Für alle LeserDass diese „Leipziger Zeitung“ so kurz vor der Bundestagswahl sich mit der Wahl und ihren Vorgeplänkeln beschäftigen würde, war absehbar. Aber wie geht man mit einem Wahlkampf um, in dem alle wichtigen Themen abmoderiert werden und so getan wird, als sei alles bestens und wir könnten einfach so weitermachen? Erstaunlich ist da eher, dass es an so vielen Stellen hakt und trotzdem alle so fröhlich sind.

Natürlich geht das mit der deutschen Abschiebepolitik los. Den Umgang mit Menschen, die in einem ach so prächtigen Land wie Deutschland eine Zukunft suchen, haben wir sturen und gefühllosen Bürokraten überlassen. Echten Typen aus der Kafka-Welt, die nicht mal mehr mit der Wimper zucken, wenn sie die Abschiebe-Flieger mit Menschen füllen, die oft seit Jahren bestes integriert unter uns leben. Ihr Fehler: Sie wurden von verbiesterten Bürokraten nur geduldet. Die dann auch noch den Gerechtigkeitsapostel raushängen lassen, wenn sie Menschen wie Dhruv Patel einfach aus der Ausbildungsstelle reißen. So langsam werden auch unsere Unternehmer wütend. Und Recht haben sie.

Dass Wahlumfragen Wahlen nicht nur deformieren, sondern schon viele Monate vor dem eigentlichen Wahltag das lähmende Gefühl verbreiten, dass alles schon entschieden ist, ist natürlich auch eine Geschichte wert. Den Kollegen aus den umfrageverliebten Medien werden wir eh nicht mehr beibringen, was sie mit diesem medialen Hunderennen eigentlich anrichten. Oder wer hat da wieder ein Pünktchen verloren zur Vorwoche?

Dass auch unser Mobilitätsverhalten nicht nur dieselmäßig zum Himmel stinkt, sondern auch Stadtstrukturen und Umwelt zerstört, das wissen eigentlich auch all jene, die glauben, auf ihren fahrbaren Untersatz nicht verzichten zu können. Dumm nur, dass dieser Blechrausch der Freiheit dazu führt, dass auch Städte wie Leipzig irgendwann nicht mehr funktionieren. Gerade erst hatte die Stadtpolitik ja ein bisschen auf Vernunft umgeschaltet und dachte endlich ein wenig an den Ausbau von ÖPNV und Radverkehr. Doch im Fahrwasser einer großen autoverliebten Zeitung wird seit ein paar Wochen ordentlich reingegrätscht, werden sogar die Fakten völlig ignoriert, die die Lösung der Verkehrsprobleme wirklich nicht in mehr Straßen sehen.

Und wie ist das mit der vor 10 Jahren in Leipzig superstolz verkündeten „Leipzig Charta“? Einem echten Zukunftspapier – nur scheinen die geliebten europäischen Städte ihr eigenes Papier bis heute nicht ernst zu nehmen. Auch Leipzig nicht.

Wie sehr dann gefragte Direktkandidaten herumeiern, wenn es ans Eingemachte geht, erzählt Giulio Reger, bevor man gleich mal beim Umblättern merkt, wer eigentlich davon profitiert, wenn regierende Politik jede Problemdiskussion vermeidet: die Großmäuler von Legida und Co. natürlich. Wer denn sonst. Wo es nicht mehr um Inhalte und Lösungen geht, triumphiert das Genöle. Das ist Deutschland anno 2017.

Es ist eben doch mehr Kafka als Kästner, mehr humorloser Trauerkloß als – ach Gottchen, wer redet von so was? – ein Land, das seine Erfinderlust für die Zukunft einsetzt.

Die LEIPZIGER ZEITUNG Ausgabe 47. Foto: LZ-Titelblatt
Die LEIPZIGER ZEITUNG Ausgabe 47. Foto: LZ-Titelblatt

Und das hört beim hingefeierten Reformationsjubiläum nicht auf. Was Marko Hofmann im Gespräch mit Andreas Dohrn, dem Pfarrer der Peterskirche, versucht zu ergründen. Denn auch Deutschlands Kirchen stecken im Merkel-Dilemma: Nach außen so tun, als sei alles prima, aber die eigentlichen Probleme sind nicht gelöst. Denn auch wenn Kirchen in Sachsen nur noch 20 Prozent der Einwohner erreichen, sind sie ein unersetzbarer gesellschaftlicher Player. Denn es gibt keine andere Struktur, die auf gleiche Weise gesellschaftliche Netzwerke herstellen könnte. Das Problem sind nicht die Atheisten, von denen einige sichtlich blasenmäßig durch die Gegend trödeln. Das Problem könnte tatsächlich sein, dass Kirche und Gemeinde zwei völlig unterschiedliche Dinge sind und mit der Gegenwart anders umgehen lernen müssten. Ankunft in der Postmoderne nennt es Dohrn.

Womit man beim nächsten weggedrucksten Thema wäre: der überfälligen Bildungsreform. Von „Generalüberholung“ spricht Jens-Uwe Joop in seiner Kolumne, in der er auch daran erinnert, dass die so großmäulig verhießenen Investitionen in Bildung in Deutschland ausgeblieben sind. Auch so ein Thema, wo augenscheinlich die verantwortlichen Politiker die Ankündigung für die Tat halten. Und dann weitersparen auf Kosten der Lehrer und Schüler.

So verspart man sich die Zukunft.

Dumm nur, dass junge Menschen bei so einem Diskussionsstand Wahlen lieber meiden und die Entscheidung über ihre Zukunft den Tattergreisen überlassen, die am liebsten alles so lassen würden, wie sie es in ihrer Jugend anno Fuffzig kennengelernt haben. War doch so schön damals.

Dass diese Trantütigkeit nicht nur zu Vergesslichkeit führt, sondern auch zum Aufkommen von Frust, der sich nicht mehr politisch zu artikulieren weiß, das ist in dieser Greisenrepublik augenscheinlich nur noch wenigen bewusst. Auch in unseren auf ein Rentnerpublikum zugeschnittenen Ruhigstellungs-Medien. Mit Ausnahmen. Stimmt. Auch ein ZDF-Redakteur wie Claus Kleber macht sich sehr wohl noch Gedanken darüber, was Journalisten eigentlich leisten müssten, wenn es um die Herstellung einer wirklich realitätsnahen Berichterstattung geht. Sein Büchlein „Rettet die Wahrheit“ ist natürlich Thema in der Zeitung.

Was sich gut ergänzt mit dem erneut angemeldeten Anliegen des Theaters der Jungen Welt, Zeitgeschehen mit Lust zu inszenieren und zu hinterfragen. Für jung und alt.

Denn wer die Zustände nicht hinterfragt, findet keine Lösungen. Was auch auf den Sport zutrifft. Diesmal im Kleinen und Reellen: Vereinsbesuch mit neugierigen Fragen.

Die neue „Leipziger Zeitung“ liegt ab Freitag, 15. September 2017, an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Also, support your local dealer. Da es vermehrt zu Ausverkäufen kam, ist natürlich auch ein LZ-Abonnement  möglich, um garantiert nichts mehr zu verpassen.

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