Auf der neu gestalteten Website macht die Redaktion des "Regjo"-Magazins so richtig neugierig auf das neue Heft Nr. 1 / 2014, das dieser Tage erschien unter dem Titel "Spurensuche": "Das Wegfahren, die Auszeit gehören in jede Jahresplanung. Das Reiseziel legt der Reisende fest - aber wie werden bestimmte Orte zu Zielen und warum fahren wir eigentlich weg?" - Ja, warum eigentlich? Warum ausgerechnet nach Mitteldeutschland?
“Regjo” hat ja den ungemeinen Vorteil, dass es als mitteldeutsches Kulturmagazin nicht an den künstlichen Landesgrenzen kleben bleiben muss, es kann den Blick weiten und elementarere Fragen stellen. Solche wie oben. Das ist nicht leicht – auch weil es oft an Gesprächspartnern fehlt, die fachlich oder gar wissenschaftlich diesen Überblick haben, gerade beim Thema Tourismus, um den es in diesem Heft geht. Die Veranstalter des Leipziger Tourismusfrühstücks wissen ein Lied davon zu singen. Wo die eigene “Destination” endet, endet zumeist auch der Horizont.
Das “Regjo”-Team hat es versucht. Keine Frage. Man hat auch einen Tourismusforscher aufgetan, dem man lauter Fragen zum Thema gestellt hat: Marco Richter, Inhaber des Lehrstuhls Tourismuswirtschaft an der TU Dresden. Aber was passiert, wenn der eigene Horizont über das Denken in Destinationen nicht hinaus kommt, wenn nicht mal geklärt ist, was unter einer Destination zu verstehen ist? Oder gar der Begriff in Frage gestellt wird, gerade weil er Teil eines sehr schmalen Betrachtungssegments ist und nur eine Sicht darstellt: die der Vermarkter.
Dass da in Mitteldeutschland nicht viel zusammen fließt, das merkt man dem Interview genauso an wie dem Heft. Jeder macht Seins, jeder vermarktet seine Leuchttürme, jede Kleinregion versucht sich zu profilieren und mit immer neuen Attraktionen zu punkten. Und darauf hat sich auch die ganze Theorie des Tourismusmanagements versteift. Mit Richter gesagt: “Es geht immer um die Wahrnehmung als touristisches Zielgebiet.” Man verkauft und bewirbt Produkte. Und versucht dann die potenziellen Konsumenten dafür zu definieren.
Natürlich liest unsereins so ein 110 Seiten dickes Heft mit redaktionellen Augen. Was hätten wir gemacht, wenn uns das Thema gereizt hätte? – Natürlich eine Bestandsaufnahme. Eine echte. Es gibt in allen drei Bundesländern mittlerweile fundierte Bände zu ihren kulturellen und damit touristischen Landschaften. Auf der Ebene, ob es so etwas wie “Kulturtourismus” gibt, diskutiert man weder in Sachsen, Sachsen-Anhalt noch Thüringen mehr. Wer ganze Seiten eines solchen Heftes mit diesem Unfug füllt, ist ungefähr 25 Jahre hinter der Zeit. Harte Worte? – Nicht wirklich. Weil jede verpasste Chance weh tut. Und weil jede Reisemesse zeigt, dass diese drei Bundesländer vor allem mit einem auffallen – im nationalen Tourismus genauso wie im internationalen: mit ihrer reichen Kulturlandschaft.
Die reicher ist als das, was Tobias Prüwer und Franziska Reif bei den paar Tourismus-Gesellschaften abgefragt haben, die ihnen so eingefallen sind. Es sind nicht die Touristen, denen der kulturelle Reichtum dieser Landschaft unbekannt wäre, sondern die Journalisten. Vielleicht ist es der medialen Erstarrung zuzuschreiben, die seit 1990 nicht nur die Politik in tiefsten Provinzialismus gestürzt hat, sondern die Redakteure auch das Wissen um den Reichtum der Region zwischen Elbsandsteingebirge und Harz hat vergessen lassen. Selbst der MDR schaltet die Kanäle auseinander, wenn er aus den einzelnen Bundesländern berichtet. So etwas ist provinziell.Und genauso wirkt dieses Heft. Gerade durch das, was unerwähnt bleibt. Und da ist man schnell bei der Draufsicht, die völlig fehlt. Was sich dann seltsamerweise in kleinen Sticheleien ausgerechnet gegen die Lutherdekade austobt, obwohl das Thema “500 Jahre Reformation” zum ersten Mal bewirkt hat, dass die drei Bundesländer sich bei der Vermarktung eines Themas zusammengetan haben. Luther ist ein Megathema, ob man nun seine überkommenen familiären Vorstellungen oder seine Schimpftiraden gegen die Juden bekrittelt oder nicht. Ihn dann gar zum “Pionier des Antisemitismus” zu machen, ist freilich völlig daneben. Und gleich noch mit zu behaupten, das werde “in aller Regel übergangen”, ist einfach nur eine Behauptung. Auf die dann postwendend die journalistische Selbstgerechtigkeit folgt: jetzt müsse doch eine “Kurskorrektur in der öffentlichen Meinung” folgen. Das ist nur noch schräg. Genauso wie der flapsig hingeworfene Halbsatz, Thomas Müntzer sei mal “Luthers Freund” gewesen, welchselbe Freundschaft Luther “dann allerdings” aufkündigte.
Schade. So gründlich kann man komplexe Themen vergeigen. Da helfen die vielen herrlichen Fotos nicht. Sie kleben nicht zusammen, was in losen Einzelteilen daher kommt. Und bei Mühlhausen dann auch die Schlacht bei Frankenhausen und das große Panorama-Gemälde nicht zu erwähnen, ist schon tragisch. Aber es hat mit den falschen Thesen zu tun, mit denen die Regjo-Mannschaft an dieses Themenheft gegangen ist. Eine steckt gleich im ersten Artikel: “Kulturinseln im Meer aus Grün?” – “Wie Städte mit Kultur den Tourismus ankurbeln” ist einer der Untertitel. Der dann gleich in den – falschen – Einstiegssatz mündet: “Mitteldeutschland hat nicht viele Städte”.
Das Gegenteil ist der Fall. Darüber stöhnen ja die Touristiker, die wirklich in der Praxis tätig sind. Die kleineren Städte bleiben meistens im Schatten der großen, die mit ihren Themen und Budgets zu den Magneten in ihrer Region werden. Da erscheint nur dem Flüchtigen alles auf Dresden und Leipzig (Sachsen), Jena, Erfurt und Weimar (Thüringen) eingedampft. Für Sachsen-Anhalt wird’s schon lustig, wenn Dessau-Wörlitz erwähnt wird und Halle und Magdeburg weggelassen werden.
Eine wirklich kompetente Grundanalyse hätte dem Thema wirklich gut getan. Dann hätten sich nämlich andere Fragen ergeben: Wie bewirbt man eine derart dicht gepackte Kulturregion, die eben nicht nur aus Brocken, Goethe und Hexen besteht? Der Harz bekam übrigens ein eigenes Kapitel im Heft (anders als Thüringer Wald und Erzgebirge), aber auch nicht ganz. Dass drei Landesgrenzen durch verlaufen, weiß der Autor zumindest und repetiert brav, was die Tourismuszentrale gerade wichtig fand. Aber er ist dann doch in Sachsen-Anhalt geblieben und hat den Thüringer Teil gleich mal weggelassen.
Aber vielleicht zeigt genau das, warum das Thema “Mitteldeutschland” einfach medial nicht wahr genommen wird. Wer soll es schaffen, wenn nicht einmal die Redaktion eines mitteldeutschen Kulturmagazins auf diese Höhe kommt?
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Und dabei hat man sich für dieses Titelthema 33 Seiten gegönnt. Es ist so schade, weil es eine verpasste Chance ist. Eine Chance, die auch beim Leipziger Tourismusfrühstück immer wieder verpasst wird, weil man sich stets nur auf Leipzig, Leipzig, Leipzig fokussiert. Da muss alles hineinpassen. Und da es die anderen meist nicht anders machen, entsteht dieses seltsame Puzzle. Nur in den Landestourismusverbänden wird es zumindest auf Landesebene gehoben, weiß man, dass die meisten Besucher die Kulturstädte gleich im Paket buchen. Viele gleich mit einem der vielen Festivals, die in diesem reichen Musikland jedes Jahr stattfinden …
Aber an der Stelle unterbrechen wir das mal. Sonst wird es ein eigener Tourismusartikel über diese Landschaft, deren Problem die schiere Fülle ist, nicht der Mangel. Der Rest des “Regjo”-Heftes zeigt dann wie gehabt einen Ausschnitt aus dieser Fülle – vom Asisi-Panorama “Leipzig anno 1813” über den 300. Geburtstag C. P. E. Bachs bis zu einem Schweiz-Rückblick auf die letzte Buchmesse, der 250. Geburtstag der beiden sächsischen Kunsthochschulen wird bedacht, das Leipziger Original Peter Degner. Hinten gibt es auch noch einen Versuch, ein bisschen was zur Wirtschaft zu machen. Aber der geht’s ja bekanntlich wie der Kultur und dem Tourismus insgesamt: Alles verzettelt sich im Kleinen und man wundert sich (gar nicht mehr), dass nichts Großes dabei herauskommt.
Das Magazin gibt es für 3,90 Euro am Kiosk.
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