Sie haben es im Jahr 2016 bestimmt auch beobachtet. Kaum schaut die L-IZ sich ein Thema mal ein bisschen anders an, taucht es in leichten Abwandlungen auch in anderen Zeitungen und Magazinen auf. Was daran liegt: Viele Kollegen lesen mit. Denn soviel Original aus Leipzig bekommen sie ja woanders nicht. Manchmal stutzen wir auch nur selbst, schreiben über das Mittelmaß der Quote. Und dann springt einem bei „Spiegel“ ein Quotenkuchen entgegen.
„Sender-Ranking: Das Zweite ist das Erste“, lautet die Geschichte dort. „Dem Fußball sei Dank: ARD und ZDF liegen durch die EM-Übertragungen bei den Jahresmarktanteilen weit vor RTL, Sat.1 und ProSieben. Mit 13 Prozent vom Quotenkuchen ist das Zweite ganz vorne …“
Das muss nichts mit unserer Geschichte zu tun haben. Aber es hat eine Menge mit der Quotenhatz zu tun, die unsere Sender allesamt so mittelmäßig, flach und austauschbar gemacht hat. Und die dafür gesorgt hat, dass ein Löwenanteil der Gebühreneinnahmen der Sender für Fußball ausgegeben wird, den simpelsten Sport, den man so auf einem kurzgeschorenen Rasen betreiben kann. Worüber nicht zu reden wäre, wenn das nur einige Sender so machen würden und nicht unbedingt die durch Rundfunkgebühren bezahlten. Der Auftrag in den Rundfunkstaatsverträgen ist zwar so weit gefasst, dass die Sender im Grunde rund um die Uhr Pantoffelkino zeigen könnten und trotzdem ihrer „Informations- und Unterhaltungspflicht“ genügen würden.
Aber das ist eigentlich kein Medium, das eine Gesellschaft braucht.
Im Gegenteil. Es ist die allerbeste Ausrede, sich gar nicht erst eine herausfordernde Aufgabe zu suchen als Sender, der eben nicht nur Informationspflichten hat, sondern auch das stärkste Medium im demokratischen Diskurs ist.
Was die Quoten ja verraten: Wer 10, 13, 15 Prozent der potenziellen Zuschauer erreicht mit einer Sendung, der hat potenziell 4, 5 oder auch 6 Millionen Leute vor der Röhre, die darauf starren und konsumieren, was ihnen geboten wird. Normalerweise würde ein wirklich tatenlustiger Chefredakteur bei so einem Potenzial Aufgaben verteilen und sich von jungen, gut ausgebildeten Redakteuren Formate entwickeln lassen, mit denen er auch all die Inhalte unterhaltsam kommunizieren würde, von denen Politiker gern reden, wenn sie vom Rundfunkauftrag sprechen. Nur bleibt das alles immer Schimäre, mehr oder weniger in Nischen wie die Nachrichtensendungen gepackt. Und der Rest ist dann – leider meist sehr flache – Unterhaltung.
Die Frage beschäftigte auch Claudia Maicher, die medienpolitische Sprecherin der Grünen, als sie sich am 16. Dezember in der Landtagsdebatte mit dem Antrag der AfD beschäftigte, die Rundfunkstaatsverträge einfach aufzukündigen. Was sie gar nicht zielführend findet: „Natürlich lässt sich immer über Qualität und Programmauswahl streiten, es lässt sich auch über die Fehlerkultur im Rundfunk streiten. Das machen übrigens Journalisten und Rundfunkanstalten inzwischen immer stärker.“
Das ist zwar noch recht brav gesagt. Aber genau das ist der Punkt: Wenn niemand sagt, was der Rundfunk tatsächlich leisten und probieren soll, dann passiert es einfach nicht. Aus sich heraus werden das die Sender nicht bringen, eher mit hübschen neuen Spielzeugen glänzen, wo man das höchst mittelmäßige Programm noch so alles abrufen kann.
Man macht einfach ganz viel von dem, was man immer gemacht hat. Aber man probiert nichts wirklich Neues aus. Schon gar nicht da, wo eigentlich alle Kritiker Innovatives erwarten in einer Zeit, in der die Social-Media-Gerüchteküchen brodeln, eitle Präsidenten twittern und Talkshows zu einer Art Bestiarium geworden sind, in dem man Abend für Abend die faszinierendsten Bestien erleben kann – nur keine kompetente Diskussion, was unsere Gesellschaft ist und sein könnte. Oder wo sie gerade Probleme hat. Echte, keine hineingeheimnisten.
Wie aber würde sich ein Sender und sein Image verändern, wenn er den Mut zu innovativen Formaten entwickeln würde und auch die Leute dafür einstellen würde, die diesen Mut haben? Ob das irgendwo ausgebildet wird, ist eine andere Frage. Wir haben noch nichts davon gehört, was schon verunsichert. Denn so, wie es aussieht, werden an den üblichen Lehrstühlen lauter junge Leute, die „was mit Medien machen“ wollen, so ausgebildet, dass sie in die Arbeitsweise, Senderaster und Formate der heimischen Sender passen. Und die Sender stecken die jungen Leute dahin, wohin sie mit dieser Ausbildung passen. Und man guckt und wartet auf Innovationen. Aber in diesem Kreislauf gibt es keine. Man macht so weiter, wie man es gewohnt ist. Und wenn Öffentlich-Rechtliche mal was Neues probieren, dann ist es in der Regel eine eingekaufte Show aus dem Privatfernsehen – und den Moderator kauft man auch gleich mit ein.
Was man damit bedient, ist die Sehgewohnheit eines Zuschauers, der das Immergleiche gern in immer neuer Variation sehen will. Und der sich freut, wenn er überall die gleichen Muster und Anspruchshaltungen findet. Er lebt wie in Watte, wird nicht herausgefordert, auch nicht erschreckt oder zu einer anderen Sicht gebracht. Nicht mal freundlich oder clever. Gar nicht.
Deutsches Fernsehen ist allgemeines Bestätigungsfernsehen.
Es hat Unterhaltung im Sendeauftrag stehen, also unterhält es rund um die Uhr.
Und das auf frustrierende Art, was jeder weiß, der ein Medium gern nutzen möchte, um dabei klüger zu werden, wirklich Neues zu erfahren, zum Denken und Nachdenken angeregt zu werden. Also als aktivierendes, nicht als einlullendes Angebot. Wer mit dieser Erwartung den Fernseher anschaltet, wird bodenlos enttäuscht, frustriert und abgeschreckt. Und möchte eigentlich – genauso wie die Spezies von der AfD – keine Rundfunkgebühren mehr zahlen. Aber aus völlig entgegengesetzten Gründen: Weil diese Art Fernsehmachen zu anspruchslos ist und einer lebendigen Demokratie unwürdig.
Und mittlerweile auch schädlich, weil diese Art Programm auch davon erzählt, dass man sich seiner Meinungsmacht entweder nicht bewusst ist oder im Haus so tut, als könnten ja irgendwelche anderen Medien die gesellschaftliche Diskussionskultur übernehmen. Man habe ja die Talkshows.
Die so viel Unheil anrichten.
Es geht nicht darum, dass immerzu lauter unterbeschäftigte Politiker irgendwo in der Runde sitzen und sich mit wilden Argumenten beharken. Davon gibt es längst viel zu viel. Und es bringt nichts – außer diese frustrierte Gleichgültigkeit, die nach der 100. Show alle Politiker in einen Sack steckt, weil alles beliebig und unmoderiert nebeneinandersteht und durcheinanderbläkt.
Da ist kein spannendes Sendeformat, das den Zuschauer mitnimmt bei der Einordnung des Ganzen, ihm zeigt, wie spannend seine eigene Welt ist und wo er sich da als Bürger wiederfindet, was die Treibstoffe der Veränderungen sind und die Dinge, die wir gemeinsam eigentlich bewahren wollen. Und wie das geht. Und woher möglicherweise seine Gefühle des Frustriertseins und der Machtlosigkeit kommen.
Wer redet schon über Macht und Machtlosigkeit in einem Sendergefüge, in dem die Hierarchie dominiert, der Anpassungsdruck hoch ist und die Haltung gilt: „Nur ja nicht anecken!“ Nur ja keine alten Strukturen (oder den Job) gefährden und Mutiges riskieren – gar zusammen mit dem Zuschauer und Gebührenzahler.
Die Jagd nach Quote sorgt dafür, dass der Fernsehkieker immer mehr von dem immer Gleichen bekommt, das er schon kennt. Aber nichts Neues, nichts Überraschendes, nichts Verrücktes.
Logisch, dass ihn dann die Veränderungen im realen Leben erschrecken. Das Bild passt nicht mit der Wirklichkeit überein. Also ist die Wirklichkeit verrückt geworden.
Sie sehen, man könnte das Fernsehen durchhaus immer wieder neu erfinden und könnte spannende Sachen machen. Aber das Problem steckt in der Struktur und in der Angst der Aufsicht führenden Politiker vor Experimenten. Denn denen darf man auch manchmal zuhören, und was für ihre Partei Slogan ist, das übertragen sie auch auf die Sender: „Keine Experimente!“
Macht man nicht. Könnte ja die bekannten Erwartungen stören und durcheinanderbringen.
Während die Welt da draußen sich immerfort verändert und herumexperimentiert. Denn alles fließt. Nichts bleibt wie es war. Und vielleicht darf man Claudia Maichers Hoffnung teilen: Dass sich auch in diesen Heimatsendern mal etwas ändert und nicht immer nur Programm für anspruchslose Menschen gemacht wird, die – um Gottes willen – ja nicht überrascht werden dürfen.
Aber dazu braucht man – bei aller Angst in wackligen Hierarchien – ein bisschen Mut.
Na denn: Nur Mut! Gleich fängt ein neues Jahr an und Sie können zeigen, dass mehr in Ihnen steckt, als nur der einsame Zuschauer, der die Welt passieren lässt, ohne selbst dabei sein zu wollen.
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