Manchmal dauert’s ein bisschen länger, erst recht, wenn bei zwei wichtigen Geschichten, die unbedingt noch in der neuen „Leipziger Zeitung“ stehen sollten, die Antworten fehlten und damit wichtige Bausteine. Was macht man da? Lässt man Löcher oder lässt man die Zeitung eine Woche später erscheinen? Beide Geschichten sind drin - die Januar-Randale in Connewitz genauso wie die Unister-Story.
Beide Geschichten bewegen seit Tagen schon die Stadt. Viele Kollegen versuchen, sich das Bild des Leipziger Höhenfliegers Unister zusammenzupuzzeln. Manchmal mit erstaunlicher Phantasie. Nach dem Tod des Firmengründers Thomas Wagner steht dieses einstige Leipziger Vorzeigeunternehmen auf einmal mitten im Scheinwerferlicht. Für Manchen scheint es jetzt erst recht seine ganze Brüchigkeit zu zeigen: Zu schnell gewachsen? Zu viel Risiko eingegangen? Die falschen Freunde gefunden? Zu wenig Unterstützung aus der Region bekommen?
Die Unister-Tragödie
Das Tragische und Beklemmende an diesem Fall ist: Es könnte tatsächlich eine verdammt typische Geschichte dafür sein, wie schwer es jungen Unternehmen aus dem Osten fällt, finanziell festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und wie brüchig ein Markt wie das Internet-Geschäft ist, das frappierend dem der Fernbus-Anbieter ähnelt: Einige wenige große Spieler kämpfen gerade im Markt der Reiseportale mit harten Bandagen um winzigste Margen. Und Zeit, zur Ruhe zu kommen, hat niemand. Der Absturz und die Insolvenz erzählen am Ende von einem knallharten Wettbewerb, den am Ende die verlieren, die nicht über die nötigen Finanzreserven verfügen und eigentlich auch keine Zeit haben, jemals in Ruhe Ideen bis zur Reife zu bringen.
Über die im Grunde tragische Geschichte von Unister erzählt in der neuen LZ Michael Freitag. Natürlich ausführlich. Wer liest, soll auch so eine Ahnung bekommen vom Hexentanz in den schönen neuen Welten des Internets.
Randale in Connewitz
Vielleicht hat das Internet auch eine Rolle gespielt, als eine Gruppe bekannter rechtsradikaler Schwerenöter am 11. Januar ihren irgendwie als „Rache“ geplanten Überfall auf den alternativen Stadtteil Connewitz organisierte. Man verabredete sich, lud die Kumpels dazu – und dann fielen im Schatten einer LEGIDA-Demonstration über 200 gewaltbereite Rechtsradikale über Connewitz her, feierten eine regelrechte Sause der Verwüstung. Bis die Polizei mit Blaulicht kam und die Schläger gleich im Dutzend einsammelte. Der Überfall hat längst ein Nachspiel für 215 beteiligte Personen, von denen etliche schon im Fußballumfeld aufgefallen waren. Über Umstände und Hintergründe dieses 11. Januar berichten Martin Schöler und Alexander Böhm.
Natürlich auch so ausführlich, wie es bisher noch keiner getan hat.
Denn das sind mittlerweile die Geschichten, die für die „Leipziger Zeitung“ immer wichtiger werden: Hintergrundberichte über jene Ereignisse in der Stadt, über die die Tagesmeldungen meist nur oberflächlich hinhuschen.
Denn wer nicht fragt, woher das Alles kommt, wer die Spieler sind und wo die historischen Wurzeln liegen, der versteht solche Vorgänge nicht. Und rätselt beim nächsten Mal wieder, aus welcher Kiste das nun kam.
Unordnung im Ordnungsamt? Kaputtgesparte Kommunen?
Ein Thema wird erst so richtig heiß: Die seltsame Rolle des Ordnungsamtes, das in Leipzig Vieles, wozu es eigentlich verpflichtet ist, nicht mehr tut. Kurz angerissen mit einer Meldung über die Parkprobleme in Schleußig und Plagwitz.
Dabei steht natürlich eine andere Frage dahinter: Können Kommunen überhaupt noch funktionieren, wenn sie immer weiter bis aufs Zahnfleisch heruntergespart werden?
Was ist das überhaupt für eine Gesellschaft, die ihre Kommunen schröpft, aber gern von einem Mittelstand erzählt, den es so wie im reichen Südwesten gar nicht gibt in Sachsen? Und die Unternehmer, die es gibt, müssen sich auch noch – wie der Biomarkt-Betreiber Malte Reupert – als „Bio-Hitler von Connewitz“ titulieren lassen. Seine Werbekampagne gegen die Gedankenlosigkeit der kapitalistischen Gegenwart hat ausgerechnet die Steineschmeißer aus dem gedankenlosen Untergrund auf den Plan gerufen. Und nun gibt er im Interview ausführlich Auskunft zu so gar nicht leichten Themen wie Nachhaltigkeit, Regionalität und was Lebensmittel eigentlich kosten, wenn sie nicht aus einer Billig-Landwirtschaft kommen, die unsere Welt zerstört.
Kaputtgesparte Medien?
Dasselbe Thema haben auch wir. Wir Medienmacher. Wir machen hier nicht nur seit einem Jahr eine Zeitung, die wir immer dichter packen mit Geschichten, die wir für wichtig halten und denen wir auf den Grund zu gehen versuchen. Wir machen ja „so nebenbei“ auch eine engagierte Internet-Zeitung. Und erleben dort gerade, was passiert, wenn der Markt von den riesigen Billigheimern einfach aufgefressen wird und gleichzeitig die lokale Wirtschaft untertaucht, weil man mit so etwas Schrecklichem wie Journalismus nicht mehr in Berührung kommen möchte.
Da steht die Frage auf der Schwelle: Wie macht man da noch Journalismus?
Also gibt’s einen größeren Beitrag zum Lokaljournalismus und zwei Debattenbeiträge, wie eigentlich die Macher von lokalen Medien ihre Arbeit und ein Stück Zukunft sehen. Erwartbar zwischen heiter bis wolkig. Arne Petrich von Jenapolis.de fordert endlich eine wirkliche Mediendebatte (ohne die üblichen Verdächtigen, die eh nur noch Sand streuen) auf lokaler Ebene. Und Robert Dobschütz (Mitinhaber der L-IZ.de & LZ) hat versucht, die ganz eigene Motivation auf den Punkt zu bringen. Am Ende kommen sie zu einem Ergebnis. Für sich, für uns.
Gestresste Polizei? Überforderte Gerichte?
Und wenn Sie das Gefühl haben, den lokalen Journalismus brauche sowieso niemand, dann blättern Sie einfach um. Da steht die Geschichte eines Aktivisten der „Apfelfront“, einer satirischen Aktion gegen die Rechtsextremisten im Land. Aber wer sich derart bekannt macht, muss in Sachsen auch damit rechnen, vor Gericht zu landen, weil eine gestresste Polizistin im Angeklagten einen gewalttätigen Angreifer aus einer Demonstration wiedererkannt haben will. Muss er sich nun für die Tat eines Anderen verantworten, bloß weil eine Beamtin für sich keinen Zweifel in der Erinnerung zulässt? Und was Beamte sagen, ist ja wohl immer die absolute Wahrheit, oder?
Natürlich merken auch die Polizstinnen und Polizisten im Land, dass da etwas ins Rutschen geraten ist. Ein wachsender Teil der ach so friedlichen Bürger wird immer renitenter, überschreitet nicht nur verbal immer mehr Grenzen. – Woher kommt das? Eine Antwort könnte psychologischer Natur sein und nennt sich „narzisstische Plombe“. Denn wer das Glück seiner Bürger mit lauter Heilsversprechen unterfüttert, die nicht immer einlösbar sind, der sorgt für spürbare Irritationen. Die sich nun einmal nicht in rationaler Bürgerbeteiligung entäußern, sondern in oft ziemlich irrationalen Kampagnen.
LEGIDA im Schmelzprozess, Bildung auf Sparflamme
Was freilich nichts daran ändert, dass just die Bewegung, die noch vor einem Jahr behauptete, die Lösung für Alles zu bieten, gerade zusammenschmilzt wie Schnee in der Sonne. Darüber berichtet René Loch in einem Beitrag über LEGIDA: „Der Niedergang einer völkischen Bewegung“.
Und LEGIDA schmilzt nicht gerade, weil der Freistaat endlich munter geworden ist und mehr für die Bildung seiner Bürger getan hat. Hat er nicht. Mit verzweifelter Anstrengung kämpft der kleine Koalitionspartner SPD in Dresden darum, dass endlich die Fehler der Bildungspolitik der vergangenen Jahre korrigiert werden. Der Schulanfang 2016/2017 aber hat gezeigt: Jetzt zeigen die katastrophalen Entscheidungen der letzten sechs Jahre erst einmal so richtig, was sie angerichtet haben. So viele Lehrer fehlten noch nie und auch die eilige Illusion der “Quereinsteiger” platzt schon wieder.
Auf Effizienz gebürstet? Sponsoring für Millionäre?
Und berechtigterweise fragt Jens-Uwe Joop: „Wo bleibt dann neben der Orientierung auf Effizienz und Erfolg das Verständnis und die Toleranz für Schwäche, ja, für wirkliche Individualität?“ Eine Frage ins Herz der Gegenwart: Immer mehr Sachsen erleben genau dieses zunehmende Unverständnis, das sich in einem auf Effizienz gebürsteten Staatswesen regelrecht etabliert hat.
Und dafür ist der Umgang mit dem Fußballclub RB Leipzig geradezu typisch. Mit dem Thema beschäftigen sich Marko Hofmann und Martin Schöler natürlich sehr ausführlich: „Eine Stadt sieht rot“. Eine Sponsoringüberlegung der LVV, wie es in die Landschaft einer “armen Kommune” nicht so recht passen will.
Das war jetzt nur der Schnelldurchlauf durch einige der großen Geschichten. Wer alles liest, merkt, warum man bei einigen Geschichten noch ein paar Antworten abwarten musste.
Die neue „Leipziger Zeitung“ liegt am morgigen Freitag, 19. August, an allen bekannten Vorverkaufsstellen aus. Besonders in den Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Also, support your local dealer.
In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“
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