KommentarWas ist da aber im Spätsommer 2015 tatsächlich passiert? Geschah da ein ganz unabhängiger „Vertrauensverlust“ der Bürger in die Medien? Oder waren es „die Medien“ selbst, die für ein Kippen der Stimmung im Land sorgten, weil auf einmal auch Politiker meinten, jetzt wieder tüchtige Politik mit Worten machen zu müssen? Es deutet Vieles auf Letzteres hin.
Nicht die Feier der „Willkommenskultur“ im Sommer 2015 war das Problem, sondern die zunehmende Verschiebung der Berichterstattung der meinungsführenden Medien nicht mal in eine sachliche Darstellung aller Probleme, die es gab und gibt bis heute, sondern die auf einmal die Schlagzeilen dominierende ziemlich deutliche Diffamierung der Menschen, die in der Bundesrepublik Zuflucht suchten. Nicht die Integration der ankommenden Flüchtlinge wurde zunehmend problematisiert, sondern die Menschen selbst. Und zwar weit vor den Silvesterereignissen in Köln und Hamburg.
Mal so gesagt: Es hätte nicht verwundert, wenn „die Medien“ gerade dadurch an Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten, denn gerade die Fernsehsender betätigten sich – auch mit diesen völlig sinnfreien Talkshows – als mediale Verstärker der Schwarzmaler und Vertreter politischer Ressentiments.
Nun hat auch Sandra Maischberger mit ihrer Sendung „Vorwurf ‚Lügenpresse‘ – Kann man Journalisten noch trauen?“ dazu beigetragen, diese Ressentiments weiter zu schüren. Da nutzt es auch nichts, das Wort „Lügenpresse“ in Gänsefüßchen zu setzen, es ist und bleibt ein Kampfbegriff aus dem rechtsradikalen Propagandavokabular. Und es kam genau aus dieser Ecke, als es zuerst auf den Dresdner PEGIDA-Demonstrationen skandiert wurde.
Und – das hat Sandra Maischberger wohl auch keiner gesagt – es funktioniert genauso wie das Wort „Flüchtlingswelle“ als Frame. Ein Frame verbindet einen Topos mit einer hochemotionalen Zuschreibung, die sich festsetzt. Und die immer weitere Kreise zieht, wie wir ja nun an dieser Sendung gesehen haben.
Nur zur Erinnerung: Im PEGIDA-Umfeld tauchte dieses Schlagwort schon im Herbst 2014 auf. So lange geht das da in Dresden schon.
Frames wirken auch dann, wenn man sie in Klammern setzt oder glaubt, sie mit Gänsefüßchen lächerlich machen zu können. Das hat Elisabeth Wehling in ihrem Buch „Politisches Framing“ ja sehr genau und mit wissenschaftlicher Grundlage beschrieben.
Augenscheinlich gehört aber das Wissen um die Wirkung von Frames nicht zur journalistischen Ausbildung. Auch nicht an der Hamburg Media School. Und auch nicht bei der ARD, die die Maischberger-Talkshow zu verantworten hat. Im Gegenteil. Ein kleiner Blick ins Archiv zeigt, dass die ARD ganz vornedran war, als es im September 2015 darum ging, die Stimmung kippen zu lassen. Am 5. September hieß es gleich mal zur Ankunft der Flüchtlinge aus Ungarn: „Flüchtlingswelle nach Grenzöffnung“.
Oder am 29. Oktober 2015: „Wie kann man den Flüchtlingsstrom stoppen?“
Man bediente eifrig die Frames der radikalen Rechten, suggerierte den eigenen Zuschauern, jetzt regelrecht von flüchtenden Menschen überflutet zu werden, und sorgte damit genau für die Gefühlslage, auf der die Argumentation der hier heimischen Fremdenfeinde aufsetzen konnte. Es ging nicht – wie Michael Haller im „Zapp“-Interview meint – um eine reale Darstellung der Probleme, sondern um das hochemotionale Schüren von Vorurteilen. Die sich in den Köpfen festsetzen und seither die Diskussion dominieren, obwohl sie nicht mit Fakten untersetzt sind.
Frames funktionieren als Bilder im Kopf, die sofort präsent sind, wenn das entsprechende Stichwort fällt. Was mit dem wunderbaren Funktionieren unseres Gehirns zu tun hat, das auf diese Weise sehr effizient arbeitet, wichtige Ereignisse binnen weniger Millisekunden erfasst und entsprechend den Körper auch in Alarmbereitschaft setzt. Das hat nur mit rationaler Analyse nichts zu tun.
Aber die modernen Medien sprechen nicht die Ratio an, sondern die Emotionen. Das hat Folgen.
Das hat Elisabeth Wehling alles schön erklärt. Aber nicht nur Politiker sollten ihr Buch lesen, sondern auch all die Leute, die sich Redakteure und Journalisten nennen und nicht mal wissen, wie solche Frames in den Köpfen der Mediennutzer funktionieren.
Und wie diese Frames binnen weniger Tage ganze politische Diskussionen dominieren, weil die meisten Leute sie einfach nicht aus dem Kopf bekommen. Und aus dem Kopf bekommen sie sie schon gar nicht, wenn sie durch die meinungsmächtigen Medien jeden Tag aufs Neue aufgerufen werden. Und die Meinungsmacht liegt – mit einer Ausnahme – in der Bundesrepublik nicht bei den Medien, die Michael Haller für die Stichprobe ausgewählt hat: Tageszeitungen (die ein E-Paper besitzen), spiegel.de, welt.de, focus.de, dazu die Ausnahme tagesschau.de.
Denn die Tagesschau wird ja im Öffentlich-Rechtlichen ausgestrahlt. Und das Fernsehen dominiert auch im Jahr 2016 immer noch 35,7 Prozent der Medienwahrnehmung, wie auch die jüngste Analyse der Bayerischen Landesmedienanstalt zur „Meinungsmacht“ ergab. Das riesige Internet kommt mit 22,3 Prozent noch weit dahinter, knapp vor Tageszeitung (20,7) und Radio (18,7).
Wobei man ja bei Internet nie weiß, was damit eigentlich gemeint ist: die Quatschbuden von Facebook, die Onlineauftritte von Spiegel, Zeit & Co. oder das drittmediale Angebot der Fernsehsender, die immer so tun, als müssten sie auch im Internet ihren ganzen Müsli-Laden noch einmal ausbreiten?
Aber eins hat diese seltsame Talkshow natürlich wieder gezeigt: Wie wenig redaktionelle Kompetenz hinter all diesen Talkshows im deutschen Fernsehen steckt. Und wie viel unkritische Übernahme von aufgeschnappten Frames und unhinterfragten Nachrichtenschnipseln. Denn die Studie der Hamburg Media School liegt bei der Otto-Brenner-Stiftung bis heute nicht vor. Und vielleicht kommt sie auch nie, weil das, was Michael Haller im nassforschen „Zapp“-Interview gesagt hat, mit diesem Studienansatz einfach nicht zu belegen ist.
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