Der erste Beitrag ist vom 19. Dezember 2016 und erlรคutert die Regeln. Eine Art Benimmkurs, Wegweiser und Hilfe, sich in einer geheimen Facebookgruppe zurechtzufinden, welche sich schlicht โIch hin hierโ nennt. Nicht so geheim ist allerdings lรคngst die Wirkung, welche die mittlerweile knapp 13.000 Nutzer in der groรen Welt des blauen Netzwerk-Riesen im deutschsprachigen Teil entfalten. Sie drehen Debatten, verunsichern liebevoll Menschen, die meist wenige Argumente, dafรผr aber umso mehr Aggressionen mitbringen. Und sie kapern ganze Debattenstrรคnge bei groรen deutschen Nachrichtenmedien.
Wer eine Idee suchte, wie man dem Hass in den sozialen Netzwerken entgegentreten kann, darf sich hier zu Hause fรผhlen. Es ist ein Aufstand derer, die es leid sind, wie an vielen Stellen im Netz kommuniziert und debattiert wird. Begonnen hat es in Schweden, wo Mina und Magnus Dennert die erste Facebookgruppe dieser Art namens #jagรคrhรคr (#ichbinhier) grรผndeten. Ihr und der Ruf von mittlerweile รผber 58.000 Mitgliedern โstoppt den Hass in den sozialen Netzwerkenโ hat nun also auch Deutschland erreicht. Und die Wirkung ist erstaunlich.
Zuerst einmal auf die Mitglieder der Gruppe selbst. Bereits kurze Zeit nach der Aufnahme in die Gruppe, entsteht ein Wir-Gefรผhl, die Stimmung ist freundlich bis heiter, auch die Konversation im geheimen Umfeld von Respekt und Freude รผber jede geglรผckte Aktion geprรคgt.
Wie funktioniert #ichbinhier?
Es geht darum, sich zu zeigen โ aber gemeinsam. Wo einer allein meist kaum gegen eine Flut von Beschimpfungen gegen Angela Merkel oder Tรผrken oder wen auch immer ankommt, halten die Gruppenmitglieder zusammen. Morgens und am Nachmittag weisen die Gruppenadministratoren auf einen Bericht in den Medien oder ein aktuelles Thema hin, verlinken die entsprechende Facebookseite des Mediums und dann passiert es. Hunderte Kommentare fordern urplรถtzlich Menschen, die sonst ohne Widerworte (nimmt man mal die meist auch nur ein, zwei Moderatoren und Mutige aus) herumpรถbeln und โhatenโ kรถnnen, zu Diskussionen รผber das Sachthema heraus, kommentieren selbst รผber den aufgeworfenen Fragenkomplex.
Erkennen kรถnnen sie sich gegenseitig am Hashtag #ichbinhier, den jedoch noch nicht einmal alle benutzen. Mancher versucht so, keine Barriere fรผr Menschen zu schaffen, die vielleicht das eine oder andere Argument noch erreicht.
Manche wiederum liken die Beitrรคge von anderen Gruppenmitgliedern und unterstรผtzen so eine respektvolle Debatte und diejenigen, die sich mit dem Artikel, Video oder Bericht auseinandersetzen. Somit sorgen sie unter Nutzung der Facebooklogik dafรผr, dass sachliche Kommentare ganz oben in den Debatten auftauchen und entsprechend wahrgenommen werden.
Hannes und Judith, die Grรผnder der deutschen Gruppe beschreiben es so: โWenn sich mehr Menschen sachlich und respektvoll in den Kommentarspalten zu Wort melden, dann wird nicht nur das Gegengewicht zum Hass grรถรer. Die Stimmung insgesamt wird sich รคndern, und Hatern und Hetzern wird es nicht mehr gelingen, die Medienseiten zu beherrschen.โ
Es wirkt, wie zwei Aktionen am 2. Februar 2017 zeigen
Am 2. Februar stellte die Facebookseite der Bundesregierung Informationen zum Treffen zwischen Recep Tayyip Erdoฤan und der Bundeskanzlerin Angela Merkel bereit. Wer heute auf die Seite schaut, wird tief kramen mรผssen, wenn er oder sie hier โHatespeechโ finden mรถchte.
Ganz nebenbei wird somit auch auf einmal klar, dass, wie auch in der realen Welt, nicht die Hasspostings im Netz โgewinnenโ, sondern die inhaltlichen Auseinandersetzungen mit einem Thema. Denn die sachlichen Kommentare stehen ganz oben, Facebook sortiert in der Standardeinstellung nach Relevanz. Im Extremfall so deutlich, dass beispielsweise ein vernรผnftiger Beitrag unter dem am Abend nachfolgenden Bericht des ZDF รผber das Treffen der beiden Vertreter Deutschlands und der Tรผrkei รผber 500 Likes erhielt und ein Hasskommentar bestenfalls 30 bis 40.
Oder um es im Credo der Gruppe zu sagen: โMit dem Hashtag #ichbinhier kann jeder den Aufgeregten zeigen: Ich bin auch hier. Ich werde dir das Feld nicht รผberlassen. Ich stehe hier fรผr Offenheit, Respekt und konstruktiven Dialog. Fรผr eine Diskussionskultur, die auf Argumenten basiert โ nicht auf Gerรผchten und Beleidigungen.โ
Dass sich in der Gruppe dabei Menschen versammelt haben, die sich politisch von links, mitte bis rechts einordnen, ist ein weiterer Hinweis auf etwas ziemlich Einfaches: Wenn Argumente zรคhlen, hat Hass keine Chance. Wenn es von vielen eingefordert wird, ziehen sich Trolle, Endlosschleifen und Lรผgen in den Debatten zurรผck.
Transparenzhinweis: Der Journalist Michael Freitag, welcher auch die L-IZ โ Seite bei Facebook moderiert, ist seit drei Tagen aktiver Teil der Gruppe.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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Die beste Erfindung seit es Facebook gibt^^