Der Satz steht auf Seite 184 des von Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler herausgegebenen Buches "Rechtsextremismus der Mitte": "Die Demokratie findet ohne die meisten Menschen statt. Die politische Teilhabe ist beunruhigend wenig ausgeprägt und öffentliche Teilhabe ist gering." Es ist das Fazit, das die Autoren nach einem der eher kürzeren Kapitel in ihrem Buch ziehen.

Darin differenzieren sie die Gruppen der von ihnen Befragten nach zwei Kriterien: Mediennutzung und Politische Partizipation. Die Erkenntnis, dass viele Menschen die Demokratie lieber vom Fernsehsessel aus konsumieren als aktiv an ihr mitzuwirken, ist nicht neu. Schon nach der Befragung von 2008 zogen Oliver Decker und seine Kollegen das Fazit: “Demokratie überhaupt als eigenes Projekt zu begreifen, fällt vielen Menschen schwer.”

Was dabei herauskommen kann, wird in diesem Buch in einem ganzen Kapitel untersucht: “Verschwörungsmentalität als Weltbild”. Wer nicht selbst gestaltet und nicht selbst an den Prozessen beteiligt ist, hat in der Regel nicht nur ein schlechteres Selbstbild und eine niedrigere Einschätzung seiner Möglichkeiten, “etwas zu ändern”. Der neigt auch stärker dazu, hinter den Entscheidungen und Prozessen geheimnisvolle Verschwörungen zu sehen. Verschwörungstheorien sind übrigens auch ein Teil des rechtsextremen Weltbildes. Aber nicht nur.

Partizipation fängt zwar bei der Wahlbeteiligung an. Wer nicht mal zur Wahl geht, der hat tatsächlich keinen Anteil an den politischen Entscheidungen und Veränderungen. Aber wer daheim sitzt und sich selbst einlullt mit dem Spruch “die da oben entscheiden das wieder”, der hat schon sein wichtigstes Pfund aus der Hand gegeben. Denn demokratische Teilhabe fängt damit an, dass jeder Einzelne sich engagiert. Es ist sogar in weiten Teilen egal, wo, ob in Kirche, Kulturverein oder Umweltinitiative. Denn jedes Engagement verändert die Dinge. Demokratie lebt davon, dass ihre Bürger sich aufraffen und auch unentgeltlich tätig werden für das, was ihnen wichtig ist. Ehrenamt nennt man das. Nur mal so als Randnotiz: Auch politische Arbeit ist zuallererst reines Ehrenamt.

Vom ökonomischen Standpunkt her betrachtet: ein reines Zuschussgeschäft. Man schlägt sich selbst im Ortstverein kostbare Abende und Wochenenden um die Ohren, muss sich über Lösungsvorschläge den Kopf zerbrechen, muss sich mit Leuten streiten und Kritik aushalten, muss um Ämter und Mandate kämpfen. Und das nicht nur in den politischen Vereinen, die sich Parteien nennen, sondern selbst in Bürgervereinen oder – höchst aktuell – in Leipziger Fußballvereinen. Man muss Geld beschaffen und die Kasse verwalten. Und Verantwortung übernehmen..

Die letzte veröffentlichte Zahl zum ehrenamtlichen Engagement in Leipzig: 16 Prozent der Leipziger sind aktiv.
Das ist die eine Seite der Demokratie. Die andere ist genauso wichtig: die Agora, wie Oliver Decker, Elmar Brähler, Johannes Kiess und Kollegen den Ort nennen, an dem öffentlich diskutiert wird, an dem jeder zumindest theoretisch Teil haben kann an den wichtigen Diskussionen der Zeit. Die Parlamente gehören dazu – und heißen ja deswegen auch so. Und die Medien gehören auch dazu – weil sie die Diskussion in die Öffentlichkeit tragen. Oder auch nicht.

Wer partizipieren will, muss sich informieren. Und das geht – wenn man all den Werbeagenturen der großen Internet-Riesen und ihren Verlautbarungen der letzten 12 Jahre glaubt – am besten in den “social media”. Da werden gigantische Zahlen gemessen, wird gepostet und kommentiert, werden regelrechte Kampagnen und Shitstorms erzeugt. Eine ganze Partei hat ihre Identifikation auf dieses digitale Mitredenkönnen aufgebaut. Und schaut derzeit regelrecht begossen aus der orange Wäsche.

Woran liegt es?
Die Leipziger Forscher haben ihre Probanden-Gruppe ein bisschen sortiert nach ihrer politischen Partizipation und ihrer Mediennutzung. Sie haben ungefähr neun unterschiedliche Gruppen definieren können. Und jetzt kann jeder noch einmal den ersten Satz in diesem Artikel lesen: Die Meisten nehmen persönlich an der Demokratie nicht teil. Sie sitzen zu Hause und konsumieren das, was gesellschaftlich geschieht. Ganze vier Gruppen nehmen an der Politik aktiv teil. Allen voran die “alten Autoritären”, die zwar ausschließlich auch die “Alten Medien” nutzen (Zeitungen, Fernsehen, Radio), die aber wohl mittlerweile ein Leben lang gelernt haben, dass man sich einmischen muss, sonst passiert nichts.

Die anderen drei Gruppen politischer Akteure beschreiben die Forscher als “Sozial Deprivierte”, “Erfolgreiche Performer” und “Moderne” – alle drei Gruppen dadurch ausgezeichnet, dass sie die alten Medien genauso nutzen wie die Neuen, dass sie sich als Teil der Mitte der Gesellschaft empfinden und dass sie auch politisch aktiv werden.

Und das war’s schon. Unter den fünf Gruppen, die nur konsumieren, fallen die “Jungen Prekären” auf, die sich nicht nur durch Jugend, hohen Bildungsgrad und (durch die Jugend bedingt) niedrige Einkommen auszeichnen, sondern durch ihre starke Verankerung in den “Neuen Medien”. Sie sind damit aufgewachsen, im Grunde wickeln sie hier alle ihre Informationsbedürfnisse ab. Hier kommunizieren sie auch und bringen die “social media” zum Glühen. Nur in der realen Politik tauchen sie nicht auf. Was an wilden Diskussionen in diesen “sozialen Netzwerken” stattfindet, spielt nicht nur in der Realität keine Rolle – es bringt die Akteure auch nicht dazu, sich wirklich aktiv einzubringen.

Im Gegenteil: Es hält sie sogar ab von den zeitverschlingenden Aktivitäten der Politik.

Denn ein Makel all der digitalen Angebote ist der Effekt, den die Autoren sehr ausführlich als eine sich permanent überholende Moderne bezeichnen. Denn eine Erscheinung der sich immer wieder erneuernden Industriegesellschaft ist auch ihr Zwang zu einer permanenten Erneuerung. Produkte verlieren ihre Legitimität, ihre “Heilskraft”, wenn sie dem Erneuerungsdruck der Märkte nicht mehr genügen. Und das hat schon längst auch auf alle anderen Bereiche der Gesellschaft abgefärbt. Mit Worten wie “Avantgarde” fing das im 19. Jahrhundert einmal an, jeder neue Malstil war auf einmal eine neue Mode – bis die Umschlagzahl der immer neueren Stile und Moden Anfang des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal in eine künstlerische Revolte ausartete, die dann kurzerhand selbst zu einer neuen Mode erklärt wurde: der Moderne. Der ja bekanntlich 40 Jahre später die Post-Moderne und inzwischen auch die Post-Post-Moderne folgten. Und so kann das immer weiter gehen.
Verglichen mit dem, was im Internet geschieht, sind die Prozesse in der bildenden Kunst geradezu gemächlich. Im Netz folgt ein Hype dem anderen, ein neues Heilsversprechen löst das nächste ab. Der Rhythmus der Aktualisierungen und neuen Nachrichten hat sich drastisch verkürzt. Und die rasende Folge von Informationen, Antworten, Kommentaren, Reaktionen führt dazu, dass der Empfänger eigentlich nur noch mit Empfangen zu tun hat. Die Informationsflut überfordert ihn. Jedes neue “Das musst du lesen”, “Hier musst du klicken” bannt seine Aufmerksamkeit.

Das Ergebnis: Er kann sich nicht mehr konzentrieren, tiefer beschäftigen mit den Dingen schon gar nicht.

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Rechtsextremismus der Mitte
Oliver Decker; Elmar Brähler; Johannes Kiess, Psychosozial-Verlag 2013, 19,90 Euro

In einen kurzen Absatz gebracht der Vergleich mit den “Alten”, die mit den “alten Medien” aufgewachsen sind und mit diesen Medien Konzentrationsfähigkeit eingeübt haben. “Nicht, dass das von allen in der älteren Generation behauptet werden kann”, schreiben die Autoren, “aber diese sozialisatorisch erworbene Fähigkeit zu einer längeren Aufmerksamkeitsspanne ist die Bedingung für demokratische Partizipation. Wenn diese Fähigkeit fehlt, ist die auch noch so intensive Mediennutzung kein Garant für demokratische Öffentlichkeit.”

Demokratie braucht tatsächlich auch ein paar Qualifikationen. Ein technisch voll ausgestatteter Mitmensch kann trotzdem als Bürger völlig inexistent sein. Wenn er nicht mal abschalten kann, sich ausklinken aus der permanenten Dabei-sein-Suppe. Ausklinken und sich auf ein Thema, einen Text, ein Problem konzentrieren. “Diese Bündelung der Aufmerksamkeit aber muss eingeübt werden”, schreiben die Autoren, “je früher, desto besser.”

Womit wir bei den modernen Bildungserfordernissen wären. Aber die waren in dieser Studie noch nicht Thema.

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