Verwandelt sich Leipzigs Stadtbibliothek in ein UFO? Wird es Lesefutter künftig nur noch digital geben? Wenn man so manche Meldung aus der Branche liest, könnte man das durchaus glauben. Und das Märchen vom totgesagten Papierbuch auch. Natürlich tut sich was im Digitalen. Nur ein bisschen anders, als gedacht, stellt Susanne Metz, Leiterin der Stadtbibliothek Leipzig, fest.

Seit Jahren wird auch der Online-Bereich der Bibliothek kräftig ausgebaut. Immer wieder kommen neue Bausteine dazu, die auf die neuen, digitalen Nutzungsgewohnheiten der Leipziger Rücksicht nehmen. Jüngstes Beispiel ist die Online-Lernplattform “Scoyo”, die über 4.000 Lernspiele und 10.000 Übungen für Schüler der 1. bis 7. Klasse zur Verfügung stellt, mit der der gesamte Lehrstoff auch auf teilweise spannende und abenteuerliche Art geübt werden kann. Wer einen Leserausweis der Stadtbibliothek hat, kann jetzt einfach loslegen.

Schon länger gibt es den Online-Zugriff auf Tages- und Wochenzeitungen, auf das Munzinger Online-Archiv oder über das Library Pressdisplay auf die internationale Presse.

Und natürlich gibt es auch schon länger die Möglichkeit, auf eBooks, Audios, Musik und Videos zuzugreifen. Auch wenn sich dieses Angebot logischerweise im Lauf der Zeit erst aufbauen muss. Was dauert, auch weil die Stadtbibliothek bis 2008 nur über einen arg zurechtgestutzten Ankaufetat verfügen durfte. Die Folgen sind auch heute noch im Bestand zu sehen. Die Gesamtzahl der Medien im Haus sinkt, obwohl der Ankaufetat von 696.000 Euro im Jahr 2012 auf 858.700 in den Jahren 2013 und 2014 gestiegen ist. 2015 sind es schon über 900.000 Euro, sagt Kulturbürgermeister Michael Faber (Die Linke), zu dessen Amtsbereich die Stadtbibliothek gehört, 2016 sollen es dann über 950.000 Euro werden.

Doch das sorgt nur dafür, dass die aktuellen Bestände ins Haus kommen (und von gefragten Titeln möglichst viele Exemplare, damit der Ansturm der Interessenten auch abgefangen werden kann). Aber dafür gehen jetzt die Titel aus dem Sortiment, die vor Jahren angeschafft wurden und kaum noch Interesse erwecken. Da machen sich die vielen Jahre dazwischen, als der Erwerbungsetat im Keller war, bemerkbar: Die Gesamtzahl der vorgehaltenen Medien sank von 786.863 (2012) auf 767.296 (2014).

Die Nachfrage – darüber berichteten wir schon – stieg dafür. Die Zahl der Leser und Mediennutzer wächst, auch weil die Stadt wächst und weil die Bibliotheken im Stadtgebiet besser erreichbar sind.

Die Nachfrage wächst auch im Online-Bereich. Aber was in den Marktmeldungen wie ein chinesisches Feuerwerk aussieht, ist auch im Jahr 2015 noch eine kleine, feine Nische mit rund 6.000 einzelnen Titeln im eBook-Bereich. Das ist schon eine Menge. Es entspricht aber auch den gängigen Zahlen auf dem Buchmarkt, wo das eBook nach bejubelten Verkaufszuwächsen von 200, 100, 80 und 60 Prozent jetzt einen Marktanteil von knapp 5 Prozent erreicht hat.

So stieg auch die Zahl der Entleihungen (heißt das da auch so?) bei eBooks im vergangenen Jahr um satte 32 Prozent.

Aber es bringt die Bibliothekarinnen schon ein bisschen ins Grübeln, denn gerade der Bereich, der so gern angepriesen wird – die Belletristik – ist nicht der Motor der Entwicklung. “Tatsächlich bevorzugen Belletristikleser immer noch das gute alte Buch in der Hand”, stellt Susanne Metz fest. “Und wenn ich ehrlich bin: Es geht mir genauso. Ich habe auch lieber ein Buch in der Hand und genieße es, die Seiten umzublättern.”

Und das scheint auch bei den jungen Lesern so zu sein. Die Kinderbibliothek wird ja nicht nur erweitert, weil die Knirpse ihre ganze Familie mitbringen. Sie sind ja selbst hin und weg, wenn sie nach Herzenslust in richtigen Büchern blättern und lesen können. Und auch die Jugendlichen, die sich von jeder Fantasy-Welle mittragen lassen, wollen das neueste Wizard-und-Prinzessin-Abenteuer am liebsten in gedruckter Form lesen. Warum das so ist, darüber können wahrscheinlich noch Generationen von Medienforschern ihre Doktorarbeiten schreiben.

Ein Teil des Rätsels ist natürlich die Frage nach der Aktualität. Und da haben eBooks einen echten Vorteil: Sie können permanent aktualisiert werden. Was in der Belletristik keinen Sinn macht. Wer Axel Hackes “Ein Bär namens Sonntag holt”, der will nicht jedes Mal einen neuen Text. Aber wer – vielleicht aus beruflichen Gründen – auf die neuesten Texte, Fakten und Zusammenhänge angewiesen ist, der ist schon daran interessiert, auch die letzte Aktualisierung zu bekommen.

Und so sind es vor allem Leser von Fachbüchern, von juristischen und wissenschaftlichen Titeln und Periodika, die im ebook-Bereich für steigende Nutzerzahlen sorgen.

Sie sind auch Teil der wachsenden Zahl virtueller Besucher, die die Leipziger Stadtbibliothek verzeichnet. Ihre Zahl stieg von 1,6 Millionen im Jahr 2012 auf knapp 3 Millionen. “Bibliothek wird anders wahrgenommen”, stellt Metz fest. Auch als eine große, online erreichbare Bildungseinrichtung, die Material bereit hält, das im Internet sonst nicht frei verfügbar ist. Man wird mit seinem Leserausweis also quasi Teil einer Bildungsgemeinschaft. Ein hybrider Zustand, wie Metz empfindet. Weshalb mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig auch schon die Zukunft angedacht ist und sogar begonnen hat: die Verschmelzung der Bildungsgänge von klassischen Bibliothekaren und Informatikern. Die Bibliothek wird – auch wenn die klassischen, im Regal stehenden Medien auch auf Jahre hinaus noch der Hauptinhalt sein werden, immer virtueller. Kein UFO, eher eine – hybrid – arbeitende Datenbank, in der die freundlichen Damen am Tresen wissen, wo sich das befindet, was man selbst gerade dringend sucht. Und sei’s in der Elternbibliothek – da findet man Axel Hackes Sonntagsbären, wenn man ihn suchen sollte.

Und da die Stadtbibliothek ja nun seit November ein Maskottchen hat, haben wir’s in der eBook-Abteilung gleich mal gesucht. Es ist da auch zu finden: “Das Nilpferd” von Stephen Fry, 2012 erschienen, seit November 2013 abrufbar. Und wer ein Sachbuch für den eBook-Reader sucht, bekommt schnell mal 1.516 Titel angezeigt. Aber das ist wie beim Stöbern im Regal: Die Titel, die einen gar nicht interessieren, stehen immer ganz vorne.

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