LeserclubWar das jetzt tatsächlich Lektion Nummer 4 für Herrn L.: Die Erziehung zum Schaf? Hatte ihm Don Leone tatsächlich seine Buddys hinterhergeschickt, um ihm ein wenig zu drohen? Machte es der beliebteste Restaurantbesitzer der Stadt tatsächlich so plump? So filmreif? Wenn man diese Art Film überhaupt irgendwie mochte? „Was will dieser Operettenkavalier von mir?“

„Wocher soll ich das wissen“, brummte Oleg am Steuer des Wolga. „Vielleicht chast du ihn beleidigt mal in einem großen Artikel. Chast geschrieben, sein Wein ist sauer und seine Pizza ist schlabberig. Irgendsowas. Chat er dich nicht angerufen. Schickt er seine schweren Jungs.“

„Ist das wirklich so billig?“

„Weiß ich? Ich chab nicht gekauft diese Stadt. Ich bin auch nur ein billiges Chanswurst wie du. Oder wie Diva. Chab lang nichts mehr gechört von Diva. Was sagst du dazu, Margarita?“

„Vielleicht sollten wir wirklich nach Hause fahren“, meldete sich Mascha aus dem Fond. Ein wenig besorgt. „Ich glaube, es war ein bisschen viel.“

„Und die Diva? Was sagt das Fräulein? War doch Ihre Idee, oder nicht …“

„Lieber nicht Oleg. Lass sie in Ruh. Ich glaube, das hat keiner so geplant. Ich glaub, uns geht es auch nicht so gut, verstehst du?“

„Versteh ich gut. Bin ja keine sizilianische Ganove. Aber warum fahren wir dann erst bei fette Don Leone vor sein Schickimicki und tun so, als wären wir große Armada von Freicheitskämpfern? Kleine Partisan? Chat sie das nu oder chat sie das nicht so gewollt, sagt sie nichts, oder …“

„Nein, Oleg. Lass gut sein. Ich glaube, dass hat sie wirklich nicht gewollt. Das ist …“

„Aus dem Ruder gelaufen? Willst das sagen? Chab ich chier ein kleine Selbstmordkommando gefahren durch kleine Stadt voller kleine Ganoven? War’s das? Muss ich nu bei Don Leone anrufe und bisschen gute Laune machen?“

„Glaub ich nicht, Oleg. Das mach ich morgen. Das ist mein Job.“

„Dich nimmt der Kerl doch gar nicht ernst! Der schickt dir seinen Anwalt und der zieht dir die Unterchosen aus. Die Typen kenn ich doch.“

„Du unterschätzt mich ein bisschen …“

„Ich mag dich. Aber ich unterschätz dich nicht. Glaub nur. Wirstu auch fette Abgeordnete anrufen?“

„Warum sollte ich? Ich hab ja noch nicht mal eine Vorstellung, was das alles soll.“

„Frag doch Margarita! Chat sie sich doch ausgedacht.“

„Lass das Oleg“, warf nun Mascha wieder ein von hinten. Augenscheinlich gab es auf der dunklen Rückbank tatsächlich ein Problem, über das die beiden Frauen nicht reden wollten. Vielleicht hatte auch bei der Diva der Sekt das Seine getan. Herr L. fragte lieber nicht mehr. War nur froh, endlich an die frische Luft zu kommen. Da stand der Himmel im Osten schon in Flammen. Die ersten Katzen streunten. Oder die letzten. Und zumindest bei einem flüchtigen Blick, den L. erhaschen konnte auf die in ihren Mantel gemummelte Diva, sah er ihre Blässe. Aber sie schaute nicht auf. Mascha übernahm es, sie in ihre Wohnung zu bringen, während die beiden Männer am Wolga lehnten und jeder auf seine Weise in den anbrechenden Morgen schauten. Der eine sichtlich embrassiert. Dazu kannte ihn L. zu gut. Sein Feund Oleg war jetzt nahe daran, einen kleinen Hausbesuch zu machen, bei wem auch immer, und ein wenig Mobiliar zu zertrümmern.

„Tu’s lieber nicht.“

„Ach, chastu Angst um deine große Kumpel Oleg?“ Das Knirschen in seiner Stimme war unüberhörbar.

„Nein. Ich trau dir alles zu. Aber.“

„Aber was? Glaubst du, du wirst dann mit reingezogen in Schlamassel?“

„Nein.“

„Was dann? Willst du, dass andere nix Ärger kriegen? Die Strolche aus bella italia vielleicht?“

„Nein, Oleg. Das Problem ist nur …“

In seinem Kopf blitzte zwar nichts. Eher rauschte es und blubberte. Einen klaren Schädel würde er heue nicht mehr bekommen.

„Problem ist große Angst in kleine Stadt? Alle chalten Klappe? Keiner traut sich mehr und letzte Mochikaner schwenkt weiße Flagge? Isdochso, oder?“

„Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wen wir wirklich aufgeschreckt haben. Und an welcher Stelle.“

„Filmriss?“

„Kann sein. In zwei Stunden muss ich … verflixt …“

Stark bewegen durfte er seinen Kopf heute bestimmt nicht mehr. Aber ins Büro musste er nachher.

„Mach lieber blau.“

„Ich kann nicht blau machen.“

„Tapfere kleine Soldat. Brauchstu noch kleine Wässerchen?“

„Lieber nicht.“

Oleg lieferte auch Herrn L. und seine Mascha noch ordentlich an ihrer heimischen Adresse ab. Und dann versuchte L. noch zwei Stündchen irgendwie zu schlafen. Auch wenn er es lieber halb im Sitzen tat, denn wenn er versuchte, in die Waagerechte zu kommen, dann schwappte jedes Mal eine riesige schwarze Welle über ihn herein.

Mascha hatte ihn auch noch überreden wollen, den Tag lieber frei zu nehmen und sich nachher in der Redaktion abzumelden. In kopfschüttelnder Abwehr war er wohl dann doch irgendwie eingedöst.

Und dann erst wieder an seinem Schreibtisch aufgewacht. Und ihm wollte partout nicht einfallen, wie er da hingeraten war.

„Na, hab ich Sie aus einem Abgrund gerettet, Herr L.? Trinken Sie. Ich hab einen extra starken Polizeikaffee gekocht.“

Was Herr L. sicher auch gut vertragen hätte.

Aber extrastarker Polizeikaffee mit vier Löffeln Zucker drin?

Nein, das erzählen wir lieber nicht. Das kürzen wir lieber. Und blenden einfach auf eine nicht mehr ganz so aufregende Szene elf Minuten später, in der Herr L. mit zitternden Händen seine Tastatur trocknet und sein Blick sich so langsam wieder fixiert. Ist ja auch nicht so angenehm, wenn die Dinge alle schillernde Konturen haben und man ganz vorsichtig versuchen muss, die richtige Tasse zu greifen.

„Schwarz, ohne Zucker. Vielleicht merke ich mir das, wenn wir uns jetzt öfter treffen. Um solche Uhrzeit, meine ich. Trinken Sie nur. „

„Muss ich ganz schnell munter werden?“

„Ein bisschen schon. Aber trinken Sie nur.“

Und Herr L. trank. Vorsichtig und langsam. Nicht weil die Brühe so herrlich heiß war. Sondern weil er das vage Gefühl hatte, dass der Tag noch ein bisschen aufregender werden würde. Irgendwer summte auch noch dazu: „Morning has broken“. Aber das war er ganz bestimmt nicht selbst. Das musste jemand anders sein, der ihm freundlich dabei zuschaute, wie er wieder zurückkehrte in seinen durcheinandergeratenen Kopf.

Die komplette Geschichte zum Nachlesen.

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