Am Donnerstag, 6. Februar, gab die Leipziger Messe die Kandidaten für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse bekannt. Für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014 reichten 136 Verlage insgesamt 410 Titel ein. Die siebenköpfige Kritikerjury nominierte jeweils fünf Autoren bzw. Übersetzer in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.
In der Kategorie Belletristik geht es mal wieder familiär zu, dominieren die großen Generationenkonflikte und – wie nun seit Jahren schon – die Geister der Vergangenheit, mit denen die deutsche Seele ringt und ringt und ringt …
Nominiert wurde Fabian Hischmanns im Berlin Verlag erschienenes “Am Ende schmeißen wir mit Gold”. Der Roman des 30-jährigen erzählt von einem Lehrer, der das Haus seiner Eltern hütet und dabei Geistern von einst begegnet. Selbstbewusst und souverän im Ton reiht sich dieses Debüt zwischen Wolfgangs Herrndorfs Tschick und Thomas Klupps Paradiso ein. Es ist Hirschmanns Debütroman.
Nominiert wurde für den Belletristik-Preis auch Per Leos im Klett-Cotta Verlag erschienenes Buch “Flut und Boden: Roman einer Familie”. Familienroman Nummer 2 also. Die Jury sieht es so: In einer persönlichen Krise stürzt sich der angehende Historiker Per obsessiv in die Erforschung der Vergangenheit seines Großvaters Friedrich, der Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS war. Ein tatsächliches Bild vom Glanz und Niedergang seiner Bremer Familie erhält er jedoch erst, als er Friedrich dessen vergeistigten Bruder Martin an die Seite stellt, der ein Goetheaner und genauer Beobachter seiner Welt war. In dem ihm immer fremd gebliebenen Nazi-Großvater entdeckt er einen rebellischen jungen Mann, der uns viel näher ist, als uns lieb sein kann. Seine Liebe jedoch gilt dem Großonkel Martin.
Der Historiker Per Leo hat jetzt die eigene Familiengeschichte mit ungewohnten stilistischen und dramaturgischen Mitteln zum Roman geformt. Der sehr heutige ‘Nazienkel ‘ arbeitet sich, mit großer Zuneigung zu seinen Figuren, auch in die dunklen Seiten der deutschen Vergangenheit hinein, schätzt die Jury ein.
Einen Gesellschaftsroman nominiert die Jury mit Martin Mosebachs “Das Blutbuchenfest” aus dem Carl Hanser Verlag. Ivana aus Bosnien putzt in Frankfurt. Ihre Kunden sind Banker und Bohemiens, Hochstapler und Kreative. Mitten in der Stadt organisiert der kleine Geschäftemacher Rotzoff ein großes Fest unter der Blutbuche in seinem Garten, um mit den Eintrittsgeldern seine Schulden zu bezahlen. Ausgelöst wird ein figurenreicher Tanz um Liebe, Betrug und Eifersucht, bei dem uns ein verbummelter Kunsthistoriker, der umtriebige Planer eines Kongresses über das zerfallende Jugoslawien und der Immobilienhai Breegen begegnen. Und während ihre Kunden feiern, beginnt in Ivanas Heimat der Krieg.
In der Tradition des großen, figurenreichen und milieustarken Gesellschaftsromans verschränkt Martin Mosebach Szenen und Komödien aus dem Frankfurter Bürgertum mit dem Beginn der Kriegskatastrophe auf dem Balkan 1991. Im Zentrum allen Geschehens aber steht die bosnische Putzfrau Ivana, eine Romanfigur von unerhörtem, unvergesslichem Eigensinn weiblicher Natur, fasst die Jury das Gelesene zusammen.
Der in Frankfurt am Main lebende Martin Mosebach hat schon einige der großen deutschen Literaturpreise gesammelt: Kleist-Preis, Georg-Büchner-Preis und 2013 den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Aber weiter mit dem nominierten Familienromanen. Nominiert wurde auch Katja Petrowskajas “Vielleicht Esther” aus dem Suhrkamp Verlag. Hieß sie wirklich Esther, die Großmutter des Vaters, die 1941 im besetzten Kiew allein in der Wohnung der geflohenen Familie zurückblieb? Die unabgeschlossene Familiengeschichte, die Katja Petrowskaja erzählt, hätte ein tragischer Epochenroman werden können: ihr Großonkel Judas Stern verübte 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau. Sterns Bruder war ein Revolutionär aus Odessa. Ein Urgroßvater gründete in Warschau ein Waisenhaus für taubstumme jüdische Kinder. Statt ihren Stoff episch auszubreiten, schreibt die Autorin von ihren Reisen zu den Schauplätzen, rückt Figuren ins Bild, deren Gesichter nicht mehr erkennbar sind, und reflektiert über das 20. Jahrhundert.
Die Windmühlen der Erinnerung im Schatten der Schoah: was es bedeutet, die Spuren einer verzweigten Familie zu sichern, wenn nichts sicher ist, außer dem Verschwinden, davon wird hier erzählt, ungeschützt, listenreich, suggestiv, schätzt die Jury ein.
Die 1970 in Kiew geborene Katja Petrowskaja lebt seit 1999 in Berlin und arbeitet als Journalistin für russische und deutsche Medien. Seit 2011 ist sie Kolumnistin bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Für ihre Erzählung “Vielleicht Esther” erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis 2013.
Und in die Vergangenheitsbewältigung taucht auch Sa?a Stani?ic mit “Vor dem Fest” ein, das im Luchterhand Literaturverlag erschien. Es ist die Nacht vor dem Fest, die Nacht der Schlaflosen, die sie “Die Nacht der Heldinnen” nennen – als der ehemalige NVA-Oberst Schramm verzweifelt versucht, Zigaretten zu bekommen, die nachtblinde Malerin ihr erstes Nachtbild malen möchte und der Glöckner nichts geringeres als seine Glocken vermisst. Im Dorf, in dem sich niemand auf die Natur verlassen kann, wird in das Haus der Heimat eingebrochen. Niemand hat etwas gesehen, niemand etwas gehört. Niemand weiß, warum der Fährmann gestorben ist. Aber alle werden heimgesucht von den alten Geschichten und Mythen, die zuvor im Dorfarchiv verborgen waren. Und sie alle wollen etwas zu Ende bringen, bevor die Nacht vergeht und das Fest beginnt.
Die Jury dazu: Ein Dorf in der Uckermark, voller Gegenwart, voller Legenden. In Vor dem Fest erzählt dieses Dorf sich selbst – ein Roman als furioser Chorgesang in Prosa.
In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurden folgende fünf Titel nominiert:
– Diedrich Diederichsen: “Über Pop-Musik” (Verlag Kiepenheuer&Witsch)
– Jürgen Kaube: “Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen” (Rowohlt Berlin)
– Helmut Lethen: Der Schatten des Fotografen” (Rowohlt Berlin)
– Barbara Vinken: “Angezogen: Das Geheimnis der Mode” (Klett-Cotta Verlag)
– Roger Willemsen: “Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament” (S. Fischer Verlag)
Und in der Kategorie Übersetzung gab es diese Nominierungen:
– Paul Berf: “Spielen”, übersetzt aus dem Norwegischen von Karl Ove Knausgård (Luchterhand Literaturverlag)
– Robin Detje: “Europe Central”, übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von William T. Vollmann (Suhrkamp Verlag)
– Ursula Gräfe: “Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki”, übersetzt aus dem Japanischen von Haruki Murakami (Dumont Buchverlag)
– Hinrich Schmidt-Henkel: “Jacques der Fatalist und sein Herr” übersetzt aus dem Französischen von Denis Diderot (Verlag Matthes & Seitz Berlin)
– Ernest Wichner: “Buch des Flüsterns”, übersetzt aus dem Rumänischen von Varujan Vosganian (Paul Zsolnay Verlag)
Auf www.preis-der-leipziger-buchmesse.de können Bücherfreunde vom 6. Februar bis zum 6. März ihren Favoriten für den Leser-Preis wählen.
Die Preisverleihung findet am Donnerstag, 13. März, 16:00 Uhr auf der Leipziger Buchmesse in der Glashalle statt. Wer nicht dabei sein kann, hat die Gelegenheit, die Preisverleihung via Livestream über www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/stream zu verfolgen.
Im Vorfeld der Leipziger Buchmesse können Literaturfreunde schon einen kleinen Eindruck der Werke erhalten auf www.literaturport.de. Alle nominierten Titel werden hier mit einer Hörprobe vorgestellt.
Eine Jubiläumsveranstaltung “10 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse” wird es am 12. März um 20:30 Uhr im neueröffneten “Hôtel de Pologne” in der Leipziger Innenstadt geben. Die Leipziger Buchmesse lädt alle Interessierten ein, die fünf Nominierten der Kategorie Belletristik in Lesung und Gespräch live zu erleben.
Weitere ausgezeichnete Begegnungen mit Autoren, Übersetzern und Büchern verspricht der Leipziger Bücherfrühling. Die Jurymitglieder stellen alle nominierten Autoren am ersten Messetag vor. Am 13. März, um 11:00 Uhr, machen die Belletristik-Autoren den Anfang. Um 12:00 Uhr folgen die Sachbuch-Autoren und um 13:00 Uhr die nominierten Übersetzer.
Zur diesjährigen Jury gehörten: Hubert Winkels (DIE ZEIT/Deutschlandfunk), René Aguigah (Deutschlandradio Kultur), Dirk Knipphals (taz), Sandra Kegel (FAZ), Ursula März (DIE ZEIT), Lothar Müller (Süddeutsche Zeitung) und Daniela Strigl (Freie Literaturkritikerin).
Keine Kommentare bisher