Das Thema lag in der Luft. Den Zeitungen brechen die Leser weg, Redaktionen werden ausgedünnt, einzelne Titel verschwinden vom Markt. Sind die Medien in der Krise? Ist das Internet dran schuld? Ist es bald vorbei mit der Freiheit der Medien? Oder geht einfach ihre Glaubwürdigkeit den Bach runter? - Das Zeitgeschichtliche Forum zieht jetzt so eine Art Bilanz zu 65 Jahren Mediengeschichte in drei Ländern.

Denn auch wenn die großen Medien der (alten) Bundesrepublik in weiten Teilen die Ausstellung dominieren (auch weil sie die stärkeren Geschichten erlebt haben), gibt es ein kleines Extra-Kabinett für die DDR, erreichbar gleich hinterm Springer-Hochhaus und der Berliner Mauer. Denn sein durften Medien ja im Arbeiter- und Bauernstaat nie, was sie hätten sein können. Nicht auszudenken: eine DDR mit einer freien und unzensierten Presselandschaft. Die gab es ja bekanntlich. Ganz am Ende. Aber vorher war der komplette Pressemarkt durchherrscht. Und Montag für Montag betrieb Karl-Eduard von Schnitzler seinen “Schwarzen Kanal”, das eklatanteste Beispiel dessen, was die SED für eine “scharfe Speerspitze” hielt.

Der einzige Versuch, auch nur so etwas ähnliches wie ein eigenes Nachrichtenmagazin zu machen, endete 1964 als Nullnummer mit dem Namen “Profil”.

“Auf keinen Fall wollte Walter Ulbricht in seinem Land ein kritisches Nachrichtenmagazin”, sagt Prof. Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums, der sich noch an Giftkammern und eingeschränkte Leserechte für westliche Publikationen erinnert. Aber das 1964 schon im Entwurf gestrandete “Profil” erzählt natürlich auch von den Versuchen, im Osten auch auf diesem Gebiet mitzuhalten mit dem Westen. Wo man das Experiment zuließ, wurde das Ergebnis in der Regel ein Erfolg – vom “Mosaik”, das den Comic in die DDR holte, bis zur “Sybille”, dem “Magazin” und der “Wochenpost”. Tatsächlich würde allein die etwas andere DDR-Presselandschaft eine eigene Ausstellung wert sein.

Tatsächlich geht es in “Unter Druck” weniger um den Druck einer allgewaltigen Staatspartei, auch wenn es um das nicht immer einfache Verhältnis von Medien und Politik geht. Ohne eine freie Medienlandschaft kann Politik ihre Inhalte nicht vermitteln, ohne Politik haben Medien kaum Inhalte, betonte Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte am Donnerstag, 4. November, zur Eröffnung der Ausstellung im Leipziger Zeitgeschichtlichen Forum. Medien sind die sogenannte Vierte Macht, kontrollieren, indem sie berichten, die Politik und ihre Akteure. Aber wenn sie nicht berichten, so Hütter, finden Themen einfach statt. Und sie sind selbst eine Macht, können Karrieren befördern und vernichten. Dafür stehen in der Ausstellung Beispiele wie Wulff und Guttenberg.

900 Objekte haben die Ausstellungsgestalter um Anne Martin zusammengetragen, 106 Leihgeber angefragt, von denen die meisten selbst einen bekannten Namen haben – Günter Wallraff zum Beispiel, der in so einer Ausstellung nicht fehlen darf. Seine Undercover-Arbeit als Bild-Reporter ist Legende geworden. Sein Buch “Der Aufmacher” sorgte 1977 genauso für Furore wie 1962 die “Spiegel”-Affäre, in der die konservative deutsche Politik zum zweiten Mal nach 1952 die Kraftprobe versuchte, die Pressefreiheit einzuschränken. 1952 – das war der Versuch, mit einem Bundespressegesetz die Medien schon sieben Jahre nach Ende des Nazi-Reiches wieder an die Leine zu legen. Welcher Politiker lässt sich schon gern auf die Finger schauen?

Deswegen beginnt die Ausstellung tatsächlich mit einer schwarz-weißen Rückblende in die NS-Zeit und die propagandistische Gleichschaltung sämtlicher Medien. Nicht nur die Alliierten wussten, als sie nach der Befreiung die ersten Lizenzen verteilten, wie wichtig eine unabhängige Medienlandschaft für die Demokratie ist. Auch viele Journalisten und Leser wussten es. Und sorgten auch und gerade bei den kritischen Nachrichtenmagazinen jahrelang für riesige Auflagen, von denen heute selbst die besten nur noch träumen können.
Dass Medienmacht auch missbraucht werden konnte, auch das erlebte die westdeutsche Gesellschaft leidvoll – die Berichterstattung des Springer-Konzerns ist ebenfalls ein zentrales Ausstellungsthema, genauso wie der Kampf gegen die politische Einvernahme des Fernsehens, das insbesondere Politikern von CSU und CDU immer zu “links” war. Da steckt die alte Gleichsetzung mit drin: kritisch gleich links. Und deshalb träumte auch Konrad Adenauer von einem eigenen Staatsfernsehen. Das er so nicht bekam. Dafür gab’s später das ZDF. Und noch später das Privatfernsehen. Über zu viel kritisches Fernsehen kann sich heute tatsächlich niemand beschweren. Dafür wird wieder gern mal durchregiert – wie 2010 beim politisch organisierten Abgang von ZDF-Intendant Nikolaus Brender.

Der erste Teil der Ausstellung ist – mit starken Motiven und Ausstellungsstücken – in historischer Abfolge gestaltet, führt den Besucher durch 60 Jahre an starken Geschichten, Kampagnen und Affären, beleuchtet das oft sehr kritische Verhältnis zwischen einzelnen Politikern und der auf weitere Schlagzeilen hungernden Presse. Immerhin: Die stand und steht bis heute unter dem Druck des Tages. Schlagzeilen funktionieren nur, wenn sie rechtzeitig draußen sind. Das Tempo hat sich – das zeigen auch die einzelnen Videobeiträge in der Ausstellung – verschärft. Nicht erst mit dem Aufkommen des Internets. Auch vorher verkauften sich Auflagen nur, wenn die Story brannte.

Am Ende betritt der Ausstellungsbesucher einen Raum, der nur scheinbar nicht so aufgeregt ist wie die Räume vorher – er soll wie ein moderner Newsroom aussehen, sagt Anne Martin. Auf diversen Tableaus im Rund werden heutige Geschichten aktuell, das solle die neue Verzahnung der Nachrichtenwelten deutlich machen. “Heute sind es nicht mehr nur die Nachrichtenagenturen, die die Themen setzen”, sagt Hütter. “Heute setzen auch Internet und Social Media Themen.”

Damit machen sie den klassischen journalistischen Newsmakern Konkurrenz – und liefern selbst wieder Stoff. Erzeugen also weiteren Druck durch Themen, die vorher kein Medium bearbeitet hat. Wird heute also jeder zu seinem eigenen Medienmacher?

Eine Frage, die ungelöst im Raum bleibt. Bleiben muss, weil sie wahrscheinlich wieder journalistische Arbeit braucht. Denn Öffentlichkeit wandelt sich zwar. Immer mehr Menschen versorgen sich im Internet kostenlos mit Nachrichten, verbreiten selber welche in den Social Medias und hinterfragen damit zumindest die Meinungsmacht der etablierten Medien. Die gleichzeitig wirtschaftlich unter Druck sind, weil Abonnenten und Anzeigenkunden für Printprodukte wegbrechen. Was dann die Ausdünnung in den Redaktionen zur Folge hat. Ein doppelter Druck, der natürlich am Ende die Frage lässt: Wie kann sich unabhängiger Journalismus künftig finanzieren? Geht das überhaupt?

Die Ausstellung “Unter Druck!” zeigt in einer zuweilen eindrucksvollen Inszenierung, wie eine relativ unabhängige Medienlandschaft in der Bundesrepublik 65 Jahre lang recht gut funktioniert hat. Sie hat nicht alle Schweinereien verhindert, aber doch eine erstaunliche Zahl. Weil Journalisten eben nicht nur eine Meinung haben, sondern Fakten und Belege suchen für ihre Geschichte. Wirksam sind ihre Geschichten, wenn sie die Beweise vorlegen können für das, was sie erzählen. Manchmal ist es die Aufzeichnung eines Telefongesprächs von “Bild”-Chef Kai Diekmann mit einem zu recht besorgten Bundespräsidenten, mal sind es die so notwendigen Schmuggelgüter von Leuten, die man heute Whistleblower nennt. Denn über die größten Schweinereien berichten Politiker ja nicht öffentlich, da braucht es Leute wie Edward Snowden, die das Material aus dem Innenleben der NSA oder anderer Geheimbürokratien weitergeben.

Auch weil sie wissen, dass am Ende nur die Öffentlichkeit bleibt, wenn das ungesetzliche Tun einiger Leute überhaupt bekannt werden soll. Pech nur für die Öffentlichkeit, wenn solche Vorgänge die gerade mit der Regierung Betrauten nicht stören. Das von der NSA abgehörte Handy der Kanzlerin ist also auch in der Ausstellung zu finden.

Das Problem von Anne Martin und ihren Mitstreitern war eindeutig, diese ganze 65-jährige Mediengeschichte mit eigentlich wenigen, aussagekräftigen Einzelbeispielen recht stringent zu erzählen. Denn tatsächlich fällt einem schon beim Durchspazieren noch mancher Fall aus der jüngeren Vergangenheit ein, in dem einzelne Medien wichtige und gute Arbeit geleistet haben, wo Journalistinnen und Journalisten ihren Job richtig gut gemacht haben. Es ist auch eine gelungene Ausstellung gegen das heute so übliche Lamento gegen “die Medien”.

Schwierigkeiten und Fehlstellen gibt es. Sogar zwingendermaßen: Wenn Zeitschriften und Zeitungen keine Korrespondenten mehr bezahlen, die auch aus den Krisenherden der Welt berichten, kann die Berichterstattung darüber nicht mehr fundiert sein. Wenn die Fachkompetenz in den Lokalredaktionen ausgedünnt wird, fehlen auch da bald die wichtigen Analysen. Wenn man Reporter nicht mehr bezahlen kann, fehlen bald die gut recherchierten Storys.

Es sind also eine ganze Menge offener Fragen, mit denen sich Medien und Medienmacher heute herumschlagen müssen. Manche tun es eher lustlos, anderen ist es auch scheißegal, weil sie sich ganz und gar auf Boulevard und Unterhaltung eingeschossen haben, andere versuchen den Spagat zwischen Sparen und Feuermachen.

Da das alles aber noch völlig offen ist, auch weil die großen Medienhäuser die letzten Jahre eher vertrödelt haben mit ihrem Kampf gegen Google, wird eine Ausstellung, die die hier gestellten Fragen auch nur in Teilen beantwortet, noch eine Weile auf sich warten lassen.

Zur Ausstellung ist auch ein opulentes Begleitbuch erschienen. Das besprechen wir an dieser Stelle noch.

Zu sehen ist die Ausstellung “Unter Druck! Medien und Politik” vom 5. Dezember 2014 bis zum 9. August 2015 im Zeitgeschichtlichen Forum (Grimmaische Straße 6). Im neuen Jahr soll es auch ein ausgebautes Begleitprogramm zur Ausstellung geben – mit Filmen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen.

www.hdg.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar