setzt, die Journalismus unbequem machen im eben genannten Sinn: Alles, was passiert und wichtig erscheint, immerfort auf die Realitรคt und die praktischen Grundlagen hin abzuklopfen, auseinanderzunehmen und kritisch zu hinterfragen.
Das erschafft natรผrlich keine Kuschelatmosphรคre
Die Besucher dieser medialen Angebote werden fortwรคhrend dazu aufgefordert, ihre Denkweisen zu erneuern, andere Sichten wahrzunehmen, โGottgegebenesโ infrage zu stellen, Neues aufzunehmen. Es gibt kein โSo ist esโ, keine Bonbons und Autoverlosungen. Ach ja, ein Wort hab ich noch vergessen: Konzentration. Was nach Stille klingt. Aber wer ein geรผbter Leser ist, weiร, dass bei richtiger Konzentration das Feuerwerk im Kopf erst so richtig losgeht.
Aber wie gesagt: Ich vermute mal, diese Freude am Denken und Lesen teilen nur wenige Menschen. Die meisten verlassen ihre Blase nicht. Sie leben in Welten, in denen sich alle immerfort gegenseitig bestรคtigen und bauchmiezeln und unterstรผtzen, wenn es um das Niederblรถken konkurrierender Gedanken geht.
Mark Zuckerberg hat ein technisch brillantes Niederblรถk-Instrument geschaffen. Echt pfiffig der Knabe. Dass die eigentliche Herausforderung wรคre, die Filterblasen aufzulรถsen und Menschen zum gemeinsamen Denken und damit zu richtiger Kommunikation zu bringen, hat er nicht mal auf dem Schirm. Denn: Auch Mark lebt in einer Filterblase, in der er nur wahrnimmt, was sein Maschinchen noch effizienter macht und noch mehr Geld einspielt. Er mรถchte jetzt (noch stรคrker) in die Politik gehen.
Es darf uns grauen davor.
Die Serie โMedien machen in Fakenews-Zeitenโ
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Lieber Clemens Ratte-Polle,
die von dir verlinkte Seite beschรคftigt sich aus meiner Sicht hauptsรคchlich damit, dass es diese Filterblasen gibt.
Und wenn ich mich ausschlieรlich mit der Struktur von Filterblasen beschรคftige, fehlt mir die Zeit fรผr Inhalte โ also fรผr gesellschaftlich relevante Themen.
Und wenn du dich auf den Dialektischen Materialismus beziehst..
Das qualitativ Hochwertige kann zu einer Quantitรคt fรผhren, die in eine neue Qualitรคt umschlรคgt. <3
Aufmerksamsfรคhige Menschen werden gebraucht, um fรผr das ganze, groรe Bild die notwendigen Detailkenntnisse aus anderen 'Filterblasen' zu vermitteln.
Nur so, gibt es dann auch gesamtgesellschaftlich konsensfรคhige Diskussionsgrundlagen fรผr ein besseres menschliches Miteinander โ entgegen den durch Geld geschaffenen Verbindungen, Beziehungen, Mรถglichkeiten โ und das in der realen Welt.
Zugegebenermaรen sehr anstrengend, aber..
vandaag en Doodsteek, mรถrgen en Flohsteek
Ich weiร, Sprรผche helfen nicht weiter, aber manchmal vielleicht schon..?
Grรผรe aus Leipzig von Herzen
Wir leben soziรถkonomisch geprรคgt.
Die Realitรคt spiegelt sich virtuell.
Gesellschaftliche Schichten werden durch das Internet eben nicht obsolet, sondern manifestiert.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein doch!
Geld schafft Verbindungen, Beziehungen, Mรถglichkeiten : Links.
Die scheinbare Befreiung des Individuums im Internet โ durch dieses? โ schafft nur mehr Extreme.
Es geht nur um Profit, und dieser bestimmt alle Realitรคten!
Konzerne und Meinungsmacher regieren die Welt der Links, Werbung, Videos.
Insofern haben SciFi-Filme von damals Recht: Werbung allรผberall, aber komplett virtuell.
https://www.facebook.com/Filterblase-Echokammer-Filterbubble-Einfacher-mit-Listen-Freundeslisten-1746433332315724/