Die Nachrichten scheinen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun zu haben. Einmal jubelt der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. am 24. April einmal wieder: "BVDW-Umfrage: Digitales Marketing unterstützt klassische Unternehmensziele". Doch am selben Tag meldet Facebook erstmals einen Gewinneinbruch. Auch der Umsatz ging zurück. Denn Facebook hat ein Qualitätsproblem.

Das liegt am Konzept. Und an der Art, wie die großen Player Internet heute denken. Da wird der Nutzer nicht als aktiver Teilnehmer betrachtet, sondern als Konsument. Und als “Visitor”, als Teil eines Zahlenpaketes, das man Werbekunden verkaufen kann. Das ist das Geschäftsmodell der “social medias”. In seinem Beitrag zu den neuen Facebook-Zahlen geht Bastian Brinkmann in der “Süddeutschen” kurz auf das Problem ein: “Der Termin für Facebooks Börsengang steht offiziell noch nicht fest, vermutlich findet er im Mai statt. So hat Facebook noch ein bisschen Zeit, den Anlegern positive Nachrichten zu präsentieren. Etwa im Bereich der Anzeigen, wo die Profite herkommen. In der Werbebranche haben Facebook-Anzeigen im Moment keinen guten Ruf: Sie sind kleinteilig an die Seite geklatscht, dubiose Firmen tauchen neben Qualitätsprodukten auf, Zielgruppen werden nicht optimal angesprochen: So tauchen etwa Anzeigen für Wettbewerbe, die sich an Schüler richten, auch bei deutlich älteren Usern auf.”

Er vermutet: “Mit einer innovativen Anzeigen-Idee könnte Facebook die Börse beglücken. Doch neue Werbeformate könnten die Nutzer empören – siehe Timeline. Veränderungen goutieren die User nicht, besonders wenn sie sich als Ware sehen, die Werbekunden angepriesen wird. Doch die Nutzer sind Facebooks wichtigstes Kapital.”

Und was hat das mit dem BVDW zu tun, der sich selbst auch noch anpreist mit “Wir sind das Netz”? – Hier sind all jene Agenturen versammelt, die in Deutschland die Ströme der Werbegelder dirigieren, die ins Internet fließen. 6,23 Milliarden Euro im letzten Jahr. Eine Menge Geld. Die werbenden Unternehmen wissen mittlerweile, dass ihre jüngere Zielkundschaft fast nur noch über das Internet zu erreichen ist.

Doch wie funktioniert Werbung im Internet? Was funktioniert? Und was wird Firmen empfohlen?

Mit seiner Meldung vom 24. April zeigte der BVDW einmal mehr, wo die Agenturen eigentlich stehen. Und welche Illusionen sie immer noch verbreiten und den Unternehmen als Wissen verkaufen.

“Deutsche Unternehmen fordern individuelle Werbekonzepte und erwarten hohe Umsetzungskompetenz im digitalen Marketing. Diesem Wunsch werden die Agenturen gerecht, indem Agenturen zu einem großen Teil auf eigens entwickelte Werbekonzepte im digitalen Bereich setzen. Das positive Echo der Kunden spricht dafür, digitales Marketing auch künftig in der Kommunikationsstrategie der Unternehmen zu verankern”, meint Anke Herbener (LBi Germany), Leiterin der Unit Digitales Marketing in der Fachgruppe Agenturen im BVDW.

Ein Satz für den Klabautermann. Hinter dem sich ein großer Glaube verbirgt: der Glaube daran, man könne im Internet maßgeschneiderte Werbung für jeden Kunden produzieren und Kunden zielgenau mit Werbung versorgen. Und der wäre dann glücklich und würde kaufen. Gleich. Sofort. Weil er genau das bekommt, was er schon immer wollte.

Zumindest das, was er schon mehrfach gesucht und besucht hat.

Das, was man so leichtfertig “soziale Netzwerke” nennt, ist genau darauf zugeschnitten: Sämtliche irgend hinterlassenen Datenspuren über den Nutzer werden ausgelesen und zusammengeführt. Ziel ist der “gläserne Nutzer”, dem man maßgeschneidert die Werbung versorgt, die auf seine Wünsche und Bedürfnisse nach den ausgelesenen Datenspuren passen.

Dass Giganten wie Facebook damit massiv gegen Datenschutzrechte verstoßen, hat in den letzten Monaten zu recht für Kritik gesorgt. Und nicht nur Facebook hat sich dieses Rezept zu eigen gemacht, auch die Agenturen, die sich in Deutschland zu Maklern für die Internet-Werbegelder entwickelt haben, singen das Lied.

Und nun belegt auch der BVDW mit Zahlen, dass klassische Werbeformate – also all das, woraus sich die Websites der großen deutschen Nachrichtenportale von “Süddeutsche” bis “Spiegel Online” eigentlich finanzieren – in der Arbeit der Agenturen kaum noch eine Rolle spielen. Es passiert nur noch unter “ferner liefen”.

“Individuelle Werbekonzepte für digitale Kommunikation” nennt der BVDW das, was dabei herauskommen soll. Und nennt es auch noch positiv: “Die BVDW-Umfrage zeigt als insgesamt positives Ergebnis für die gesamte Agenturlandschaft auf, dass weniger als 24 Prozent der Agenturen bestehende Werbekonzepte für klassische Medien übernehmen.”

Noch einmal zum Nachlesen: weniger als 24 Prozent.

Denn man ist ja im Internet. Da braucht es andere Rezepte. Predigen zumindest die smarten Werber von heute. “Zwar kombinieren noch über 70 Prozent der Agenturen häufig ihre digitalen Werbekonzepte mit klassischen Werbekonzepten, aber die deutliche Mehrheit der Agenturen (82 Prozent) entwickelt für ihre Kunden eigene, speziell auf die digitale Kommunikation ausgerichtete Werbekonzepte.”

Kreativ? – Nicht wirklich.Denn da tauchen sie dann alle auf, die Rezepte, die vor ungefähr zehn Jahren mal für den US-amerikanischen Werbemarkt erfunden wurden und die solche Giganten wie Facebook erst groß gemacht haben. Und siehe da: Während die eigentliche Kundschaft so langsam ihre Zweifel bekommt, ob das, was da in den “sozialen Netzwerken” eingeblendet wird, dem eigenen Image überhaupt gut tut, haben es sich die Online-Agenturen genau in dieser phantasielosen Art des Vermarktens gemütlich gemacht. Denn tatsächlich braucht, wer bei diesen “social medias” einbucht, nichts Kreatives mehr zu bewerkstelligen: Er gibt die Merkmale der Nutzer an, die ihn interessieren, kauft Einblendungen, fertig ist der Lack. Der Kunde bekommt die Rechnung, staunt über die gewaltige Zahl von Einblendungen, die er fürs Geld bekommt, fühlt sich irgendwie im digitalen Nebel beraten. Und wenn dann nichts passiert, hat er vielleicht nur eine Pechsträhne.

Die Zahlen des BVDW: “Dabei setzen die Agenturen am aktivsten digitale Maßnahmen im Bereich Social Media Marketing (89 Prozent) und Performance Marketing (77 Prozent) für ihre Kunden um.”

Die verwendeten englischen Begriffe helfen sehr schön dabei, das, was tatsächlich passiert, zu kaschieren. Hinter “Performance Marketing” steht keine Verbesserung des Außenauftritts einer Firma, sondern das, was man so landläufig “erfolgsbasierte Onlinemarketingmodelle” nennt. Jeder hat sie – meist weit unten auf diversen Websites – gesehen, all diese Kästen mit eingeblendeten Links auf diverse Verkaufsportale. Hier wird aber nicht nach Einblendungen bezahlt, sondern der Website-Betreiber bekommt nur Geld, wenn einer seiner Seitenbesucher tatsächlich auf einen dieser Links klickt (Pay per Click) oder nach dem Klick Kontakt zu dem verlinkten Unternehmen aufnimmt (Pay per Lead) oder gar irgendetwas kauft (Pay per Sale). In diese Gruppe gehört auch das so genannte “Suchmaschinen-Marketing” und das Affiliate-Marketing, das besonders kriminellen Websites in den letzten Jahren so schöne Umsätze beschert hat.

Wenn Kunden nicht wissen, wo ihre Werbung eingeblendet wird, ist dem Füttern krimineller Angebote Tür und Tor geöffnet.

Die Agenturen delegieren die Markt- und Kundenanalyse einfach an den großen Suchmaschinen-Betreiber oder diverse Verteiler-Agenturen, gehen einfach nach technischen Werten wie Reichweite. Wo die Anzeigen tatsächlich überall eingeblendet werden, wissen sie nicht. Und werden sie ihren Kunden auch nie verraten. Der wäre nur allzu verblüfft.

“Zu den weiteren Maßnahmen der Agenturen für Unternehmen zählen E-Commerce (74 Prozent), Mobile Marketing (73 Prozent) und E-Mail-Marketing (62 Prozent).” E-Commerce ist dabei wohl noch der reellste Vorgang. Mobile Marketing ist zumeist nichts anderes, als die anderen Werbeformen nun auch für Handy & Co. nutzbar zu machen, was auch den Verkauf von diversen digitalen Abos und Adds möglich macht. Abo-Fallen, die man dabei ganz zufällig beim Anklicken erwischt, mit eingeschlossen.

Vom E-Mail-Marketing braucht man da eigentlich gar nicht mehr zu reden. Das macht einen Großteil des Spam-Mülls aus, der nicht nur bei der L-IZ im Papierkorb landet. Und da haben wir noch Glück: “Für die Pressearbeit (26 Prozent), das Personalmarketing (24 Prozent) und die Marktforschung (22 Prozent) spielt digitales Marketing demnach noch eine eher geringe Rolle.”

Man will eigentlich die klassische Zielsetzung weiterhin erreichen, wie es der BVDW ausdrückt. “Laut der BVDW-Umfrage setzen Agenturen digitale Marketing-Maßnahmen häufig zur Neukundengewinnung (86 Prozent), Markenführung und Branding (79 Prozent) sowie Vertriebsunterstützung (77 Prozent) ein. Als weitere häufig angegebene Ziele folgen Kundenbindung/CRM (64 Prozent) und Kundenbetreuung/Support (50 Prozent).”

Wenn man aber zu Neukundengewinnung, Markenführung und Branding solche Mega-Netzwerke wie Facebook und Google bevorzugt, hat man die markentechnische Profilbildung des Unternehmens nicht mehr wirklich in der Hand. Man bestimmt nicht mehr wirklich, in welchem Umfeld man mit der Werbung auftaucht.

Man kauft nur noch große Zahlenpakete. Hauptsache, man bekommt möglichst viele Einblendungen fürs Geld. Egal wo.

www.bvdw.org

Der Beitrag auf “Süddeutsche”: www.sueddeutsche.de

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