Seit der vergangenen Woche ist eine Website online, an der der Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. 2014 und 2015 fleißig gearbeitet hat: die virtuelle Ausstellung „Rotstift. Medienmacht, Zensur und Öffentlichkeit in der DDR.“ Eigentlich ist es eine Wanderausstellung, die im April 2015 erstmals in Leipzig zu sehen war. Erstaunlicherweise bei der LVZ. Aber das Thema ist auch ein Jahr später noch hochaktuell.

Auch wenn es erst einmal nur reine Geschichte ist – scheinbar ordentlich verpackt im 40-Jahre-DDR-Päckchen, 1989 abgehakt und im Archiv verstaut. Aber Geschichte legt man nicht einfach in Archiven ab, entsorgt sie auch nicht in Containern oder auf Müllhaufen. Politiker werden ja geradezu großmäulig, wenn sie über Geschichte reden. Und vergesslich noch dazu. Was unter anderem eben auch beide deutsche Diktaturen betrifft, nicht nur die rote.

Welche Schwierigkeiten die Stiftung Sächsische Gedenkstätten mit der braunen Diktatur hat, darüber haben wir ja schon berichtet. Umso fleißiger fördert sie Projekte, die die Erinnerung an die DDR und die SBZ wach halten. Was natürlich not tut. Denn auch diese Geschichte wurde ja 1990 nicht einfach abgeschnitten. Und auch wenn „Der Schwarze Kanal“ in der Versenkung verschwand und diverse Parteiblätter sich ruckzuck umbetitelten und aus braven „Organen der Bezirksparteileitung“ zu Kampfgeschützen der Freiheit wurden (oder der neuen Welt der freien Werbung), prägen natürlich Jahrzehnte in einem „vormundschaftlichen Staat“ (Rolf Henrich) mit einer gesteuerten Parteipresse und einer allumfassenden Zensur.

Wie lernt man da den souveränen Umgang mit freien Medien?

Eine durchaus spannende Frage, seit ausgerechnet im ehemaligen „Tal der Ahnungslosen“ PEGIDA demonstriert, als herrsche im Land noch immer die einstige Parteizensur.

Haben die Leute da irgendetwas nicht mitgekriegt?

Der Verdacht schwebt zumindest im Raum.

Und auch Uwe Schwabe, Vorstandsvorsitzender des Archivs Bürgerbewegung Leipzig (ABL) e.V. sieht da Zeitbezüge, die zu bedenken sind: „Lügenpresse, staatsgelenkte Medien oder Systempresse: dies sind die Bezeichnungen, derer sich die rechtspopulistischen Demonstranten in verschiedenen Städten Deutschlands seit geraumer Zeit bedienen. Während Leipziger LEGIDA-Demonstrationen erklingt sogar die Melodie des ‚Schwarzen Kanal‘. Dieser fragwürdige Rückgriff auf diktaturgeprägte Begriffe und Erscheinungen erfordert den Blick zu werfen, auf das, was einst staatsgelenkte Presse in Deutschland war.“

Mit seiner nun auch ins Internet gestellten Ausstellung „Rotstift. Medienmacht, Zensur und Öffentlichkeit in der DDR.“ will das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. den Weg zum Verständnis historischer Realitäten ebnen. Die Präsentation zeigt die Entstehung und Entwicklung der Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR im Zeitraum 1945 bis 1990. Die Internetpräsenz verknüpft allgemein verständliche Texte, historische Fotos, originale Zitate, vertiefende Dokumente, schnell erfassbare Grafiken sowie Audio- und Videoelemente zu einem anschaulichen Blick hinter die historischen Kulissen. Verschiedene Zeitzeugen berichten über ihre persönlichen Erfahrungen, die sie mit dem SED-Medienmonopol und der Zensur gemacht haben.

Die Ausstellung erinnert auch daran, dass eine zentrale Forderung im Herbst 1989 die Forderung nach Pressefreiheit war. Die Bürgerrechtler wussten genau, was passiert, wenn eine Bevölkerung keinen Zugang zu freien Medien und relevanten Informationen hat.

Da könnte man einwenden: Das haben doch auch die Leute von PEGIDA & Co.? Aber augenscheinlich ist die Fähigkeit, mit Medienvielfalt und Ideenstreit souverän umzugehen, bei einigen Bevölkerungsgruppen verloren gegangen. Oder es hat sie nie interessiert – auch weil wirkliches politisches Interesse in der DDR eher gefährlich war. Da hielt man sich lieber raus, behielt seine Meinung für sich und duckte sich weg – erstaunlicherweise Verhaltensweisen, die man heute bei PEGIDA wieder beobachten kann. Eine geradezu untertänige Renitenz.

Die aber das Wissen um wirkliche Zensurmechanismen oder gar die Folgen gesteuerter Medienpolitik in der DDR völlig vermissen lässt.

Das wohl größte Manko, das die DDR damals erlitten hat, ist der Verlust seiner kompletten kritischen Öffentlichkeit. Nicht nur die Zeitungen wurden ja gegängelt und zensiert. Genauso gründlich ging man beim Verbot kritischer Literatur vor. Uwe Johnson, Fritz-Rudolf Fries und Stefan Heym tauchen als namhafte Autoren auf, von denen Bücher in der DDR nicht erscheinen durften, Jürgen Fuchs, Lutz Rathenow und Andreas Reimann kommen ins Bild. Eine Auswahl, die nicht einmal ahnen lässt, wie umfassend die Restriktionen gegen kritische oder auch nur eigenwillige Literatur in der DDR waren.

Eindrucksvoll immer wieder: die Fotos von langen Käuferschlangen vor den Zeitungskiosken. Mancher bezweifelt ja heute, dass die DDR ein Leseland war. Aber sie war eins. Gerade weil es das riesige Angebot des Westens nicht gab und Publikationen wie „Wochenpost“, „Eulenspiegel“, „Magazin“ und später auch der „Sputnik“ echte Bückware waren. Genauso war es, wenn die lange verzögerten Bücher einer Christa Wolf oder eines Erwin Strittmatter in die Läden kamen: Die Leute lasen. Und zwar nicht nur das Gedruckte, sondern ebenso emsig zwischen den Zeilen.

Und wer Westverwandtschaft hatte, der animierte die Verwandten natürlich, heiße Leseware in die DDR zu schmuggeln. Von den Büchern eines Erich Loest (dessen „Fall“ in der Ausstellung ebenfalls thematisiert wird) bis hin zu Magazinen wie dem „Spiegel“. Was da im Herbst 1989 demonstrierte, das waren auch jede Menge Menschen, die den Hunger nach wichtiger Literatur und wirklich kritischen Medien kannten.

Umso verblüffter sind etliche von ihnen, die nun ein grimmiges Völkchen marschieren sehen mit Argumenten, die direkt aus der Medienfabrik eines Wladimir Putin stammen. Und die Frage steht durchaus im Raum: Können diese Spaziergänger zwischen kritischer Medienberichterstattung und Propaganda tatsächlich nicht unterscheiden? Oder lassen sie sich einfach beeinflussen, weil sie mit der Medienvielfalt von heute gar nichts anfangen können, vielleicht sogar heillos überfordert sind?

Das sind zumindest spannende Fragen, die die Ausstellung natürlich nicht beantworten kann. Sie zeigt in einem Ausschnitt, wie Bevormundung und Zensur in der DDR funktionierten, wie der Wunsch nach „Glasnost“ im Herbst 1989 eine der wichtigsten Forderungen wurde und wie die ersten zaghaften Pflänzchen einer neuen Medienvielfalt im Jahr 1990 wuchsen. Ein Gewinn, den durchaus viele Bürger im Osten zu schätzen wissen. Andere nutzen die vielen Medienangebote, haben aber längst vergessen, was das für eine Errungenschaft war und ist.

Aber gerade mit ihrer Schwerpunktsetzung macht die virtuelle Ausstellung auch deutlich, dass Medienvielfalt weder eine staatliche Gnade noch ein dauerhaftes Geschenk ist. Sie ist immer wieder gefährdet – manchmal durch Behörden, manchmal durch wirtschaftliche Turbulenzen, manchmal aber auch von Leuten, die in ein uraltes nationalistisches Vokabular verfallen und „Lügenpresse“ brüllen, ohne zu wissen, aus welcher Büchse der Pandora der Spruch kommt.

Wenn sie es wissen, ist es noch schlimmer.

Das Projekt wurde von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Berlin und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten Dresden unterstützt, teilt das ABL noch mit.

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