KommentarWas heißt das eigentlich, was das in der Schweiz produzierte „Das Magazin“ am 3. Dezember aufgedeckt hat für den Journalismus von heute? Welche Rolle kann Journalismus noch spielen, wenn Politiker und Wahl-Optimierer ganze Wahlen manipulieren können, weil sie die riesigen Datenmengen aus Big Data filtern und für ihre Wahlstrategien nutzen können? Eins ist sicher: Ohne echte Unterstützung werden Journalisten nicht gegenhalten können.

Nicht weil sich die Art der derart durchgesetzten politischen Positionen verändert. Das tut sie schon längst – und die sogenannten „social media“ spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch schon ohne „Big Data“. Denn sie filtern Inhalte, sorgen für eine Zersplitterung gesellschaftlicher Wahrnehmung, erzeugen Filterblasen, in denen nur noch ein Meinungsbild dominiert. Sie schaffen quasi lauter Stammtische und heimelige Wohnzimmer, in denen drauflos diskutiert wird ohne Störer und Mahner.

Und kritische Journalisten sind Störenfriede. Sie berichten immer über all die Dinge, die das heile Weltbild in Mitleidenschaft ziehen, Vorurteile hinterfragen und auch alle möglichen geschlossenen Weltbilder einer Analyse unterziehen.

Bislang war es so, dass all die Menschen, die daheim und am Stammtisch bestimmten Filterblasen und dominierenden Meinungsstandards begegneten, in ihren Zeitungen, im Fernsehen, in Zeitschriften immer noch anderen Facetten der Welt wahrnehmen konnten. Geschichten, die nicht ins geschlossene Weltbild passten, Argumenten anderer Leute, Fakten, die sich nicht aufs Heimelige reduzieren lassen.

Das Angebot der introvertierten „social media“ aber hat eine andere Form von Öffentlichkeit geschaffen, eine separierte, in der selbst die gepriesenen Algorithmen schon dafür sorgten, dass sich unterschiedliche Haltungen, Lebensentwürfe und Denkmuster nicht mehr begegneten. Sie werden einfach ausgefiltert.

Im Grunde ist Facebook eine große Gemüsesortieranlage. Und die Nutzer sortieren sich sogar selbst. Mit jedem „like“ das sie setzen – einerseits schaffen sie ihre eigene Filterblase, in der sie bald nur noch das lesen, was in ihrem „like“-Kosmos erwünscht ist. Andererseits aber liefern sie – freiwillig – all jene Daten, aus denen die großen Datenmaschinen bis aufs i-Tüpfelchen genaue Nutzerprofile erstellen können. Und die lassen sich nicht nur an Werbekunden verkaufen, was das wählerische Gemüse zu einer lukrativen Ware macht.

Damit lassen sich auch Wahlen und Abstimmungen gewinnen.

Was der Soziologe Michal Kosinski 2012 schon befürchtete – und was 2016 handfeste Realität geworden ist. Die Warnung, die er in der Wissenschaftlergemeinde ausgesprochen hat, wurde nicht gehört und nicht verstanden.

Aber das, wovor er warnte, ist für ein cleveres kleines Unternehmen aus Cambridge, die Cambridge Analytica, zum erfolgreichen Geschäftsmodell geworden. Damit hat das kleine Firmennetzwerk gezeigt, wie man politische Kampagnen gewinnen kann, wenn man nur den Zugriff auf den möglichst größten Datensatz hat und Milliarden freiwillige Angaben von Nutzern, die nicht mal ahnen, wofür diese scheinbar belanglosen Daten verwendet werden können, wenn sie in die Hände von ausgebildeten Soziologen fallen, die damit nicht nur persönliche Neigungen und Vorlieben erkennen können, sondern auch potenzielles Wahlverhalten. Und/oder die Anfälligkeit für Beeinflussung. Und moderne Gesellschaften sind nicht mehr die monolithischen Blöcke, in denen Parteien ihre angestammten Wählermilieus haben.

Tatsächlich bestehen sie immer stärker aus vereinzelten, ratlosen und verunsicherten Individualisten, oft eher Monaden, die sich in der Welt der globalisierten Nachrichten, der existenziellen Verunsicherung und der zunehmenden Ansprüche einer sich rasend modernisierenden Gesellschaft immer verlorener fühlen.

Niemand ist anfälliger für ganz persönliche Ansprache, für hintersinnige Angebote, für das Werben von Kandidaten, die eine Rückkehr zu lieb gewordenen Ur-Zuständen versprechen. Oder andere glückliche Verheißungen. Denn Wahlen ändern ja nichts daran, dass Menschen ganz profane Sehnsüchte haben – und darüber jederzeit (das haben ja Kosinskis Forschungen gezeigt) sogar leicht und effizient manipuliert werden können.

Man muss nur wissen, wo man sie findet, wie verunsichert sie sind und wie man sie ganz persönlich anspricht.

Auf all das bietet der gigantische Datenberg der „social media“ eine Antwort. Man braucht nur die richtigen Filter, die nötige Rechenleistung und den richtigen Punkt, an dem man seine Kampagne ansetzt. Denn man muss jetzt nicht mehr das ganze Wählervolk bearbeiten. Man konzentriert sich auf die Wankelmütigen, die kleine Gruppe, die man braucht, um eine Wahlentscheidung kippen zu lassen.

Beides haben wir offenbar in den letzen Monaten erlebt – zuerst beim unerwarteten Brexit-Votum in England, zuletzt beim unerwarteten Trump-Sieg in den USA. In beiden Fällen hat Cambridge Analytica gezeigt, wie man solche Wahlentscheidungen mit dem Einsatz von „big data“ für sich entscheiden kann.

Und das lässt ahnen, wohin sich jetzt auch Journalismus entwickeln muss, wenn er nicht so ratlos aus der Wäsche gucken will, wie das einige der Kommentatoren dieses modernen „Populismus“ taten. Wobei ein Großteil der Ratlosigkeit darin besteht, dass sie die Wirkungen der „social media“ sowieso schon seit Jahren unterschätzen – und damit erst recht, wie sehr sich gesellschaftliche Diskussionen dadurch geändert haben.

Aber mit der nun sichtbar gewordenen Wahlbeeinflussung durch „big data“ oder solche Wahl-Optimierungs-Firmen wie Cambridge Analytica kommt ein zusätzliches Element dazu, das Wahlen immer mehr zu personalisierten Produktwerbungen macht. Mit allen negativen Konnotationen – vom individuell zugeschnittenen Heilsversprechen bis hin zur Vorgaukelung echter Zutaten, wenn nur lauter Aromen und Geschmacksverstärker drin sind.

Was umso schwerer wiegt, je stärker Wahlen auch Produktwerbungen sind. Und das ist auch längst sichtbar: Gewählt wird nicht das Wahlprogramm einer Partei, sondern der zugkräftigste Spitzenkandidat.

Was für Journalisten, die ihren Job nur einigermaßen ernst nehmen, eben auch heißt: Sie müssen sich nicht nur mit den altbekannten Mechanismen von Macht und Niederlage beschäftigen, sondern auch mit „big data“ und den digitalen Werbekampagnen – und vor allem ihren Inhalten. Denn diese Art Wahlkampf verändert nicht nur das Wahlverhalten, sondern das Denken, Fühlen und Meinen der Wähler selbst. Das Anliegen der modernen Wahlkämpfer ist nicht die Ansprache der nüchternen Vernunft, des wissenden Bürgers, sondern von Emotionen, von Menschen, die ihre Wahlentscheidung immer mehr als eine Konsum- und Produktentscheidung sehen. Mit Donald Trump hat man so eine Ahnung bekommen, was für Produkte da auf einmal zur Wahl stehen, wenn „big data“ auch noch die letzten Zweifel herauskitzeln will.

Das ist dann mehr als der derzeit viel beworbene „Daten-Journalismus“.

Aber das mache mal einer, wenn einem jeden Tag gesagt wird, dass diese ganzen anstrengenden Texte doch viel zu lang sind. Keine Zeit! Facebook ruft! Na, weiter so.

Nachdem die Katze einmal aus dem Sack ist und auch die deutsche AfD angekündigt hat, auf digitale Spiele in der Wahl nicht verzichten zu wollen, ist jetzt schon sicher, dass auch im deutschen Wahlkampf aufgerüstet wird.

Ob wir darüber aber dann berichten wollen? Keine Ahnung. Denn diese Schlacht wird schmutzig. Richtig dreckig. Und ziemlich irrational, wenn man noch ein bisschen Vernunft hat, das Ganze zu beobachten. Oder die Mannschaft, die sich dann auch noch in „big data“ kniet und erzählt, was da gerade für Schlachten geschlagen werden.

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