Am Mittwoch, 20. August, stellte die Bundesregierung ihre "Digitale Agenda" vor und bekam, was so Manchen verblüffte, postwendend heftige Schelte vom sächsischen Wirtschaftsminister Sven Morlok, der das Papier nicht nur für ungeeignet zur Erreichung der Breitband-Ziele bis 2018 hält, sondern Sachsen auch wieder als Vorreiter anpreist. Ist es das wirklich? Die Zahlen sprechen dagegen.

“Herausgekommen ist ein Papiertiger mit unverbindlichen Programmpunkten, Steuerungskreisen, nationalen Gipfeln und Dialogforen. So erobert man ‘Neuland’ nicht. Ich erwarte vom Bund konkrete finanzielle Zusagen für Unternehmen und Kommunen. Der Bund kann sich ein Beispiel am Freistaat nehmen: hier werden bereits Förderbescheide ausgereicht”, verkündete Sven Morlok am Mittwoch mit breiter Brust. “Im Rahmen der 2013 beschlossenen Digitalen Offensive Sachsen (DiOS) stehen bis zu 200 Millionen Euro für den Ausbau von hochleistungsfähigen Breitband-Internetverbindungen in Stadt und Land zur Verfügung. Dieses Jahr hat der Freistaat eine Beratungsstelle für die DiOS eingerichtet. Das SMWA hat im Rahmen des Förderprogramms ‘Digitale Offensive Sachsen’ (DiOS) allen sächsischen Kommunen ein umfangreiches Beratungsangebot unterbreitet. Die Beratungsstelle DiOS berät schon derzeit 115 kommunale Behörden. In allen Regionen Sachsens hat die Verwaltung bereits erste Zuwendungen ausgereicht.”

Doch was Sachsens Minister verkünden und was tatsächlich schon umgesetzt ist, dazwischen klaffen oft Welten. Das ergibt nun auch die Auswertung einer Bundestagsanfrage des sächsischen Grünen-Abgeordneten Stephan Kühn.

Das Fazit ist ernüchternd und sollte auch die sächsische Wirtschaft interessieren. Kühn: “Sachsen ist dabei, den Anschluss an eine zukunftsfähige Internet-Infrastruktur zu verpassen. Während bundesweit fast zwei Drittel aller Haushalte mit schnellem Internet von wenigstens 30 Mbit/s versorgt werden können, ist mehr als die Hälfte aller Menschen in Sachsen auf deutlich langsamere Netzzugänge angewiesen.”

Und dabei klafft die Lücke zwischen Großstädten und ländlichen Räumen immer stärker auseinander.

“Noch schlimmer sieht es in den ländlichen Regionen Sachsens aus”, kommentiert es der Landtagsabgeordnete der Grünen Miro Jennerjahn. “Ein Fünftel der sächsischen Kommunen ist beim Ausbau von Festnetz-Breitband noch auf dem Stand von 2006. Diese Defizite werfen Sachsen zurück und hemmen die Entwicklung des Freistaats. Statt endlich eine umfassende Initiative für schnelle Netze in Angriff zu nehmen, zukunftstaugliche Glasfaser-Technologien gezielt zu fördern und Synergien zu nutzen, setzt die Staatsregierung immer noch auf eine Selbstregulierung des Marktes, auf halbherzige punktuelle Förderung und auf Technologieneutralität.”Wenn aber selbst die kleineren und größeren Städte außerhalb der Metropolen kein praxistaugliches Breitbandangebot haben, bedeutet das auch für zahlreiche moderne Unternehmen, dass sie dort keine Chance haben, ihr Geschäftsmodell umzusetzen. Es verwundert nicht, dass die Mitglieder der sächsischen Industrie- und Handelskammern das Thema Breitbandversorgung ganz oben auf ihre Forderungsliste an die Politik gesetzt haben. Sie spüren in ihrer täglichen Arbeit, wie sie im Internet ausgebremst werden.

“Das auf Bundesebene im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ausbauziel von flächendeckend 50 Mbit/s bis 2018 ist in Sachsen völlig aus dem Blick geraten: Sachsenweit können nur 40 Prozent der Haushalte Hochgeschwindigkeits-Internet nutzen”, stellt Kühn fest. “Im Erzgebirgskreis sind es sogar nur 12, in Mittelsachsen nur 6 Prozent der Haushalte. Wenn Sachsen sein Potenzial in Zukunft nutzen soll, darf die Staatsregierung ihre Ausbauziele aber nicht am Mittelmaß vergangener Jahre orientieren, und sie darf nicht zulassen, dass die ländlichen Regionen abgehängt werden. Sachsen braucht eine Digitale Offensive, die diesen Namen auch verdient.”

Die Zahlen der Bundesregierung zeigen auch, wie sehr sich die drei Großstädte von den ländlichen Räumen in der Breitbandversorgung abheben. Auch wenn 82 Prozent in Leipzig noch lange nicht Vollversorgung mit mindestens 50 Mbit/s bedeuten, rangiert die Messestadt damit vor Dresden (72 Prozent) und Chemnitz (59 Prozent). Das Gefälle zu den Landkreisen ist dann noch heftiger. Der Landkreis Leipzig hat nur noch 19 Prozent und der Landkreis Nordsachsen nur 17 Prozent Breitbandversorgung ab 50 Mbit/s.

“Die Strategie der Staatsregierung, bestehende Lücken langfristig durch funkbasiertes Internet wie LTE zu schließen, ist der grundfalsche Weg”, kritisiert Jennerjahn. “Mobiles Internet ist eine sinnvolle Ergänzung zu echten, leitungsgebundenen Netzzugängen und kann eine Brückenfunktion einnehmen. Als Ersatz für Festnetz-Internet kommen mobile Netze aber nicht in Frage, denn funkbasierte Technologien sind gegenüber leitungsgebundenen in mehrfacher Hinsicht unterlegen. Ziel muss es sein, vom Zwei-Klassen-Internet wegzukommen, und nicht, die digitalen Gräben zu vertiefen. Die Perspektive für Sachsen muss ein flächendeckender Glasfaser-Ausbau sein: Diese Zukunftstechnologie muss die Staatsregierung konsequent vorantreiben und verhindern, dass der Freistaat hier auch noch ins Hintertreffen gerät.”

Und Kühn zur wichtigen Rolle des Bundes: “Schnelles Internet ist heute für viele Menschen und Unternehmen notwendig, um am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Die Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass einzelne Länder und Regionen deutlich schlechter aufgestellt sind als andere. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, den schnellen Zugang zum Internet endlich als Teil der Daseinsvorsorge zu begreifen und wenigstens eine flächendeckende Grundversorgung sicherzustellen. Die von Bundesverkehrsminister Dobrindt in Aussicht gestellten zusätzlichen Breitband-Fördermittel aus den Frequenzversteigerungen müssen bevorzugt in die bisher unterversorgten Länder fließen.”

Kleine Anfrage: Bundestags-Anfrage “Ausbau der Breitbandversorgung in Sachsen” Drs. 18/02201: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/18-02201_Kuehn_-_B90-GRUENE.pdf

Auswertung Bundestags-Anfrage “Ausbau der Breitbandversorgung in Sachsen” Drs. 18/02201: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/Auswertung_KlAnfr_Stephan_Breitband.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar