Es ist ein leises Beben, was da das österreichische Magazin "Datum" ausgelöst hat und dessen Wellen sich durch das deutsche Netz bewegen. Seit ähnlichen Vorgängen rings um die Auseinandersetzungen zu Stuttgart 21 hielt und hält sich der Verdacht hartnäckig. Media-Agenturen seien längst dazu übergegangen sind, für ihre Kunden eine ganz spezielle Art der Onlinekommunikation anzubieten. Nun ist eine von ihnen aufgeflogen. Seit 10 Jahren bietet die Wiener PR-Agentur "Mhoch3" sogenanntes "Online-Reputationsmanagement" an.

Ein schöner Begriff für positive Netzkommentare und Kampagnen unter falschen Identitäten für Kunden wie Opel, TUI, BAYER und Red Bull. Auch in deutschen Foren und in den Kommentarbereichen der Nachrichtenangebote wie Spiegel und Focus habe die subtile Beeinflussungs-PR stattgefunden.

Auch schon mal gewundert, wie verbissen manche Netzuser noch den letzten Blödsinn bis aufs Messer verteidigen, gezielt Links posten oder anonym aber präzise auf Kritik an bestimmten Firmen und Produkten reagieren? Oder gefragt, warum ein anonymer Kommentator mit dem Namen “Hans Peter” freundlich aber bestimmt in einem Forum oder einem Leserbereich einer Netzzeitung bei ganz bestimmten Themen nachhakt? Ist er einfach nur eine thematisch hoch interessierte Frau oder ein Mann? Oder geht da jemand nur gerade seinem Tagewerk gegen Bezahlung nach? Ganz sicher sollte man sich wohl in diesen Fragen eh nie sein, doch wie flächendeckend auch solche Dinge geschehen, beschreibt nun ausführlich ein österreichisches Netzmagazin.

Unter dem Titel “Die Netzflüsterer” haben die Journalisten des Magazins “Datum” die Ergebnisse ihrer Recherchen und Berichte von drei ehemaligen Mitarbeitern der PR-Firma “Mhoch3” vorgelegt. Und die haben es in sich. “Eine Liste mit Fake-Identitäten aus dem Jahr 2012 umfasst knapp zehntausend Namen, jene mit (internationalen) Foren, die die Agentur in mindestens sechs Sprachen `bearbeiten` ließ, zählt mehr als zweitausend Einträge”, beschreiben die Autoren den Umfang der Netzflüstereien. Um glaubwürdiger zu erscheinen, wurden für Mitarbeiter der PR-Agentur also virtuelle Identitäten bei sozialen Netzwerken wie Facebook angelegt, Nicknames erdacht und anschließend kommunizierten so eine junge Frau als ein vertrauenerweckender 50-Jähriger im Netz mit Usern, die sich kritisch über Produkte oder Dienstleistungen der Kunden der Agentur erregten.

Was auf den ersten Blick wie ein lustiges Spiel mit den verschiedenen Gesichtspunkten von Problemen erscheinen mag, wird neben einer beschrieben Beeinflussung von Spielsüchtigen vor allem im Falle eines Produktes von BAYER mehr als heikel. “Datum” dazu: “In mindestens einem hochbrisanten Fall propagierten die PR-Texter auch ein Arzneimittel für Menschen: die umstrittene Hormonspirale Mirena. Umstritten ist Mirena wegen ihrer Nebenwirkungen. Zwischen 2006 und 2007 wurden in mehreren Ländern wesentliche Verschärfungen der Risiken in die Pro­duktinformation von Mirena aufgenommen – unter anderem zu Brustkrebsrisiko, der Gefahr von Uterusperforation und ektopischen Schwangerschaften (außerhalb der Gebärmutter).”
Wenig verwunderlich, dass sich Frauen von dem Produkt abwandten und die Risiken, wie erhöhte Depressionsgefahr, “Gewichtszunahme, Akne, Kopfschmerzen, Migräneanfälle, Entzündungen, Pilzinfektionen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr” lieber nicht eingehen wollten. Alles nicht wahr, so die Netzflüsterer – Auszüge zeigen auf der Seite datum.at, wie die bezahlten Kommentatoren versuchten die öffentliche Meinung im Namen des Pharmariesen zu drehen. Zwar scheiterte der Versuch weitgehend, doch diese und andere Aktionen haben dann doch auch bei den drei als Zeugen angeführten Ex-Mitarbeitern zu schlaflosen Nächten geführt.

Ganz nebenbei erfährt man dabei auch, wie der Chef der PR-Agentur “Mhoch3” im Netzzeitalter fälschlicherweise seine bezahlten Propagandisten als “Journalisten” darstellt – mit einem Recht auf eine eigene Meinung natürlich. Dabei schreckten und schrecken die bezahlten Kommentatoren auch vor gezielten Desinformationen nicht zurück, welche dann von einem anderen Kollegen “richtiggestellt” werden können. Sozusagen im Binnendialog zwischen zwei Mitarbeitern der Agentur ist es so möglich, sich bei anderen Usern Vertrauen zu erarbeiten – gezielt eingestreute Rechtschreibfehler dienten der Tarnung.
Zur Fleißarbeit dieser Agentur unter weiteren stellt “Datum” abschließend fest: Eine konservative Schätzung auf Grundlage der ­”Datum” vor­liegenden Unterlagen, also Konzepte und Verträge, Kampagnenberichte und Honorarlisten sowie die Aussagen von drei ehemaligen “Mhoch3”-Mitarbeitern ergab 80.000 bis 100.000 PR-Postings pro Jahr im deutschsprachigen Netz. Seit 10 Jahren.

Und sicher nicht nur bei “Mhoch3”, denn der Markt aus gekauften Artikeln, gefakten Leserkommentaren und ganzen Kampagnen unter falscher Flagge ist schwer zu durchschauen und überaus lukrativ. Auch für die L-IZ seit Jahren der Grund, den eigenen Kommentarbereich im Auge und zu Agenturen mit “interessanten Themenangeboten gegen Geld für die Publikation in Ihrem redaktionellen Bereich” großen Abstand zu halten. Denn was für den privaten User seine berechtigte Anonymität ist, versuchen professionelle Werber nicht erst seit gestern und nicht nur für Unternehmen in vielen Spielfeldern auszunutzen.

Die ganze Geschichte und Nachweise auf Datum.at
http://www.datum.at/artikel/die-netzfluesterer/seite/alle/

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