So schnell vergeht die Zeit: Am 25. März gab's das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu zwei Normenkontrollanträgen gegen den ZDF-Staatsvertrag. Kurz ging ein Rauschen durch den Blätterwald. Man habe ja eh immer schon gewusst, dass die Rundfunk-Kontrollgremien zu politiklastig wären und gar nicht staatsfern. Es rauschte. Es ebbte ab. Es ist wieder Ruhe. Kurz fragte auch die sächsische Opposition: Muss sich da nicht auch beim MDR was ändern?

Ein bisschen, sagte SPD-Mann Dirk Panter. Eine Menge, sagt Linke-Mann Heiko Hilker, der in den vergangenen Jahren schon manchen öffentlichen Strauß gefochten hat um die Rolle der MDR-Gremien und die Einmischung der hohen Politik. Für ihn ist das, was das Bundesverfassungsgericht den öffentlichen Rundfunkanstalten noch zugestanden hat, im Prinzip nicht mehr gegeben. War es vielleicht auch nie. Aber so schnell, wie die Diskussionen um die Ausgewogenheit und die Politikferne von ZDF, ARD und Deutschlandradio immer wieder abebben, wird natürlich auch jede Diskussion darüber unterbunden. Auf den diversen Rundfunkkanälen findet sie sowieso nicht statt. Und wenn, dann als Alibi mit den üblichen Argumente-Tauschern.

Nur ja nicht ans Eingemachte.

“Doch gibt es auf den jeweiligen (Demokratie-)Ebenen tatsächlich ein Medienangebot, das ‘sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen … in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck’ findet, wie es das Bundesverfassungsgericht 2007 gefordert hat? Ist zudem gewährleistet, ‘dass die in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet werden’?”, fragten Heiko Hilker und Uwe Kammann im März vor einer dieser Gigantenrunden der Ministerpräsidenten zur Medienpolitik. Bei denen nie etwas herauskommt, weil die Leute, die da sitzen, ja nicht die Bedingungen ihres eigenen Daseins ändern wollen.

Uwe Kammann ist Direktor des Grimme-Instituts in Marl, Heiko Hilker ist Leiter des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung. In ihrem Papier versuchen sie zu beschreiben, warum der ÖRR so ist, wie er ist und warum alle Versuche, ihn zu reformieren, scheitern und abprallen.

“Im bestehenden System gibt es keine Regeln, die eine Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befördern. Nur ein Bündel von Regeländerungen kann dazu führen, ARD, ZDF und Deutschlandradio auf den Pfad der öffentlich-rechtlichen Tugend und in die für die Demokratie erforderliche journalistische parteipolitische Unabhängigkeit zurückzuführen”, stellte Hilker schon 2013 in einem Papier zur Gremienreform von ARD, ZDF und Deutschlandradio fest.

Jede These, die er formuliert hat, hat es in sich. Die 9. zum Beispiel lautet: “Die Rundfunkräte haben in den letzten Jahren kein einziges Problem der Sender als Erste thematisiert bzw. Skandale als Erste entdeckt. Sie verstanden und verstehen sich vor allem als Verteidiger ihrer Anstalten, weniger als deren Kontrolleure.”

Und die 10.: “Die Rundfunkräte sind in ihrer Mehrheit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht geworden. Eine gesellschaftliche Kontrolle von ARD, ZDF und Deutschlandradio findet seit Jahrzehnten nicht mehr statt. Dies wird sich auch in Zukunft weder durch einen Mentalitätswandel, ein erweitertes Rollenverständnis noch durch Schulungen wesentlich ändern, da die Ressourcen zwischen Sendern und Gremienmitgliedern in keinem Verhältnis zueinander stehen und die Mehrheit der entsendenden Organisationen kein Interesse hat, den Rundfunk einem gesellschaftlichen Auftrag zu unterstellen.”

Und das hat nicht nur mit all den entsendenden Parteien und Organisationen zu tun, denen nichts lieber ist als ein gut gepflegter Burgfrieden und eine wohlwollende Berichterstattung. Es hat auch damit zu tun, dass die ganzen Rundfunkräte nichts anders sind als zahnlose Tiger und Alibirunden für Leute, die gern ein schönes Pöstchen bekleiden. Ausnahmen bestätigen hier wie so oft die Regel.Hilkers These Nr. 12: “Den (engagierten) Rundfunkräten fehlen die für eine effektive Kontrolle notwendigen Instrumente. Wenn sie gestärkt werden sollen, brauchen sie Parlamentariern vergleichbare Rechte – von einem verbindlichen Fragerecht bis hin zum Instrument eines Untersuchungsausschusses. Diese Rechte sind gesetzlich bzw. staatsvertraglich festzuschreiben. Sie müssen einklagbar sein.”

Das würde Arbeit machen. Und es würde die Auserwählten zwingen, sich mit dem tatsächlich auseinander zu setzen, was tagtäglich über die Sender dudelt. Sie müssten sich ernsthaft fragen, ob es das ist, was zur gesellschaftlichen Grundinformation notwendig ist. Sie müssten – was die meisten nicht sind – zu Insidern des Medienmachens werden. Und sie müssten auch über das Umfeld nachdenken. Denn wer übernimmt all das, was die ÖRR nicht erfüllen, weil sie ihre Sendezeiten mit Tatorten, Talkshows und Täterätä füllen?

Da ist man dann in der Welt der regionalen Tageszeitungen, die im Osten schon 1990 allesamt beschlossen haben, nicht miteinander zu konkurrieren. Also gibt es auch keine vielfältige mediale Berichterstattung vor Ort. Wenn sich nicht im Internet inzwischen alternative Angebote entwickeln. Was immer ein Paddeln gegen den Strom ist, denn wenn es so etwas wie Medienförderung im Bundesland gibt, dann ist sie redundant. Neben den Öffentlich-Rechtlichen werden noch lokale Fernseh- und Radiosender gepäppelt. Mehr schlecht als recht. Fürs Senden reicht das Budget meist, fürs journalistische Arbeiten praktisch nie.

Das Ergebnis ist dann die Verstärkung eines Effekts, den Hilker und Ammann schon bei den Dritten Programmen beobachten: “Die einschaltrelevanten Angebote bieten zumeist nur ein Abbild politischer Entscheidungen und Meinungen, gehen mitunter kaum in die Tiefe, dienen damit mehr der Bestätigung vorhandener Auffassungen bzw. der Stimmungswiedergabe, als dass sie die politische Meinungs- und Willensbildung auf kompetenter Grundlage befördern.”

Die Zuschauer und Zuhörer erfahren Politik als häppchenweise dargebotenes Entertainment. Inhalte? Hintergründe? Zusammenhänge? – Für all das, was den Mediennutzer einführen könnte, in die Vorgänge hinter den Kulissen – fehlt es an Raum, Zeit, Tiefe. Die Fernsehteams hüpfen von Termin zu Termin. Als wäre Politik nur eine Wiese mit lauter bunten Blumen.

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Wer Politik so erfährt, handelt entsprechend – nämlich in der Regel gar nicht. Die zunehmende Politikabstinenz hat auch mit dem dargebotenen Einerlei zu tun. Und welche Wucht dieses Einerlei hat, zeigen jedes Jahr die von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien ermittelten Werte zur Meinungsmacht. Denn wer Meinungen macht, macht Politik. Und die Öffentlich-Rechthaberischen sind ganz vorn dabei. Sie machen Meinung. Und sie machen zuallererst Meinung für die Vertreter jenes politischen und gesellschaftlichen Establishments, die auch in den Rundfunkräten die Mehrheit haben. Welches Gremium wird daran etwas ändern wollen, wenn die Kontrollierten in der Kontrolle dessen, was sie eigentlich kontrollieren sollen, so schön brav und zurückhaltend sind?

Es kommt nur ein kleiner, gut gepflegter Teil der gesellschaftliche Wirklichkeit vor. Eine Gesellschafts-Fiktion.

Ändern könnte sich das nur mit einer wirklich modernen Mediengesetzgebung, stellen Hilker und Ammann fest. Und für Hilker müssten sich auch die Kontrollgremien deutlich verändern – weg von den nur fünf-, sechsmal im Jahr tagenden Abnickgremien hin zu auch personell und finanziell ordentlich ausgestatteten Kontrollinstanzen, die auch Sanktionen verhängen können. Und es braucht endlich eine transparente Informationspolitik der Sender. Heiko Hilkers These 21: “Die Sender werden von der Gesellschaft finanziert. Also sind sie auch der Gesellschaft, jeder einzelnen Bürgerin, jedem einzelnen Bürger, über die Verwendung des Beitrags Rechenschaft pflichtig – so wie die Regierungen über die Verwendung der Steuermittel auch. Wer kein Interesse an Öffentlichkeit hat, der muss weder für die Sender arbeiten oder sich um deren Aufträge bewerben. Öffentlichkeit ist der Preis, den man für die Zusammenarbeit mit Sendern zahlen muss.”

Meinungsmacht in Deutschland: www.blm.de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen.cfm?eventPress=press.DisplayDetail&pressrelease_ID=1916

Heiko Hilkers Thesen zur Gremienarbeit des ÖRR als pdf zum Download.

Die Grundthesen aus dem Diskurs von Uwe Ammann und Heiko Hilker als pdf zum Download.

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