Auf diese Kampagne haben sich deutsche Buchhändler schon lange gefreut. Endlich dürfen sie Warnhinweise an ihre Buchhandlungen kleben. Endlich dürfen sie den vorbeieilenden Passanten die Wahrheit ins Gesicht sagen: Bücher sind gefährlich! - Pünktlich zum Beginn der Leipziger Buchmesse startete der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seine Kampagne "Vorsicht Buch!"
Es ist sowieso an der Zeit nach all den Abgesängen auf das Buch, nach all den Hoheliedern auf Fernsehen, Computer und e-Book. “Bücher sind gefährlich”, sagte Alexander Skipis, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins am Mittwoch, 13. März, bei der Vorstellung der Kampagne. Sie wird auf der Leipziger Buchmesse noch mehrmals thematisiert.
Die Buchhändler flaggen schon an diesem Mittwoch, hängen die Plakate zur Kampagne ins Fenster. 16 Motive haben sich die Macher der Kampagne ausgedacht. Was nicht schwer war. Buchhändler sind Spezialisten und Allrounder. Und Fachleute sowieso. Die stehen in ihrem Laden und haben ein Wissen parat, das der Internethändler nicht mal im Kleingedruckten zur Verfügung stellen kann. Bibliothekare und Buchhändler sind studierte Leute. Viele haben ihr Kopfwerk in Leipzig studiert. Nur mal so am Rande.
Und dem deutschen Buchhandel geht es eigentlich gut. Jedes Jahr steigen die Umsätze. Die Deutschen lesen und kaufen. 16,5 Prozent greifen täglich zum Buch. Ist das schon Sucht? Warum klebt kein Warnhinweis auf den Büchern? – 20,6 Prozent schnappen sich die Bestie mehrmals die Woche, 10,6 Prozent mindestens einmal pro Woche, 7,6 Prozent wenigstens einmal in 14 Tagen. Es ist ja nicht nur der Börsenverein, der jedes Jahr mit neuen Befürchtungen das Volk befragt: Wie hälst du’s mit dem Buch?
Auch Wirtschaftskammern tun es, große Stiftungen und – nicht zu vergessen – die Königshüter von ARD und ZDF. Denn wieviel Zeit bleibt für ihr eigenes Programm, wenn die Leute auch noch am Computer hocken und noch Bücher lesen? – Beruhigen sie ihre Umfragen, dass der Fernsehkonsum trotzdem steigt? 242 Minuten sollen die Durchschnittsdeutschen jeden Tag vor der Glotze hängen, ergab die jüngste ARD-ZDF-Onlinstudie von 2012. Das sind sagenhafte 4 Stunden. Diese Nation ist quasi den kompletten Abend an die Bildschirme gefesselt.
Zusätzlich hören die Leute noch 191 Minuten Radio. Das kann man nicht wirklich parallel machen. Wieder 3 Stunden weg. Was bleibt denn da noch übrig? Für’s Schmökern im Internet zum Beispiel? – 83 Minuten, sagt die Studie.
Die gar nicht so groß publik gemacht wurde wie andere Vorgängerstudien. Vielleicht haben die Verantwortlichen ja doch irgendwie gemerkt, dass diese Jahr um Jahr steigenden Zahlen für Fernsehen und Hörfunk nicht stimmen können. Nicht mehr stimmen können. Das Problem ist die Befragungsmethode bei den diversen Media-Analysen. Man erreicht immer weniger befragbare Personen – weil auch die Mediennutzung im Alltag diffundiert. Festnetztelefone verschwinden, die jungen Nutzer holen sich ihre Informationen mit Mobilgeräten. Sie sind nicht mehr dort, wo sie die Helden des Pantoffelkinos gern abholen wollen.
Also fassen wir solche Zahlen mittlerweile sehr, sehr vorsichtig an. Fürs Buch bleiben da nämlich statistisch nur noch 22 Minuten. 22 Minuten gegen fette 242 Minuten für die Fernsehbeschallung? – Da kann ja nichts passieren. Keine Gefahr im Verzug. Denn: Bücher sind gefährlich.
Leser wissen es. Es sind immer noch Bücher, die die großen Diskussionen in der Republik anstoßen. Sie bringen Leser zum Stutzen, Nachdenken und Denken. Sie regen Gehirne zum Munterwerden an. Sie überraschen, zwingen zur Auseinandersetzung. Und sie schaffen, was Fernsehen und Kino oft nur mit grausam lauter Musik schaffen: Sie ziehen die Leser in ihren Bann, erzeugen Emotionen, zwingen zur Auseinandersetzung. Deswegen haben Diktaturen immer so eine Panik vor Büchern und Autoren. Mancher glaubt ja: Die übertreiben. Und die Autoren übertreiben auch und nehmen sich zu wichtig. Man kann Fürsten nicht erziehen.
Aber man kann ihrer Propaganda den Boden entziehen. Feinsinnig, scharfzüngig, hintersinnig, launig. Oder ganz simpel – durch große, herzerwärmende Geschichten. Wie “Doktor Schiwago” zum Beispiel. Oder auf kluge, satirische Art, wie Herr Orwell in der “Farm der Tiere”. So etwas sitzt.
Und gehört natürlich aus der Warte der Mächtigen verboten.
Es unterminiert Glaubensgebäude und erstarrte Ideologien. Es schafft Freiräume. Das weiß jeder, der zu Hause die richtigen Bücher warten hat, die schon hinter der Tür schnurren, wenn man aus einem verkorksten Tag nach Hause kommt und sich geistig wieder erholen will. Da hat man die Wahl. Zwischen “Inés meines Herzens” und “Moby Dick”, den “Großen Erwartungen” und “Der Untertan”. Den der geübte Heimkehrer gleich neben dem “Braven Soldaten Schwejk” und dem “Radetzkymarsch” stehen hat. Wer liest, weiß, dass das ganze Panoptikum der Helden schon einmal da war. Und immer wiederkehrt. Diese ganzen geschniegelten Narren der Gegenwart – man findet sie im “Narrenschiff”, im “Gargantua” und in Gullivers Reise nach “Laputa”.
Lesen beruhigt und tröstet. Man lebt nicht wirklich in der schlimmsten aller Zeiten. Selbst das Entsetzlichste und Dümmste gab es schon einmal. Deswegen hat “Jacques der Fatalist” seinen festen Platz neben dem “Kleinen Prinzen”.
Die kessen Sprüche auf den 16 Plakatmotiven verweisen alle auf diverse Lieblingsbücher. Und die Personen dahinter kommen nicht aus der Lindenstraße, sondern aus dem Buchladen. Es sind Buchhändlerinnen und Buchhändler – eine gefährliche Spezies. Das weiß jeder, der “Die unendliche Geschichte” gelesen hat – und nicht nur im Kino gesehen. Sie verführen ihre Kunden. Schlimm genug. Sie bieten ihnen Geheimnisse und Rätsel an. Und ihre Kinder stecken sie regelrecht an. Wenn die Kleine auf Plakat Nummer 1 den Spruch hochhält “Ich habe heimlich gezaubert”, dann muss sich das gar nicht auf ein schmales 86-Seiten-Buch beziehen, wie behauptet. Das kann sich auch auf ein gewisses Buch mit 336 Seiten beziehen. Danach sind Hopfen und Malz verloren. Das Mädchen ist für die Nicht-Leser-Welt verloren.
Auf die zielt die Kampagne nämlich. “Wir wollen die restlichen 30 Prozent ansprechen”, sagt Skipis. Das bezieht sich auf eine Befragung, die ergab, dass 70,3 Prozent der Deutschen Interesse am Buch bezeugen. 58,4 Prozent haben in den letzten zwölf Monaten ein Buch gekauft. Haben sich da reingetraut in die Höhle des Löwen und beherzt zugegriffen. Vielleicht auch nur im Kochbuchregal. Oder in der Abteilung für Reiseliteratur. Reiseliteratur ist im Aufschwung. “Auch ihr würdet nicht mit einem eReader durch Rom spazieren”, sagt Skipis. Die Art des Buches ist den Buchhändlern egal. Lesen hat Folgen. Und wer einmal erfahren hat, dass er sich auf das Gedruckte verlassen kann, dass es zwar manchmal schmerzt, brennt oder verstört, der wird immer wieder mal zum Buch greifen.
Nur die Schwellenangst hält manchen fern.”Genau mit dieser Angst spielen wir in dieser Kampagne”, sagt Skipis. Deswegen nun die gelb-schwarzen Warnhinweise, die am heutigen 13. März zuerst in Leipzig auftauchen: Vorsicht Buch! – Und dann in ganz Deutschland.
Die Initiative der gesamten deutschen Buchbranche wird an drei Messetagen in der Glashalle am Stand 07 (gleich neben der ZDF-Bühne) thematisiert. Erleben kann man dort:
Donnerstag, 14. März: ab 13.15 Hellmuth Karasek, ab 14 Uhr Dora Heldt und Uli Potofski, ab 18 Uhr Katty Salié
Freitag, 15. März: ab 14 Uhr Jorge Gonzales, ab 15 Uhr Joachim Massanek
Samstag, 16. März: ab 12.30 Uhr Thomas Rath, ab 15.30 Uhr Arno Strobel und ab 16:30 Uhr Cordula Strathmann.
Alles prominente Leute, die Werbung machen fürs Bücherlesen. Und daneben stehen dann riesige Buchkulissen, in denen man sich fotografieren lassen kann – als Gefangener des Buches beispielsweise. In den sogenannten “social medias” wollen die Büchermacher auch so eine Art Mitmach-Aktion initiieren, bei der dann alle, die ihre Eitelkeit sonst nicht ausleben können, selbst wieder als Plakatier oder Filmemacher aktiv werden können.
Für den gewöhnlichen Ängstlichen, der ein Buch schon aus Selbstschutzgründen nie anfassen würde, werden die Warnhinweise genügen, die ab heute auf die gefährlichen Buchläden aufmerksam machen. Ordentlich in den Warnfarben Schwarz und Gelb: Vorsicht Buch!
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