LeserclubEigentlich war hier an dieser Stelle jetzt eine sanfte Überleitung in eine hübsche Bettszene vorgesehen. Die wird noch kommen, keine Bange. Aber irgendwie scheint meinen Kollegen die Geschichte mit dem ganzen Auftritt sehr gut bekannter Raubtiere doch ein bisschen heiß geworden zu sein. Da haben sie mir gestern richtig ins Gewissen geredet: „Der erste Anwalt hat schon angerufen, Leo!“
Was ja bei uns nichts Neues ist. Eher in der Form, dass Anwälte sonst nicht anrufen, sondern gleich ihre Mahnung mit angehängter Rechnung schicken und auch bei Rückrufen nicht erklären, was sie an unseren Geschichten nun in irgendeiner Weise strafwürdig finden. Nur verschwinden sollen die Geschichten, aber karacho, sonst … Rechnung liegt bei. Bei Nichtbefolgen folgt das nächste Schreiben und der Gang zum Gericht.
Sie kennen das wahrscheinlich nicht. Es sei denn, Sie arbeiten bei einer Zeitung, die wirklich versucht, irgendwas herauszubekommen. Davon gibt es nicht mehr viele. Und die anderen fragen vorher, bevor sie irgendwen anrufen, lieber erst den Hausjustiziar. Was in der Regel auch nicht viel nützt, weil die eigentlichen Glücksritter in unserer Republik viel mehr Geld für Anwälte ausgeben können, als die beste Zeitung im Leben einspielt.
„Herr Leu, bitte …“
Wie Sie sehen, haben wir auch schon längst wieder unseren eigenen justiziarischen Zensor eingebaut, der uns schon frühzeitig warnt, ob wir uns eine Geschichte noch leisten können, oder ob wir den hübschen Aufklärungserfolg damit bezahlen, dass wir morgen alle Möbel aus dem Büro schleppen dürfen und der Chef das Licht ausmacht.
„Diese Geschichte wollten wir eigentlich nicht schreiben, Herr Leu.“
„Weiß ich doch. Aber was glauben Sie, warum ich meine Geschichte als Fiktion schreibe?“
„Das glauben einige Leser nicht. Sie wissen doch, wie die meisten Menschen sind: Manche halten die Sache für Realität. Für so eine Art Trojanisches Pferd, mit dem wir ein paar Weißkragen an die Wäsche wollen.“
„Weißkragen haben Sie gesagt, nicht ich.“
„Ist auch egal. Ein paar Leute lesen da draußen sehr genau mit. Und diese Szene da im Bahnhof …“
„Hab ich erfunden. Ist so nie passiert.“
„Aber erzählt hast du sie hier“, mischt sich ein Kollege ein. „Daran erinnern wir uns alle.“
„Ich habe eben eine blühende Phantasie.“
„Zu blühend manchmal.“
Sie ahnten es ja schon: Unser Justiziar saß mit mir am Tisch und schaute höchst besorgt drein. Denn natürlich ist es ein Dilemma, wenn man schon bis zum Bauch in so einer Serie steckt und nicht einfach aufhören kann. Es sei denn, man schreibt groß und fett hin: „DIE FORTSETZUNG DIESER GESCHICHTE WURDE DIESER ZEITUNG GERICHTLICH UNTERSAGT.“
„Was ja nicht den Realitäten entspricht, Herr Leu“, wandte der gute Mann ein, den ich eigentlich mochte, gerade weil er so ein staubtrockener Paragraphenreiter war. Mindestens drei Mal hat er mir, bloß weil er mir etwas streng über seine goldberandete Lesebrille in die Augen sah – sag ich mal so – den warmen Schreibtischsessel und ein paar Nächte Schlaf gerettet. Was mich an das nächste Kapitel erinnert.
„Kannst du ja morgen noch schreiben.“
„Wenn ich mich dann noch trau.“
„Ach Herr Leu, nun machen Sie es uns doch nicht so schwer!“
Wer kann solchen Argumenten widerstehen? Ich verstand sie ja alle. Wir sitzen alle im selben Boot. Nur irgendwann wird man dabei so ein wenig mürbe, so wie Knäckebrot, bröselt vor sich hin und überlegt schon beim Formulieren der Fragen, ob man das den Mann (oder die Frau) überhaupt fragen darf, ohne dass die gleich ihren Rechtsanwalt anrufen und die Registrierkasse klingeln lassen.
Wissen Sie, wie man sich fühlt, wenn man immer mehr Fragen lieber runterschluckt und nicht stellt, weil man weiß, dass man die Antwort sowieso nicht bekommt oder eine auf blauem Kanzleipapier?
Klar, so ein bisschen wie meinereiner jetzt. Zwischen Scylla und Charybdis, an den Mast gefesselt und von Polyphem gejagt. So wie Odysseus bei Kirke, nachdem seine Gefährten verwandelt wurden. Was tun?
Eigentlich war das ja klar. Irgendjemand musste groß Fiktion über die Geschichte schreiben. Märchen, Lügengeschichte. Aber so, dass die Leser nicht enttäuscht waren. Aber trotzdem mit Beipackzettel für alle, die nie das Kleingedruckte lesen: „Vorsicht, Gift!“ – „Gehört nicht in Kinderhände!“ – „Nie mehr als EINE auf einmal!“ Irgendsoetwas.
„Das reicht nicht, Herr Leu.“
Ich sah ihm schon richtig an, wie leid ich ihm tat. Er lobte zwar nie, was wir taten. Da war er vorsichtig. Vielleicht vermutete er, zu viel Lob von einem Paragraphenmenschen könnte uns übermütig machen, unachtsam, leichtsinnig gar. Und dann würde es passieren. Das, was alle die ganze Zeit befürchteten. So ein richtig dickes Ding, bei dem uns auch alle Beweise und geleakten Dokumente nichts nützten.
Gab ja nicht nur die privatisierenden Haifische, gab ja auch die offiziell amtierenden, die funktionstragenden und … nein, die erwähne ich hier lieber nicht. Die anderen eben. Alle am längeren Hebel, alle besser bezahlt und die meisten davon unkündbar.
Was tun?
Ich hab dann mehrere Vorschläge formuliert. Kurz und knackig wäre ja am schönsten gewesen: „Alles nur ausgedacht. Bleiben Sie dran.“
Aber da hat er nur sachte den Kopf geschüttelt.
„Wie wär’s mit: Keine der handelnden Personen ist echt? Für Ähnlichkeiten übernehmen wir keine Haftung?“
Kopfschütteln.
„Aber in Krimis steht das immer so.“
„Ja, in Krimis. Ich lese auch gern welche.“
Sachtes Blinzeln hinter den Brillengläsern. Was blieb mir übrig?
Also haben wir die fette Warnplakette entwickelt, die Sie oben sehen. Die gilt für alle vergangenen, künftigen und vielleicht noch folgenden Teile.
Auch für die Bettszenen.
„Das scheint Sie ja doch nicht umzuwerfen, Herr Leu, oder?“
Glaubte er das wirklich? Wenn ich eins gelernt habe seit der Sache mit dem Schlips, dann ist es das: Du darfst nie zeigen, wie sehr dich irgendetwas gekränkt hat. Nicht mal mit der Wimper zucken sollte man, wenn sie dir zeigen, wo der Hammer hängt. Erst recht nicht, wenn sie dir gerade eine richtig gute Geschichte verdorben haben.
Wobei es hier wohl eher darum ging, lieber vorher ein Warnschild hinzustellen. Natürlich nicht für die Raubtiere, sondern für die Schafe. Damit sie gar nicht erst auf den Gedanken kämen, das Gras auf dieser Wiese könnte echt sein.
„Nein, ich werde mich nachher hinsetzen und die Bettszene runterhacken, dass die Tastatur raucht.“
„So lieben wir unseren Leo.“
„Sie können es wohl gar nicht erwarten?“
„Natürlich nicht. Ich warte jeden Tag auf den nächsten Teil, das verspreche ich Ihnen.“
„Sammeln Sie die etwa?“
„Natürlich, Herr Leu. Ihr Ordner ist der dickste von allen.“
So was kann er mit einer Stimme sagen, bei der man die Büroklammern singen hört.
„Und dann?“
„Lese ich jeden Teil mit Argusaugen. Das verspreche ich Ihnen.“
Und er schaut mich mit Argusaugen an. Und die Büroklammer machte „Bing!“ Aber nur, weil ich sie jetzt durchgebrochen hatte. Wieder mal die richtige Stelle erwischt. Das Ergebnis dürfen Sie dick und fett ganz oben bewundern. Und die Bettszene gibt es irgendwann in den nächsten Tagen.
Wenn ich nicht mehr so aufgewühlt bin in meinem innersten Inneren.
Diese Rechtsanwälte.
Alle Teile der Serie zum Nachlesen.
In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“
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