Es gibt Momente im Journalistenleben, da staunt man, weil am Horizont ein kleiner Lichtstreif der Vernunft auftaucht. Heftig wurde diskutiert über die Reform der Rundfunkgebühren in Deutschland, Politiker unterschiedlichster Parteien übten Schulterschluss, als aus dem Rundfunkbeitrag per Federstrich eine Haushaltsabgabe gemacht wurde und heftigst abgestritten wurde: Es ist keine Steuer! - Nun stellt ein ganz offizielles Dokument fest: Doch, es ist eine Steuer. Und sie hat das Grundproblem der Öffentlich-Rechtlichen Sender nicht gelöst.
Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hat das 44-seitige Gutachten erstellt. Am 18. Dezember hat es das Bundesfinanzministerium veröffentlicht. Mit einer knappen Feststellung aus seiner Sicht: “Aufgrund der technischen Entwicklung sieht der Beirat geänderte Bedingungen für das Informationsmedium Rundfunk. Für ein zukunftsfähiges System des öffentlichen Rundfunks empfiehlt er, dem Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht zu geben: Der öffentlich-rechtliche Anbieter sollte nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist.”
Denn natürlich geht es bei der Diskussion um die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur um die Frage, wie man sie finanziert, ob eine Geräteabgabe gerechter ist als eine Steuer für alle, das, was nicht nur die Demonstranten bei Pegida eine “Zwangsabgabe” nennen. Denn zahlen müssen auch die, die weder Fernseher noch Radio besitzen. Nicht einmal der Besitz eines internetfähigen Computers oder eines entsprechenden Mobilgeräts ist nötig: Zahlen müssen alle, die in den amtlichen Registern mit einer Adresse gespeichert sind.
Was schon das erste Problem aufwirft: An die Adressen kommen die Rundfunkanstalten nur, wenn sie sie bei den Meldeämtern einkaufen. Was ist aber mit den Haushalten, die ihre Adressen für Melderegisterabfragen gesperrt haben? Brauchen die nicht zu zahlen? Sind also die die Dummen, die ihre Adressen nicht haben sperren lassen?
Ist die Gebühr gerecht? – Ja, haben uns alle befragten Politiker aus den Fraktionen des Sächsischen Landtages geantwortet – und eine Steuer sei es trotzdem nicht.
Doch nun stellen die 32 Gutachter für das Bundesfinanzministerium eindeutig fest: Es ist eine.
“Bei der Finanzierung durch die Nutzer hat sich der Gesetzgeber auf eine unglückliche Mischform festgelegt. Denn aus ökonomischer Sicht sind die jetzigen Pflichtbeiträge eine Steuer, die einer Zweckbindung unterliegt. Anstelle dieser Mischform sollte sich der Gesetzgeber entweder für eine klare Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder für eine moderne Nutzungsgebühr entscheiden. Entweder man betrachtet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ein Gut, das allen Bürgern gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden soll. Dann ist eine Finanzierung über Steuern sachgerecht, da sich damit – im Gegensatz zu den jetzigen Pflichtbeiträgen – eine Belastung nach der Leistungsfähigkeit gewährleisten lässt. Oder man trägt den veränderten technologischen Rahmenbedingungen Rechnung, die die Bereitstellung einer breiten Palette von Programmen als Clubgüter ermöglichen, und finanziert diese Programme durch nutzungsabhängige Gebühren.”
Die “unglückliche Mischform” hat mit dem öffentlichen Bestreiten der Tatsache zu tun, dass es eigentlich eine Steuer ist. Was auch eines der größten Ärgernisse der Abgabe ausmacht: Sie ist sozial nicht gerecht, nimmt nur Bezieher staatlicher Transfers aus der Zahlungspflicht aus, ansonsten zahlen alle anderen denselben Betrag: Familien, Niedriglöhner, Rentner, Gutverdiener, Singles. Mit der Umlage auf den “Haushalt” wird der Rundfunkbeitrag zu einer Pauschalgebühr und niemand kann ihm mehr ausweichen, selbst wenn er kein einziges Angebot der Öffentlich-Rechtlichen wahrnimmt.
Und damit wird er für viele Betroffene, die hier einfach pauschal abkassiert werden, zu einer Zwangsabgabe. Wäre es eine Steuer, würden die Beitragszahler ja auch nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit belastet, was bei einem pauschalen Monatssatz, der für Reiche für Arme gleich hoch ist, ja nicht der Fall ist. Die Zwitterhaftigkeit der Abgabe macht sie gerade für einkommensschwache Haushalte zu einer finanziellen Belastung.
Die sichtlich im Programm auf allen öffentlichen Kanälen auch nicht durch eine Verbesserung des Angebots erklärlich wird. Denn da hat sich ja seit dem 1. Januar 2013 nichts Wesentliches geändert. Man macht einfach weiter im alten Trott. Was die Gutachter übrigens für ein Hauptproblem erachten: Dadurch, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen trotzdem noch die Finanzierung über Werbeeinnahmen gesichert haben, ist ihr Programm gerade in den Hauptsendezeiten vor allem durch die Einschaltquoten geprägt: Sie bringen Sendematerial, das dem der privaten Sender zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Zuschauer bekommt praktisch die selbe Suppe, muss aber dafür zahlen, ohne zu erkennen, wo denn nun eigentlich der Mehrwert ist.
Vom Kern des Rundfunkauftrags mal ganz zu schweigen.
“Für eine adäquate Ausgestaltung des Rundfunksystems eines Landes muss gelten, dass das angebotene Programm letztendlich nicht unabhängig von der Zahlungsbereitschaft seiner Bürger sein darf. Hier bieten Nutzungsgebühren große Steuerungsvorteile, da sie zumindest ansatzweise Informationen über die Wertschätzungen der Konsumenten liefern”, stellen die Gutachter fest. Und kommen damit auch auf den größten Strukturfehler der Beitragsreform zu sprechen: Die Befürworter der Reform redeten zwar die ganze Zeit von den neuen Medien, die auch neue Empfangskanäle sind, deshalb müsste auch für internetfähige Geräte die Pauschale gelten. Aber sie vermieden tunlichst darauf einzugehen, dass gerade die neuen Geräte auch neue Angebote und Nutzungsgewohnheiten geschaffen haben, die die Anbieter eigentlich zwingen, auch nutzergenau abzurechnen.
“Durch die Überlappung der Medien, z. B. bei den Internetauftritten, sind darüber hinaus Ansätze erkennbar, dass der Rundfunk in ineffizienter Weise in das bisherige Marktterritorium der Printmedien eingreift. Diese veränderten Rahmenbedingungen liefern gute Gründe für eine Reform des Rundfunksystems. Ein zukunftsfähiges System des öffentlichen Rundfunks sollte dem Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht geben: Der öffentlich-rechtliche Anbieter sollte nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist.”
Ineffizient heißt: Die durch die Haushaltsabgabe finanzierten Öffentlich-Rechtlichen schmeißen einen Großteil des Geldes dafür raus, die Formate der privaten Sender (und Zeitungen), mit denen sie um die Aufmerksamkeit der Nutzer konkurrieren, zu kopieren – seien es Spielshows, Talkshows, Sportevents, Castings, Soaps und was der Unterhaltungsformate mehr sind.
Damit werden die Programme nicht mehr wirtschaftlich, schon gar nicht sparsam. Und – auch das kritisieren die Gutachter: Die Eintreibung der Abgabe von allen Haushalten hebelt den Druck auf die Sendeanstalten, “der Kosteneffizienz besonderes Augenmerk schenken”, völlig aus. Sie sind nun gar nicht mehr gezwungen, das Programm zu qualifizieren und die Gelder effizient zur Erfüllung des Rundfunkauftrages einzusetzen.
Die Werbeeinnahmen machen zwar nur 5 Prozent am Gesamtbudget aus, bestimmen aber gerade in der Hauptsendezeit zu 100 Prozent das Programm. (Beim MDR machten die Werbeeinnahmen 2012 sogar 17 Prozent der Einnahmen aus.) Was die Gutachter auch vorschlagen lässt, auf Werbeeinnahmen bei den Öffentlich-Rechtlichen völlig zu verzichten, stattdessen da, wo Zukäufe (etwa bei Sportveranstaltungen) zu teuer werden, staatlich zu regulieren.
Sie halten auch nicht viel davon, Nachrichtensendungen (die ja noch einer der wenigen verbliebenen Bestandteile im Sinn der Grundversorgung sind) im Umfeld der abendlichen Unterhaltungsshows zu platzieren – da schalten zwar viele Leute an, aber ob sie die Nachrichten auch wirklich wahrnehmen und sich damit auseinandersetzen, ist wohl eher zweifelhaft. Welche Chancen die Öffentlich-Rechtlichen versieben, weil sie seit 20 Jahren nur noch den Formaten der Privatsender hinterherhecheln, deuten die Gutachter in ihrem Fazit an, wenn sie schreiben: “Innerhalb des öffentlichen Rundfunks können wettbewerbliche Elemente dazu beitragen, dass sich die Sender dynamisch besser an die sich wandelnden Zuschauerinteressen anpassen und der Kosteneffizienz besonderes Augenmerk schenken. Solche wettbewerblichen Elemente sind Subskriptionsmodelle für spezialisierte Spartenkanäle, die Ausschreibung von innovativen Programminhalten über ‘Arts Councils’ und die Publikationspflicht von standardisierten Kenngrößen.”
Mehr Mitsprache für die Zuschauer heißt das, weniger Gerammel um Zuschauerquoten, dafür wieder mehr Freiraum für neue Formate und (was bitter nötig wäre) journalistische Angebote, die eben nicht alle in der Hauptsendezeit laufen müssen, weil junge Menschen (auch dazu gibt es eine deutliche Grafik im Gutachten) heute Medien anders konsumieren. Man schaut nicht mehr, wenn alle Senioren “Wetten dass …” gucken, genauso gelangweilt in die Röhre, sondern ruft sich die Angebote, die einen interessieren, aus den Mediatheken ab. Dumm nur, wenn sie dort nicht zu finden sind.
Und so heißt es im Fazit auch
“Durch die Überlappung der Medien, z. B. bei den Internetauftritten, sind darüber hinaus Ansätze erkennbar, dass der Rundfunk in ineffizienter Weise in das bisherige Marktterritorium der Printmedien eingreift. Diese veränderten Rahmenbedingungen liefern gute Gründe für eine Reform des Rundfunksystems. Ein zukunftsfähiges System des öffentlichen Rundfunks sollte dem Subsidiaritätsprinzip mehr Gewicht geben: Der öffentlich-rechtliche Anbieter sollte nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist.”
Nur müssten dann die Programmleitungen auch in der Lage sein, diese Defizite zu erkennen. Dazu aber werden sie mit der heutigen allgemeinen Rundfunksteuer, die alle zahlen müssen, egal, wie frustriert oder begeistert sie vom öffentlichen Seifenschaum sind, nicht gezwungen. Die Einführung der Haushaltsabgabe war ein Versuch, eine 20 Jahre währende Wirklichkeitsverweigerung für weitere Jahre und Jahrzehnte festzuschreiben und vor allem auch der Frage auszuweichen: Warum ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland eigentlich so schweineteuer?
Die Grundkosten können es nicht sein, die die Budgets nach oben treiben, die müssten eigentlich viel geringer sei, wenn man die deutschen Abgaben mit denen kleinerer Nachbarstaaten vergleicht. Die Gelder werden augenscheinlich an anderer Stelle verfeuert – intransparent nicht nur für die Nutzer der Medien, sondern auch für die Politiker, die auch ihre Sitze in den Aufsichtsräten sichtlich nicht dazu nutzen, um den Gründen für die permanenten Kostensteigerungen auf die Spur zu kommen.
Das Gutachten findet man auf der Seite des Bundesfinanzministerium:
Oder hier als PDF zum download.
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