LeserclubUnd so entdeckte Herr L. an diesem unverhofften Morgen – etwas spät, das musste er zugeben – dass sein wohlgeschätzter Kollege Stachelschwein so etwas wie Herz hatte. Ein verstocktes zwar, ganz gewiss keines aus Marzipan. Aber auch er hatte tief in den Verliesen seiner schwarzen Seele eine Geschichte versteckt, die nie zu Ende erzählt wurde.

Warum nicht, das verriet er natürlich nicht. Männer sind so. Verschlossen wie Austern, wenn es um Frauen geht. Und unerfüllte Träume. Oder was immer Stacheltier, dem L. das Stachelschwein eigentlich nur in wirklich wütenden Momenten stillschweigend anhängte (aber wann hatte er bei diesem Grummelbart nicht so ein leichtes Grollgefühl?), nach all der Zeit noch grämte an der Geschichte, die er für L. aus den Tiefen seines Schreibtischs kramte. Auch wenn die stolze Frau auf den vergilbten Zeitungsseiten nicht mehr viel Ähnlichkeit hatte mit der glücksstrahlenden Prinzessin, die L. seinerzeit in diesem grässlichen Gruppenbild auf Zelluloid gebannt hatte.

Da schien sie, wenn man das so verglich, noch ein Backfisch zu sein, so eine junge Frau, die noch sicher war, dass allein der Erfolg der Männer, mit denen sie anbandeln durfte, alle romantischen Gefühle ersetzte, eine Schwangerschaft sogar schon das Tor war zur Erfüllung aller Mädchenmagazinträume. Die besitzergreifende Geste des Fuchses auf dem Foto schien ja genau das zu bestätigen.

L. hatte damals geglaubt, die beiden wären schon verheiratet. Oder zumindest verlobt, wie sie sich da präsentierten.

Nur: Er kannte sich damals mit der Prominenz dieser ins Provinzielle abgleitenden Stadt so wenig aus wie heute. Das war nicht sein Metier. Und wahrscheinlich hatte ihn Stachelschwein auf diese Party der frisch gebackenen Schickeria auch nur geschickt, weil ihn so ein Firmenjubiläum eigentlich nicht interessierte. Wen interessierten Firmengründungen, Umsätze und Loblieder auf emsiges Unternehmertum überhaupt?

Mal von L. abgesehen, den das Interesse auch erst später packte, zu einer Zeit, als er begriff, dass der schöne Glanz seiner geliebten Stadt zum großen Teil nur Talmi war. Falsches Gold, wie sein Lieblingsautor aus durchwachten Jugendnächten geschrieben hatte. Der güldne Schein, der gestandene Männer zu Bestien machen konnte. Oder zu Harlekinen, die vor laufender Kamera blödsinnige Ausreden erfanden.

Und diese hier?

„Prinzessin“, sagte Stachelschwein. Und bemühte sich sichtlich, dabei eher gelangweilt und professionell zu klingen. Ganz alte Schule. Journalisten ließen sich von den Geschichten, die sie erlebten, nicht emotional berühren. Sie waren die Richter, nicht die Beichtväter.

Und?

Zwischen den Fotos lagen zehn  Jahre. Und, wie Stachelschwein vorrechnete: zwei Hochzeiten, eine Scheidung und noch kein Todesfall. Aber den Fuchs hat die junge Dame dann doch nicht geheiratet. Auch wenn auf dem Bild alles so aussah, als müsste das so kommen. Aber entweder war die junge Dame zu unternehmungslustig, zu neugierig oder …

„Was weiß ich“, schnaubte Stachelschwein. Immerhin war die Seite mit „Unsere Schönsten“ jahrelang sein Ressort gewesen. Und die Prinzessin kam immer wieder drin vor: Sie eröffnete Autohäuser, veranstaltete Vernissagen mit jungen, stromlinienförmigen Künstlern, die auf Bestellung malen konnten, was sich schwerreiche Sammler in  Übersee nur wünschten. Sie tauchte als Schirmherrin diverser Stiftungen auf, startete irgendwann eine Kampagne gegen Bulimie und posierte dafür im strengen grauen Businesskostüm für Stachelschweins Kolumne. Aber da sah sie tatsächlich schon nicht mehr wie ein Backfisch aus, eher wie eine müde gewordene Laufstegqueen, deren Nase spitz hervortrat. Nur die Augen glänzten noch, als stecke noch immer das vom Leben besessene Mädchen in diesen Augen. Und sie trug einen Ehering.

„Sie hat damals diesen Rennfahrer geheiratet. Wie hieß der nur. Müssten wir die Kollegen aus dem Sport fragen.“

„Ich dachte Rennsport ist Boulevard?“

„Ich mach doch keinen Boulevard.“ Vorwurfsvolles Schnauben, weiterblättern. Die junge Dame in schnittigen Autos, eins schnittiger als das andere.

„Ich glaube, der hat tatsächlich dieses Autohaus gehabt. Da hinten bei diesem Dingsbums …“

„Marinade-Heinrich?“

„Jetzt, wo du es sagst.“

„Oh, ich kenn mich aus in der Gegend.“

„Hätte ich auch gar nicht anders erwartet. Irgendwann hat dem jemand den Stecker gezogen. Den gibt’s nicht mehr.“

„Ich hab so eine Ahnung. Da hat jemand sein Geld zurückgewollt.“

„Kenn ich den?“

„Ist nur so ein Gefühl.“

„Ah ja, deine Gefühle.“

„Ist schon gut. Hier ist sie wieder schwanger.“

„Ich weiß. War meine Geschichte. Da haben sie sich um die Kinder gestritten?“

„Hatte sie denn schon mehr?“

„Eins, den kleinen Jungen. Aber den wollte der Rennfahrer wohl auch nicht behalten. Hat wohl einen Vaterschaftstest machen lassen.“

„Wegen des Jungen?“

„Nein, wegen des Mädchens, mit dem sie hier schwanger ist. – Hier: Das ist meine Danach-Geschichte.“

„Toller Titel.“

PRINZESSINNEN WEINEN NICHT? Den hat sich der Chef damals ausgedacht.“

„War er bestimmt stolz drauf.“

„Läster nicht. Wir waren danach alle Anzeigen los von diesem Dingsbums, diesem Rennfahrer. Der hat uns nicht mal mehr mit dem Hintern angeguckt.“

„Und wir haben nicht mehr über Motorsport berichtet.“

„Gab’s auch nichts mehr zu berichten. Er hat einfach kein Rennen mehr gekriegt.“

„Na sowas. Hat da jemand was gedreht?“

„Frag doch mal deine Freunde da, den Fuchs zum Beispiel.“

„Ist nicht mein Freund.“

„Vielleicht ganz gut so“, schnaubte Stachelschwein. Und blätterte weiter: Prinzessin als Ballfee mit unbekanntem Verehrer, Prinzessin bei Spendengala, Prinzessin mit Telefonhörer. „Da hat sie eine Partnervermittlung aufgemacht.“

„Und geheiratet.“

„Erst mal die Schlammschlacht vor Gericht. Ich glaub, die haben alles ausgepackt. Wirklich alles. Alle Seitensprünge, alle Veruntreuungen, alle Prügelorgien …“

„Für die Kinder?“

„Nein. Sie haben sich selbst geprügelt. Wenn er nüchtern war, hat er sie grün und blau geschlagen. Ich denke, die Richterin konnte gar nicht anders, auch wenn sie gern wollte.“

„Wie das? Was wollte sie anders, ich denke …“

„Denk lieber nicht. Die Prinzessin hatte eine Anwältin, da wärst du selbst in Deckung gegangen …“

„Mach ich bei Anwälten immer.“

„Die war sogar der Richterin zu scharf. Das hätte dem Rennfahrer vielleicht noch den Arsch gerettet.“

„Hat es aber nicht.“

„Hat es nicht. Als er seine Meinung über Frauen im Allgemeinen und Prinzessinnen im Besonderen ausbreitete, ist die Richterin einfach still geworden und hat dann die Beweisaufnahme beendet. Das war’s dann. Das mit dem Bremsen war wirklich nicht so sein Ding.“

Eine Geschichte wie für einen Liebesfilm im Pantoffel-TV. Das blätterte sich weg, als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben für die Serienheldin des Superfrau-Genres. Mit üblichem Ausgang. Sechs Wochen später feierte die Prinzessin wieder Hochzeit, ganz in Weiß. PRINZESSIN IM GLÜCK, titelte die Seite, die Stachelschwein so liebevoll immer zwischen Kultur und Sport schob. Der Ehemann … na hoppla … „Ist das nicht der Schauspieler, der Dingsbums?“

Blumenkinder, überdrehte Gäste, ein kleines, freches Auto. Unterschrift: „Das schenkte der glückliche Bräutigam seiner Braut zum Hochzeitstag.“ Vorletzte Seite. Das Album war durchgeblättert. Nur noch eine Notiz aus dem Polizeiticker:

… verunglückte eine junge Mutter (29) mit ihren beiden Kindern (6 und 1) am Nachmittag des … auf der Landstraße zwischen X und Y. Bei einem Überholmanöver touchierte der besonders bei jungen Frauen beliebte Kleinwagen einen der dort stehenden Alleebäume und brannte völlig aus. Sämtliche Insassen fanden dabei den Tod. Der Unfallgegner ist flüchtig. Die Polizeidienststelle in A. bittet um Hinweise unter …

„Bevor du fragst: Nein. Sie haben den anderen Fahrer nie ermittelt. Sie wussten nur, dass das Auto silbergrau war und wahrscheinlich ein gar nicht so billiges Modell von einem beliebten deutschen Hersteller. „

Stachelschwein klappte die Mappe zu.

„Das Foto ist von dir“, stelle L. trocken fest.

„Ich war zufällig in der Nähe“, sagte Stachelschwein. „Nur die Polizei war schneller da.“

„Hast du …?“

„Nein. Hab ich nicht.“

Er verstaute die Mappe wieder in seinem alten Schreibtisch, der noch aus einer Zeit stammte, als man solche Ungetüme Sekretär nannte. Klappe zu.

„Das wären dann also schon mal drei“, meinte L.

„Du vergisst die Kinder“, sagte Stachelschwein. Und schickte ihn kurzerhand aus seinem Büro. Es gibt Momente, da trinken auch harte Männer, die so Manches gewohnt sind in ihrem Metier, ihren Milchkaffee für sich allein.

Und Herr L.?

Der versuchte nun zum dritten Mal die Diva anzurufen. Mittlerweile hatte er wirklich das Gefühl, dass es an der Zeit war, dass sie den Hörer abnahm.

Aber sie nahm nicht ab.

Alle Teile der Serie zum Nachlesen.

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