LeserclubAber wie hat es Herr L. geschafft, den Abend mit Oleg Blochin verbringen zu dürfen nach dieser ausgemachten Sauerei im Flur? Wie ist er um den fälligen Stubenarrest herumgekommen? Um die hochnotpeinliche Befragung hat er sich nicht drücken können. Das war klar. Immerhin hatte seine Allerschönste und Tröstende ja extra seinen Lieblingsfisch gekauft. Nie hatte sich ein Mensch sorgender um ihn bemüht, als seine Einzige.
Und wir werden ihren Namen hier nicht verraten. Und wenn hier irgendwo schon von Häschen, Schnuckiputz und Bählämmchen die Sprache gewesen sein sollte – BITTE STREICHEN. Das geht so nicht.
Man geht mit dem allerliebsten Geschlecht nicht so kindisch um. So fängt das nämlich an. Mäuschen hier und Mausiputzi da. Und schon sind die klugen, allesverzeihenden Wesen an unserer Seite zum Spielzeug geworden. In unserem Reden, unserem Träumen. Und gar, wenn wir mit Nachbars über sie reden. Oder tratschen Männer nicht?
Na gut, Oleg ausgenommen. Der sagte ja gern: „Deine Mascha ist wie meine Mascha. Ohne unsere Maschas wären wir einen Dreck wert, sag ich dir. Zu nichts zu gebrauchen. Kauf deiner Mascha lieber mal Blumen.“
Hat Herr L. dann auch getreulich immer wieder gemacht. Auch heute. Quasi kam er mit zwei Sträußen angehetzt nach getanem Tagwerk und flüchtigem Verlassen der Redaktion, damit ihn ja Keiner mehr fragte oder um ein Artikelchen bat. Heute nicht mehr.
Dafür freute sich der alte Mann im Laden mit den Malerutensilien (und wenn Sie wissen, wann der Laden dichtgemacht hat in unserer Straße, dann wissen sie auch, wann die Geschichte spielt. Dann wissen Sie zwar noch nicht, warum der Mann seinen Laden zugemacht hat, obwohl man da Farben und Pinsel fand, die es auch im größten Baumarkt nicht gab. Aber das verraten wir – vielleicht – ein andermal. Und wenn wir nicht gar zu beschämt sind nach der Szene, die sich an dem Tag noch abspielte im Flur von L. s Wohnung.)
Wo wir ihn stehen sehen: den Strauß bunter Tulpen in der einen Hand (gelbe, rote und eine blaue) und den Strauß bunter Pinsel in der anderen Hand, hingereicht, wie man das macht als Mann, wenn man wieder mal den Hochzeitstag vergessen hat.
Oder die Wohnung hinterlassen hat wie ein Schlachtfeld. Denn so sah der Flur ja aus. Olegs schaumiger Feuerlöscheinsatz hatte nicht nur die Tapete erwischt und die Hüte und Schals auf der Ablage, sondern auch alle Schuhe im Schuhregal – drei schiefgetretene Paar von L., sozusagen sein tägliches Laufwerkzeug, und sieben, äh, acht … neun … elf Paar …
… wirkliche hübsche, zierliche Damenschuhe. Was L. natürlich sah, als er kurz hinunterschaute. Die Tür hatte die Frau seiner Träume und seiner schönsten Morgenstunden geöffnet, sichtlich aufgelöst, denn sie war wütend und sauer und traurig und wahrscheinlich auch verzweifelt. Und sie war nicht nur völlig verheult, sondern richtig im Brass und gerade dabei, alle ihre schlimmsten Worte auf den Spätkömmling niederprasseln zu lassen.
Sie hatte schon tief Luft geholt.
Und geschnieft.
Und alle Verzweiflung in ihre Stimme gelegt, so wie frau das macht, wenn sie genau weiß, dass der Verursacher all ihres Grams hinter der Tür steht, wenn sie die nun aufreißt, und natürlich – weil Männer so sind – dastehen wird mit dieser falschen Unschuldsmiene, DIE ALLE MÄNNER drauf haben, wenn sie genau wissen, dass sie wieder einmal …
.. äh, den Hochzeitstag …
Oder das gemeinsame Lieblingsessen. Für das die fleißigste Frau auf Erden stundenlang in der Küche … „das kannst du dir gar nicht“ …
Aber Sie wissen ja sicher, was Frauen in solchen Situationen durch den Kopf geht. Es gibt einige unter ihnen, die gar nicht erst anfangen, über irgendwelche Vorwürfe nachzudenken. Sondern gleich die Bratpfanne schmeißen.
Aber so eine war L.s Mascha nicht (die natürlich nicht so hieß, das haben wir ja schon gesagt). Sonst wäre sie ja nie an diesen seltsamen Herrn L. geraten, der es fertigbringt, mit 13 kunterbunten Tulpen in der einen und sieben genauso bunten Pinseln in der anderen Hand in der Tür zu stehen, so gespannt und voller Vorfreude auf die Frau, die ihm die Tür aufreißen würde.
Und die natürlich wütend sein durfte. Und jetzt doch nicht konnte. Und mitten im Anfang abbrach und glänzende Augen bekam und diesen komischen L. anschaute, als hätte sie ihn noch niemals bei solchen Streichen erwischt. Und während ihre Stirn noch in Zornesfalten lag, zuckte ein Lächeln um ihren Mund, kniff sie die Lippen zusammen und hätte beinah losgeheult, so schrecklich närrisch war dieser Kerl, zu dem sie immer sagte, sie würde so einen wie ihn nie und nimmer heiraten, wenn er fragte. Und doch blieb sie da. Und briet ihm seinen Lieblingsfisch und stellte die Rotweinflasche wieder ins Regal.
Nein, heute keinen Rotwein.
„Vielleicht einen Kaffee?“ wagte L. zu fragen.
„Nein“, sagte sie. „Du zitterst doch jetzt schon. Irgendwann fällst du mir tot um, weil du von dem Zeug …“
„Aber der Kaffee ist doch gar nicht schuld. Und ich habe auch nicht …“
„Das, lieber L., glaub ich dir nicht. Selbst wenn es stimmt.“
Also gab es einen Beruhigungstee. Und eine aufmerksame Zuhörerin, die alles genau wissen wollte.
„Aber das darfst du doch gar nicht wissen“, sagte L. „Das ist viel zu gefährlich …“
Aber er musste es doch erzählen. Nur das mit dem Mammut ließ er weg. Das hätte sie doch zu sehr erschreckt. Sie ängstigte sich sowieso schon viel zu viel um ihn. Da wagte er ja gar nicht mehr anzurufen bei dubiosen Tippgebern, flüsternden Beamten und seinem liebsten Anwalt, der ihm jedes Mal nur sagte, er käme in Teufels Küche, wenn er so weitermachte, ihm dann aber doch verriet, wie die Ermittlungen standen.
Ja, zum Beispiel die gegen Mammut. Jetzt ist es raus.
Aber das erzählen wir hier jetzt noch nicht. Und L. hat es auch nicht erzählt, nur dass Igor in irgendwelchen alten dubiosen Aktenstücken etwas ganz, ganz Wichtiges entdeckt hatte.
„Und was hast du mit den Aktenstücken zu tun?“
„Ich? Och, eigentlich …“
„Wusste ich es doch. L., du bist unverbesserlich.“
Und wenn sie nicht schon die Packung Taschentücher da liegen gehabt hätte, hätte sie welche holen müssen. Dabei hatte er ihr vor einiger Zeit schon angeboten, den Job einfach an den Nagel zu hängen. Braucht doch keine Sau. Die Leute lesen, zucken mit den Schultern, machen weiter wie immer. Da könnte er auch ruhig Straßenkehrer werden oder Möbelträger. Oder – was er sich als besonders gesunden Beruf vorstellte – Förster im Wald. Da konnte man den Bäumen beim Rauschen zuhören, den Vögeln beim Dingsbums und manchmal durfte man auch einen Wilderer hoppnehmen: „Jetzt ist es aus mit dir, du garstiger Wildschütz …“
Na ja, so ungefähr.
„Du wirst nie Förster, mein Lieber. Trink deinen Tee.“
„Soll ich Oleg nun absagen?“
„Nein“, schniefte sie. Auch wenn sie sich auf ein schönes Stündchen in der Sofaecke gefreut hätte mit ihm. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, was L. mit seiner Mascha in der Sofaecke anstellte, dann suchen Sie sich einfach eine Frau, die gern zuhört, wenn ihr Mann der Stunde ihr mit freudigem Flunkern in der Stimme den ganzen „Oliver Twist“ vorliest.
Und wenn Sie den noch nicht gelesen haben, dann sind Sie selber schuld.
„Geh nur zu Oleg, der freut sich doch selbst schon. Ich kenn ihn doch.“
Und das klang beinah wie ein Trost, als sie das sagte. Denn wenn L. bei Oleg war, dann konnte sie zumindest sicher sein, dass ein kluger starker Bursche auf ihren L. aufpasste. Anders als sonst in seinem Leben, das sie so sehr verabscheute, dass sie gar nicht anders konnte, als ihm zumindest diese Tage zu verzeihen, an denen er so tat, als wäre er ruhig wie ein Bussard in der Luft. Auch wenn er eigentlich die ganze Zeit so guckte, als wäre er die kleine Feldmaus unten in den Stoppeln.
Die genau wusste, dass der Bussard sie gesehen hatte.
Nur wusste L. eben nicht, wer hier eigentlich der Bussard war.
Und sie wusste es leider auch nicht. Und das machte sie manchmal – das gab sie gern zu – ein bisschen wütend. Da hätte sie ihm schon gern …
Aber als sie dann Oleg im Treppenhaus brüllen hörte – „Da bist du ja endlich, nu aber dawei, der Garten wartet …!“ – da war sie für heute erst mal beruhigt.
Was die beiden da oben in Olegs Dachgarten zu bereden hatten, das interessierte sie schon. Ein bisschen. So ein klitzekleines bisschen. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie sie den verdammten Bussard ablenken könnte.
Sie haben die ersten Teile verpasst? Hier sind sie:
Hier ist Teil 1, in dem Herr L. eine heiße Geschichte vergießt und aufbricht zu einem noch viel heißeren Termin
Warum Herr L. immer wieder aus seiner Arbeit gerissen und eine Geschichte wieder nicht geschrieben wird
In Teil 2 geht es um ein Knappdaneben, über das sich Herr L. gewaltig ärgern dürfte.
Entgleitet Herrn L. auch diese Geschichte wie ein Fisch?
Und in Teil 3 wurde die höchst misstrauische Staatsmacht aufmerksam auf sein Treiben.
Die nicht ganz unwichtige Rolle von Zerstreutheit und Koffein im Leben des Herrn L.
Und in Teil 4 gab’s auf einmal Ärger für zwei misstrauische Beamte
Eine ziemlich frustrierende Begegnung auf Bahnsteig 7 – aber für wen eigentlich?
In Teil 5 hat es ordentlich gescheppert und Herr L. bekam es mit einem misstrauischen Kollegen zu tun.
Gibst Du wohl her!
In Teil 6 ließ sich Herr L. mit einem Kaffee schon gar nicht erpressen.
Mit einem Kaffee lässt sich Herr L. nicht erpressen, aber das macht das Leben nicht leichter
In Teil 7. versuchte Herr L., die ganze Chose trockenzubügeln.
Herr L. bügelt jetzt endlich ein paar durchfeuchtete Aktenstücke
Und was passiert jetzt? Teil 8
Da hilft alles Bügeln nichts, Herr L.s Wohnung wird gestürmt
In Teil 9 fiel zum ersten Mal das Stichwort „Marinaden-Heinrich“.
Herr L. erinnert an eine staubalte Geschichte und muss mit Oleg Blochin aufs Dach
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Jetzt mal abgesehen davon, dass ich diese Geschichte ja total spannend finde – wie ihr immer über Frauen schreibt ist herrlich. Da kann man ja ganz neidisch werden. Wunderschön.