LeserclubOjemine, was ist da passiert? Ein kleines Erdbeben? Ein Ãœberfall? Oder nur ein Zuruf aus dem Off, der Herrn L. (nennen wir einfach mal so) mitten aus der Arbeit gerissen hat? Oder war es nur eine kleine Ablenkung, von der Sie nichts erfahren sollen?
Jedenfalls war der Kaffee noch frisch, stark und heiß. Und Herr L. war gerade dabei, sich wieder auf seine Geschichte über die verschwundenen Millionen aus einer nicht ganz unwichtigen öffentlichen Kasse zu konzentrieren, als der Anruf kam. Er steckte mitten in einer durchaus heiklen Stelle, an der er gerade erklärte, warum die Millionen fehlten und wohin sie möglicherweise geflossen sind.
Aber das hatte er nur unter der Hand erfahren und musste aufpassen, seinen Tippgeber nicht zu verraten, der zwar verantwortlich dafür war, den Fluss der Millionen zu kontrollieren.
Doch den entscheidenden Auftrag hatte dessen Vorgesetzter unterschrieben. Möglicherweise mit Wissen von dessen Vorgesetzten. Aber den Auftrag durfte Herr L. gar nicht kennen. Der war aus „Schutz privater Interessen“ als Verschlusssache eingestuft und auch dem zuständigen Ausschuss nicht zur Kenntnis gegeben worden.
Aber selbst eine Anfrage an die Ausschussmitglieder durfte er nicht stellen, denn dann würde auch der Vorgesetzte seines Tippgebers erfahren, dass er von der geheimen Verschlusssache erfahren hatte, und dann wäre klar, wer den Tipp gegeben hatte. Und dann wäre Herr L. schuld, dass sein Tippgeber möglicherweise nicht nur seine doch einigermaßen ordentliche Arbeit verlor, sondern wahrscheinlich auch eine Anklage an den Hals bekäme. Wie das zuvor schon mehrfach praktiziert worden war, wenn Informationen an die Presse hinausgegangen waren, die zwar von hohem Interesse für die Allgemeinheit waren, aber die Allgemeinheit eigentlich nicht interessieren sollten.
Zumindest aus Sicht des Vorgesetzten des Vorgesetzten, den Herr L. für eine sehr fischige Gestalt hielt. Aber das durfte er auch nur indirekt schreiben. Herr L. wusste genau, dass sein Tun sehr aufmerksam beäugt wurde. Denn nicht nur der fischige Herr Vorgesetzte, auch ein paar seiner Parteifreunde mochten es eigentlich nicht, wenn die ganze Stadt erfuhr, wer hier wem ein paar lukrative Aufträge zukommen ließ, um die sich andere Leute seit Jahren vergeblich bewarben.
Ein ganz heikles Ding also. Und Herr L. hatte sich schon seit einer halben Stunde bemüht, die Geschichte so zu erzählen, dass zwar alle Leser wussten, von wem die Rede war, aber kein Rechtsanwalt gerichtsfest beweisen konnte, woher die Informationen stammten. Das Wort Fisch durfte er also nicht erwähnen.
Und dann rasselte das Telefon mitten in den Gedankengang, mit dem er gerade dabei war, die richtige Formulierung zu finden, über die frisch aufgefüllte Tasse mit heißem Kaffee gebeugt, hochkonzentriert wie ein Brühwürfel. Und dann das. Schnädderedäng! Schon oft hatte sich Herr L. vorgenommen, sich nie wieder so sehr zu konzentrieren, dass ihn Störungen aus seiner tiefen Versenkung schrecken konnten.
Doch immer wieder geschah es. Und fast jedes Mal war es, wenn er sich noch völlig erschreckt und verdattert meldete mit „Ja, hier L.“, dass ihn eine verwunderte Stimme am anderen Ende der Leitung fragte, wo er denn bliebe. Man warte auf ihn.
Und ein hastiger Blick in seinen Taschenkalender bestätigte den Befund: Potzblitzundeiderdaus. Wieder ein Termin, wegen dem er schon eine ganze schlaflose Nacht hinter sich hatte. Und doch war er im entscheidenden Moment wieder irgendwo, mitten in einer Geschichte, die zumindest nicht ganz ungefährlich war, wenn er sie verkorkste.
Sie könnte seine kleine Stadt vielleicht ein bisschen besser machen, hoffte er. So wie schon ein, zwei Geschichten zuvor. Wenn sie nur nicht von den fiebernden Lesern dann doch nur wie eine gute Schauergeschichten gelesen würden: Schau mal an, der Herr Fisch wieder mal. Haben wir doch eh gewusst.
Aber warum handeln die Leute dann nicht, fragte sich Herr L. immer wieder, wenn er nachts keine Ruhe fand. Warum lassen sie sich das immer wieder gefallen? Aber das sind keine Gedanken, die man denken sollte, wenn man in aller Eile seine Tasche, seinen Schal und seine Mütze schnappt und aus dem Raum springt, um noch die eine Straßenbahn zu bekommen, mit der er gerade noch rechtzeitig am verabredeten Ort sein konnte.
Nur der Kaffee hatte in diesem Moment ein kleines Problem: Er fühlte sich zwischen Ü und Ä völlig fehl am Platz.
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Jetzt bin ich neugierig auf Teil 2 :0)