Auch die L-IZ hat über die Ergebnisse der Innenministerkonferenz in Dresden berichtet. Recht kritisch, weil unübersehbar war, welchen Druck die Innenminister aus der CDU mittlerweile ausüben, um immer mehr Polizeibefugnisse zu bekommen und eine Sicherheitsarchitektur zu bauen, die den Bürger, der auch nur ein bisschen darüber nachdenkt, das Grauen zu lehren. Die LVZ hat natürlich ganz anders berichtet. Der gefällt so etwas.

Die findet die zunehmende Überwachung prima. Was natürlich seinen Grund hat. Denn wenn man politisch einer von Sicherheit und Ordnung beseelten Partei nahesteht, dann wird man sich hüten, deren Dringen auf noch mehr Polizeibefugnisse zu kritisieren. Im Gegenteil. Man macht mit, die Ängste der Bürger zu schüren. Vor allen möglichen Schrecken der Welt, ohne dass recht klar wird, was die zusätzlichen Instrumente tatsächlich mehr an Sicherheit bringen.

Das menschliche Gemüt ist so: Wenn man es tagtäglich mit dem Horror auf Erden konfrontiert und die Gefahren kräftig überzeichnet, dann wachsen die Ängste. Dann bekommen die bravsten Bürger das Gefühl, dass die Welt immer gefährlicher und die Kriminellen immer zahlreicher werden – auch wenn die Statistiken oft etwas anderes sagen. Und andere Mittel der Prävention eigentlich mehr helfen würden.

Aber im konservativen Politiksegment hat man es mit Prävention nicht so. Die hat man auch bei sächsischer Polizei kräftig zusammengestrichen, weil Innenminister Markus Ulbig (CDU) 2010 meinte, er könne gut auf ein paar tausend Polizisten verzichten. Das Loch, das sich dabei auftut, das füllt er seither mit immer neuen Vorschlägen, die Polizei dafür technisch aufzurüsten und ihr dabei auch noch mehr Befugnisse zuzugestehen, anlasslose Großkontrollen zum Beispiel (Schleierfahndung) oder mehr Daten zu sammeln und zu speichern.

Auf den ersten Blick ist es natürlich ein sinnvoll erscheinender Vorschlag, wenn die Innenministerkonferenz nun beschloss, künftig irgendwie die Polizeigesetze der Länder zu vereinheitlichen. Dazu soll ein Musterpolizeigesetz entstehen, von dem man aber noch nicht weiß, was drinstehen wird. Anders als von den Ministern begründet, ist die Verhinderung der aufsehenerregenden Terroranschläge in den letzten Monaten nicht wegen des deutschen Föderalismus gescheitert. Im Gegenteil. Da sind jede Menge Informationen geflossen. Aber Landespolizei um Landespolizei unterließ den Zugriff. Man hatte alle Befugnisse und Zugriffsrechte – und hat die auffälligen Personen dennoch nicht dingfest gemacht.

Zum Artikel über die Ergebnisse der Innenministerkonferenz schrieb der stellvertretende Chefredakteur der LVZ dann auch noch einen Leitartikel.

Einen recht seltsamen, wie Olaf Maruhn empfand, dem nach einem kurzen Mail-Wechsel mit der LVZ-Chefredaktion einfach die Hutschnur platzte, weil man die Stelle, die er unmöglich fand, einfach versuchte weichzureden. Sei doch nicht so schlimm. Sei doch nur ein Leitartikel.

Der Leitartikel am 15. Juni, in dem André Böhmer „ein starkes Signal aus Dresden“ ausmachte, mündete in die gar nicht so beiläufig hingeschriebene Behauptung, die im Grunde das Weltbild der heutigen Konservativen sehr genau auf den Punkt bringt:

„Die Bürger haben für derartige Auswüchse des Föderalismus schon lange kein Verständnis mehr. Gut, dass die Länder da endlich was unternehmen wollen und dieses Signal von Dresden ausgeht. Wer das, wie die sächsischen Linke oder die FDP in Sachsen-Anhalt in ersten Reaktionen, als Demontage der Grundrechte kritisiert, vergisst eins: Das Grundrecht der Bürger auf Sicherheit gilt generell und kann nicht von Bundesland zu Bundesland geändert werden.“

Das ist nicht beiläufig hingeschrieben. Und es ist genau die Argumentationsschiene, mit der immer hartnäckiger versucht wird, wirklich im Grundgesetz verankerte Grundrechte durch ein herbeifabuliertes „Grundrecht auf Sicherheit“ auszuhöhlen.

Seine Reaktion auf die windelweichen Ausreden hat uns Olaf Maruhn zugesandt.

Eine Art Offener Brief, in dem er sein Unverständnis über diese hintersinnige Erfindung eines neuen „Grundrechts“ sehr deutlich macht und dem Leitartikelschreiber klarmacht, was eigentlich Grundrechte sind. Die stehen übrigens alle im Grundgesetz in den Artikel 1 bis 19. Zum Nachlesen auch für Journalisten, die unsicher darüber sind, was in einer freien Gesellschaft eigentlich Grundrechte sind.

Hier ist der offene Brief von Olaf Maruhn:

Grundrechte sind in erster Linie Freiheitsrechte des Bürgers gegen den Staat. In diese wird durch den Staat eingegriffen. Hiergegen protestieren FDP und Linke. Was durch Sie im „Leitartikel“, der auch eine Meinung wiedergibt, diese aber an sehr prominenter Stelle, unter Hinweis auf ein vermeintliches Grundrecht auf Sicherheit kritisiert wird. Dieses nicht bestehende Grundrecht wird auf eine Stufe mit tatsächlich bestehenden Grundrechten gehoben.

Sie stellen die Kritik an einen Eingriff in die tatsächlich bestehenden Grundrechte auf eine Stufe mit einem nicht bestehenden Grundrecht. Entschuldigung – was bitte ist das?! Das ist nicht nur „nicht ganz eindeutig“. Das ist eindeutig falsch. Da kann man auch nichts interpretieren, wenn Birnen mit Äpfeln verglichen werden. An einer nicht ganz unwesentlichen Stelle unseres Staatsgefüges.

Auf diese, zugegeben subtile, Art und Weise wird Information, besser Desinformation betrieben. Selbstverständlich verlässt sich der Leser darauf, dass Sie als Chefredakteur (so, wie allerdings jeder andere Redakteur dies auch tun sollte) einen Blick ins GG werfen, bevor Sie an prominenter Stelle einen Leitartikel verfassen. Und vermutlich werden es nicht viele gewesen sein, die sich daraufhin an Sie gewandt haben. Weil der Leser sich entweder auf die Recherche verlässt und glaubt, dass Ihre Meinung durch Fakten gestützt ist oder inzwischen tatsächlich denkt, dass es scheißegal ist, Sie drauf hinzuweisen, dass Ungleiches miteinander verglichen wird. Dass tatsächlich bestehende Grundrechte mit vermeintlichen Grundrechten gleichgestellt werden und somit die Verfassung relativiert wird. Weil der Leser inzwischen so viele Halbwahrheiten oder tatsächliche Falschmeldungen gehört hat, dass es ihm inzwischen egal ist.

Beides dürfte Ihnen zu denken geben. Und ich muss zugeben, dass Ihre Antwort tendenziell zur letzten Auffassung beiträgt. Was ich falsch finde. Denn der schlechtere Weg ist, zu Montagsspaziergängen was von „Lügenpresse“ zu faseln.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Maruhn

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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