Es wird ja heftigst nachgedacht in deutschen Landen. Zumindest tun ein paar Leute so, die gern die Politik vor sich her treiben, um ihre Position im Medienmarkt zu behaupten - gegen das seltsame Internet zum Beispiel. Sie malen gern den Untergang des Abendlandes an die Wand, beschäftigen sich aber ungern mit dem eigentlichen Akteur, um den es geht: den Mediennutzer. Außer die alljährliche ARD-ZDF-Online-Studie. Aber die ist ja bekanntlich einäugig. Zumindest, was ihre Auftraggeber angeht.
Das sind nun einmal die öffentlich-rechtlichen Sender, denen es nie um Mediennutzung im Internet ging oder gar die Sorge, es könnten zu viele Leute offline sein. Diesen durch die Rundfunksteuer gefütterten Anstalten ging es immer nur um ihr eigenes Geschäft. Deswegen haben sie vor ein paar Jährchen das Wort “trimedial” erfunden, damit überforderte Politiker gar nicht erst anfangen zu fragen, was die Pantoffelsender eigentlich im Internet zu suchen haben. Man gibt sich innovativ und spricht lieber von Verbreitungswegen der eigentlich identischen Inhalte. Zeitungsähnliche Angebote im Netz? – Gott bewahre.
Im September haben die beiden großen Anstalten die jüngste Online-Studie veröffentlicht. Und das Resümee, das die beiden Anstalten ziehen, sieht natürlich nur die eigenen Aktivitäten: “Video- und hier vor allem Fernsehinhalte im Netz werden immer beliebter. Die Nutzung der Mediatheken der Fernsehsender stieg von 28 Prozent (2013) auf 32 Prozent (2014). 35 Prozent der Onliner schauen sich Fernsehsendungen im Netz zeitversetzt, 25 Prozent live an. Besonders attraktiv sind das zeitversetzte Fernsehen (53 Prozent) und die Mediatheken der Sender (42 Prozent) bei den 14- bis 29-Jährigen.”
Natürlich wird hier eine reale Entwicklung sichtbar, die die Chancen der digitalen Verbreitung von Medien zeigt: Gerade junge Mediennutzer empfinden sich nicht mehr als passive Nutzer eines vorgegebenen Programms, bei dem man sich eben ansieht, was gerade auf einem der vielen Kanäle in die Wohnzimmer schwappt. Man wählt sich die Angebote selbst und guckt die Filme, Dokumentationen und andere Sendungen dann, wenn man die Zeit dafür hat. Und man wählt selber aus, stellt sich sein eigenes Programm zusammen.
Dass das Internet dabei die diversen Mediennutzungen verknüpft, ist eigentlich nur der Trend der Zeit. Die Angebote der Fernsehsender (auch der privaten) ordnen sich da einfach ein und sind zu einem Teil der vielfältigen Nutzungen geworden. Die Liste der Online-Anwendungen in der Studie von ARD und ZDF ist mittlerweile auf 35 angewachsen – von “Informationen suchen” (82 Prozent) bis zu “Radiosendungen zeitversetzt hören” (3 Prozent).
Die Angebote der Fernseh-Online-Archive stecken mitten drin. “Onlinemediatheken nutzen” zum Beispiel, was schon 18 Prozent der Internetnutzer tun, “Fernsehsendungen/Videos zeitversetzt”, was 14 Prozent schon regelmäßig tun oder “Mediatheken der Fernsehsender nutzen” (9 Prozent). Dahinter steckt auch ein gewisser Anpassungsdruck für die Fernsehsender. Denn ohne solche Angebote erreichen sie die junge Generation kaum noch. Was zumindest aufmerken lässt. Denn damit haben die Fernsehsender eigentlich längst dasselbe Problem wie die Printmedien. Nur hat es die Senderchefs in der Vergangenheit nicht die Bohne interessiert, weil man ja das Geld sowieso als Steuer bei allen abkassiert. Da musste man inhaltlich nicht umdenken. Hat man auch 2014 noch nicht getan.
Der Intendant des Hessischen Rundfunks und stellvertretende Vorsitzende der ARD/ZDF-Medienkommission, Helmut Reitze, verweist auf die hohe Attraktivität der ARD-Marken im Internet: “Ob ?Tatort? oder ?Tagesschau?, ob ARD-Regionalinformation oder ARD-Ratgeber – unsere starken TV- und Radiomarken sind auf allen Ausspielwegen besonders gefragt. Und wir bieten, was unser Publikum von uns erwartet: Unsere hochwertigen Inhalte, die auch im Netz zentrale Orientierungspfeiler sind, crossmedial, unentgeltlich, zeit- und ortsunabhängig bereitzustellen.”
Ob das die Studie wirklich belegt? – Die Kategorien, in denen das abgefragt wurde, lauten “Sendungen in Mediatheken der Fernsehsender im Internet” (was immerhin 9 Prozent der Internetnutzer mindestens einmal wöchentlich tun, täglich tun es nur 1 Prozent) und “Fernsehsendungen oder Ausschnitte von Fernsehsendungen zeitversetzt im Internet ansehen” (täglich tun das ebenfalls 1 Prozent, mindestens einmal die Woche 8 Prozent). Was zumindest nicht verrät, ob es nun gerade die “starken TV- und Radiomarken” von ARD und ZDF sind, die man sich da ansieht. Das können auch die Angebote der privaten Sender sein.
Und vor allen Dingen müssen die Fernsehmacher sich diesen Markt teilen: mit den Online-Angeboten von Tageszeitungen, Zeitschriften, Communities usw.
Man trifft sich also irgendwie. Und die jungen Generationen (14- bis 29-Jährige) trifft man vor allem dort. Sie sind damit aufgewachsen, dass es mediale Inhalte in Hülle und Fülle online gibt. Da denkt man kurz an die andere Gruppe älterer Herrschaften, die in Deutschland das große Medien-Wort führen, die Manager der gedruckten Leitmedien. Laufen ihnen die Nutzer davon? Liest jetzt keiner mehr, wo doch alles schön “Bewegtbild” ist?
Zumindest eine Zahl steht wie festgemauert da: Durchschnittlich sitzen die Deutschen an jedem Wochentag 240 Minuten vor dem Fernseher. Die Zahl ist nicht gesunken in den letzten Jahren. 191 Minuten lang haben sie das Radio laufen. Die Internetnutzung kam irgendwie obendrauf in dieser Zeit, wuchs von 17 Minuten im Jahr 2000 auf 111 Minuten im Jahr 2014.Aber für die Studie wurde auch abgefragt, wann die Leute die diversen Medien so nutzen. Und – mal abgesehen von den Alten und Daheimgebliebenen – schalten die meisten ihren Fernseher erst nach Schule und Arbeit an. Die meisten Leute (bis zu 60 Prozent) sind natürlich zur Top-Sendezeit ab 20 Uhr vorm Gerät.
Das Radio erweist sich ziemlich deutlich als Wegbegleiter auf dem Weg zur Arbeit und in vielen Berufen als Nebenbei-Gedudel. Haupt-Hörzeit ist 7 bis 18 Uhr.
Das Internet hingegen spielt für die Hauptnutzergruppe sowohl während der Arbeitszeit (ab 9 Uhr) eine wichtige Rolle, als auch in der abendlichen Freizeit (bis 22 Uhr). Man könnte das vielleicht so interpretieren: Es läuft immer mit. Oder – da immer mehr Nutzer mittlerweile Smartphones und Ähnliches benutzen, um online zu gehen – man hat es tagsüber ständig in der Tasche.
Kulanterweise fragen die großen Sender auch noch nach Dingen wie Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Aber wenn man von einer kleinen Spitze in den Morgenstunden (zwischen 7 und 10 Uhr) absieht, spielt das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften in der täglichen Mediennutzung nur eine marginale Rolle.
Wobei man auch die Intensität der Nutzung nicht unterschätzen darf. Fernsehen und Hörfunk sind in der Regel konsumtive zu nutzende Medien – erfordern meist keine große Mühe und Aufmerksamkeit. Man lässt sich berieseln, muss nicht aktiv werden. Andererseits bietet eine Spielfläche wie das Internet natürlich ganz andere Möglichkeiten zum Surfen, Bloggen, Chatten, Online-Spielen, Shoppen usw.
Der Blick ins Detail zeigt: Die beharrlichsten Fernsehzuschauer sind über 50 – da kommt ein Schnitt von 297 Sehminuten am Tag zusammen. Die jungen Leute (14 bis 29 Jahre) sitzen nicht mal halb so lange vor der Glotze: 128 Minuten. Das Verhältnis beim Radio ist übrigens genauso. Wer gelernt hat, sich seine Lieblingsmusik aus dem Netz zusammen zu suchen, der braucht die Super-Oldies aus dem Radio wirklich nicht mehr.
Und beim Internet ist es dann genau andersherum: Während die über 50-Jährigen nur 43 Minuten am Tag im Internet zugange sind, sind es die jungen Leute 233 Minuten. Wer diesen Wert mit den direkten Nutzungen von Online-Angeboten der Fernsehsender vergleicht, sieht, dass die Öffentlich-Rechtlichen für die Jugend im Land so gut wie keine Rolle spielen. “Starke Marken”?
Da veräppeln sich ein paar Leute in den Führungsetagen selbst.
Da die Umfrage nun so stark auf die technischen Medien fokussiert ist, bleibt die Frage: Was wird aus den Klassikern? Sind Print-Produkte nun zum Aussterben verurteilt?
Nicht wirklich. Denn zum Beispiel die Zeit, die die über 50-Jährigen für Zeitschriften aufwenden (täglich 9 Minuten), ist nur doppelt so hoch wie die der jungen Leute (4 Minuten). Bei Zeitungen freilich ist die Differenz schon gravierend: Die Älteren lesen noch 34 Minuten jeden Tag in ihrer Zeitung, die Jüngeren wenden dafür nur noch 10 Minuten auf. Was eigentlich logisch ist: Das Meiste wissen sie ja schon aus den Informationsangeboten im Internet. Und die meisten gedruckten Zeitungen haben noch lange kein Rezept gefunden, wie sie am nächsten Morgen den Informationsvorsprung von Internet, Fernsehen und Hörfunk ausgleichen können.
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Bleibt der Klassiker aller Klassiker: das Buch. Und siehe da: Es lebt. Selbst die über 50-Jährigen lesen jeden Tag noch im Schnitt 23 Minuten in einem Buch, die 14- bis 29-Jährigen sogar 30 Minuten.
Die Online-Studie von ARD und ZDF zeigt also zwar ein sich veränderndes Nutzungsverhalten, was die Medienträger betrifft. Aber sie sagt natürlich nichts aus über die Krise der alten Medien. Denn wenn die jungen Leute weniger gedruckte Zeitungsseiten lesen, heißt das ja nicht, dass sie dafür nicht genauso viele digitale Zeitungsseiten lesen.
Dass es die alten Zeitungsverlage nicht in funktionierende Geschäftsmodelle umsetzen können, ist eine andere Frage.
Eher haben die deutschen Fernsehsender ein wachsendes Akzeptanzproblem, weil sich die jüngere Generation nicht mehr nach Programm berieseln lässt, sondern tatsächlich selbstständig auswählt, was gefällt. Das Internet ermöglicht also einen souveräneren Zugriff auf Inhalte. Und an dieser Stelle wird es spannend: Hat ein Medienhaus auch die Inhalte, die nachgefragt werden?
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