Es klingt wie ein Aufatmen, wenn die Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) am Freitag, 6. Dezember, vermeldet, dass das Langzeitprojekt "Medienkonvergenz Monitoring" abgeschlossen ist nach zehn Jahren. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft im Diskurs" wurde die Publikation "Die Aneignung konvergenter Medienwelten durch Jugendliche" im Leipziger Marriott Hotel vorgestellt.

Das Buch, erschienen in der SLM-Schriftenreihe, Band 24, vereint die Ergebnisse der Langzeitstudie “Medienkonvergenz Monitoring”, welche die Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Schorb seit 2003 in einer zehnjährigen Forschungsarbeit eruiert hat. Im Auftrag der SLM wurde während dieses Langzeitforschungsprojektes das Mediennutzungsverhalten Jugendlicher zwischen 12 und 19 Jahren in den unterschiedlichen Mediengattungen untersucht. Die zentralen Fragen über den gesamten Erhebungszeitraum lauteten dabei: Welche Medien nutzen Jugendliche wofür? Was machen sie mit Medien?

Interessante Fragen, die auf ein Dilemma verweisen, das 2003 durchaus den Wahrnehmungshorizont der Medienmacher und der Medienförderer in Deutschland (zu denen die SLM gehört) erreichte: Mit dem zunehmenden Zuspruch für das Internet gingen die Jugendlichen den alten Mainstream-Medien nicht nur peu á peu verloren, sondern jahrgangsweise komplett. Sie wurden keine Zeitungsabonnenten mehr, tauchten seltener in Radio-Hörerschaften auf und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen gingen sie völlig verschütt. Ja, wo blieben sie denn?

Die Antworten fand das Monitoring bald. Die Antworten waren Spiel- und Tauschplattformen im Internet, und – ab 2004 dann zunehmend “social media”. Damals hießen die digitalen Schwatzwelten noch StudiVZ, SchülerVZ und so ähnlich – bis ihnen die US-amerikanischen Tanker Facebook, Twitter und Google Plus das Wasser abgruben, weil sie das Bedürfnis nach Austausch und Selbstdarstellung besser und leichter befriedigten.Es hat sich also auch in diesen zehn Jahren schon einiges deutlich gewandelt. Und Prof. Schorb und seine Mitstreiter haben es gemerkt. Die Jugendlichen verließen zum Beispiel den realen Verkaufsraum der Musikverkäufer, weil die aktuelle Lieblingsmusik digital leichter und schneller erreichbar ist. Wer erinnert sich noch an die heftigen Diskussionen über das Urheberrecht auf Musikplattformen? – Die großen und kleinen Musiklabels waren die ersten, die begriffen, dass man sich da in einen aussichtslosen Kampf stürzte, wenn man nicht selbst leicht händelbare, niedrigschwellige und transparente Kaufangebote im Internet schuf.

Die nächsten werden die großen Filmproduzenten sein, auch wenn sie noch immer gigantische Abwehrschlachten gegen Portale wie Pirate Bay oder das Imperium des Kim Dotcom schlagen. Die einzelnen Vorgänge mögen zutiefst kriminell sein – aber es waren die illegalen Anbieter, die das große Bedürfnis der vor allem jungen Menschen sahen, schnell auch digital an die neuesten Filme zu kommen – nur eben nicht zum Sesselpreis eines Premieren-Kinos.

Wenn das Ganze dann noch verknüpft wird, entsteht ein Mehrwert, den nun einmal nur das Internet bieten kann – Musikangebot, Videoclip, Spieleplattform und Diskussionsplattform verschmelzen. Was übrigens in der realen Welt auch seine Opfer kostet – unter Stadtmagazinen und gedruckten Filmmagazinen zum Beispiel. Und immer stärker spielt das, was man so “social media” nennt, eine zentrale Rolle. Hier wird alles verknüpft – und die Nutzer sorgen selbst dafür. Was übrigens auch die Welt der Online-Spiele befeuert. Der einsame Daddler ist eher älteren Datums und mischt am PC seine Karten. Die jungen Leute goutieren auch die herrliche Möglichkeit, sich digital in das zu verwandeln, was sie in der Realität gern wären.Übrigens nicht nur in Games, sondern auch in der digitalen Plapperwelt. Soziale Netzwerke erweitern den Lebensraum, stellt die Schorb-Mannschaft fest. “Soziale Online-Netzwerke erweitern die Kommunikations-, Erfahrungs- und Entwicklungsräume Jugendlicher und sind bedeutend für ihre Identitätsarbeit. Sie ermöglichen es, Rollen zu erproben und mit ihnen zu experimentieren. Zentrales Motiv der Nutzung ist das Kontakthalten mit dem sozialen Umfeld. Jugendliche nehmen Soziale Online-Netzwerke eher als private und reale, denn als öffentliche und virtuelle Räume wahr. Diese Entwicklung ist insbesondere im Hinblick auf den Umgang Jugendlicher mit Privatsphäre und Datenschutz interessant.”

Aber auch für die Frage: In welcher Welt leben die jungen Leute? Haben sie überhaupt noch an dem teil, was ältere Semester so als reale Welt empfinden? Sind sie noch informiert und interessieren sich gar für gesellschaftliche Debatten?

Also gibt es auch die kleine Nebenerkenntnis: Gesellschaftliche Debatten finden zunehmend in sozialen Netzwerken statt. In der Kurzzusammenfassung der Schorb-Studie so formuliert: “Die Aneignung von Information im Zeitalter des Internets folgt über die Nutzung klassischer Informationsangebote hinaus zunehmend individuellen Wegen. Neben Suchmaschinen sind auch Soziale Online-Netzwerke bedeutend. Gerade diese neuen Online-Räume bieten Heranwachsenden nicht nur die Möglichkeit, Informationen einzuholen, sondern auch diese zur Verfügung zu stellen und sich öffentlich zu positionieren. Für die Jugendlichen spielen dafür durchaus (auch) politische und gesellschaftlich relevante Themen eine Rolle. Ihr thematisches Interesse ist jedoch weit gefasst.”

Als wäre das wundersam. Erschreckender wäre wohl eher, wenn das thematische Interesse so schmalspurig wäre wie das, was einige Sender und Zeitungen derzeit so anbieten. Es ist wohl eher so, dass die Vielfalt der Informationsangebote im Internet ebenfalls ein junges (und damit uraltes) Bedürfnis befriedigt: Über viele verschiedene Dinge auch dann Informationen zu bekommen, wenn die offiziösen Medien alle den Eiertanz um Sturmtief Xaver tanzen.

Dieses seltsame Medium Internet, das da jüngst auch von der Bundesregierung entdeckt wurde, zwingt tatsächlich zu etwas, wovon die meisten/älteren Leute nur schön schwätzen: zum vernetzten Denken. Die “social media” bedienen das aktuell am klarsten, auch wenn sie keine Hemmungen kennen, die maximale Vernetzung der gesammelten Informationen auch für eigene Geschäftszwecke zu benutzen und auch dem mächtigsten Geheimdienst der Erde fleißig zuarbeiten.

Was dann natürlich neue Fragenkomplexe auftut, die eben nicht nur um “Privatsphäre und Datenschutz” kreisen, sondern auch um Datenhoheit, informelle Selbstbestimmung, das Recht auf Transparenz und geschützte Räume. Die Diskussion um die Regeln im digitalen Kosmos hat noch gar nicht richtig begonnen und wird leider seit Jahren von Leuten dominiert, die mit den Möglichkeiten des Internets so viel am Hut haben wie ein Maulwurf mit dem Weltraum.

www.slm-online.de

Die Publikation kann bei der SLM unter E-Mail info@slm-online.de bestellt werden.

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