So hat man SPD-Stadtrรคtin Ute Kรถhler-Siegel lange nicht am Rednerpult der Ratsversammlung erlebt: Als eine engagierte Lehrerin, die weiรŸ, wo es im sรคchsischen Bildungssystem klemmt, warum viele Kinder in diesem System keine Chance haben und wie einer Grundschullehrerin das Herz blutet, wenn ihre Klasse nach der vierten Klassenstufe auseinander gerissen wird. Und dabei ging es eigentlich nur um die weitere Nutzung des Schulgebรคudes in der Martin-Herrmann-StraรŸe 1 in Kleinzschocher. Und einen CDU-Antrag mit Bildungsvorstellungen aus dem Kaiserreich.

Selbst FDP-Stadtrat Sven Morlok sprach spรคter in seiner Rede die Unfรคhigkeit der sรคchsischen CDU an, sich modernen Bildungsvorstellungen zu รถffnen, die Eltern die Wahl geben und Kindern ein lรคngeres gemeinsames Lernen ermรถglichen.

Denn anders als der CDU-ร„nderungsantrag und die Rede von CDU-Stadtrat Karsten Albrecht behaupteten, gibt es keine belastbaren Studien, die belegen, dass bei lรคngerem gemeinsamen Lernen das Bildungsniveau sinkt. Aber mit genau diesem Argument und dem Verweis auf โ€“ nicht benannte โ€“ Studien versuchte die CDU-Fraktion, die mรถgliche kรผnftige Nutzung des Schulgebรคudes als zweite Gemeinschaftsschule in Leipzig zu verhindern.

Noch einmal Zeit schinden

Karsten Albrecht verwies auch noch auf die neue Schule am Dรถsner Weg, die Leipzigs erste Gemeinschaftsschule werden soll. Aber man mรถge doch bitte erst warten, wie diese Schule arbeite, erst dann kรถnne man sich ein Urteil bilden. Mit dieser Floskel wischte Albrecht einfach alle Erkenntnisse vom Tisch, die es weltweit mittlerweile zu den positiven Effekten des lรคngeren gemeinsamen Lernens gibt.

Und man sah Ute Kรถhler-Siegel richtig an, wie angefasst sie von den Zumutungen des CDU-Antrags war. Auch weil dieser Antrag einerseits zeigte, dass der CDU die Stimmung der Lehrerinnen und Lehrer im Land vรถllig egal sind. Sondern auch, weil schon die Formulierungen im Antrag ein Urteil รผber ihre eigene Arbeit fรคllten.

Denn als Grundschullehrerin weiรŸ sie, wie es sich mit heterogenen und inklusiven Klassen arbeitet. Grundschulen sind von vornherein Gemeinschaftsschulen, in denen die Kinder auch nicht nach sozialen Kriterien getrennt werden. Hier lernen die Kinder Gemeinschaft und Akzeptanz. Und damit die Voraussetzungen der Demokratie, wie die Grรผnen-Stadtrรคtin Marsha Richarz anmerkte.

Herr Karsten Albrecht (CDU) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer
Karsten Albrecht (CDU) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer

Aber die Winterferien im 4. Schuljahr werden fรผr viele Kinder dann zu einem Drama. Denn dann werden in Sachsens Grundschulen die Bildungsempfehlungen verteilt, werden gewachsene Klassenverbรคnde auseinandergerissen und viele Kinder โ€“ so sagt selbst Ute Kรถhler-Siegel โ€“ trauen sich nicht, zu Hause die Zettel mit den Bildungsempfehlungen vorzulegen.

Nicht nur, weil die Eltern enttรคuscht sein kรถnnten, sondern auch, weil sie erstmals im Leben erleben, wie Kinder in Leistungsgruppen auseinander sortiert werden โ€“ in schlechte, mittelmรครŸige und gute. Sie erleben, dass eine vรถllig unsichtbare Instanz darรผber entscheidet, welchen Bildungs- und Lebensweg sie nun zu gehen haben.

Und an Karsten Albrecht gewandt erklรคrte die SPD-Stadtrรคtin, dass sich Lehrerinnen und Lehrer ganz und gar nicht dadurch gestresst fรผhlen, dass sie inklusive Klassen unterrichten mรผssen. Im Gegenteil, sagte sie. Gestresst aber sei sie dadurch, dass die Klassen รผberfรผllt sind oder dass sie bis zu drei, vier Vertretungsstunden am Tag geben mรผsse, weil schlichtweg Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Etwas, was sรคchsische Bildungsminister/-innen seit Jahren nicht auf die Reihe bekommen.

Sie blieb nicht die einzige, die den engstirnigen Antrag der CDU-Fraktion auseinander nahm. Ganz รคhnlich sprachen auch die Grรผnen-Stadtrรคtin Marsha Richarz und die Linke-Stadtrรคtin Cornelia Falken, die auch betonte, dass sich die Linke eher wรผnsche, dass alle Schulen zu Gemeinschaftsschulen werden wรผrden. Weil nur dies wirklich Bildungschancen fรผr alle Kinder mit sich brรคchte.

Frau Marsha Richarz (Bรผndnis 90/Die Grรผnen) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer
Marsha Richarz (Bรผndnis 90/Die Grรผnen) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer

Einrichtung der Gemeinschaftsschule ab 2032 mรถglich

Aber das Abstimmungsergebnis zeigte dann, dass zwei Fraktionen an einem fรผr alle Kinder mรถglichst gerechten Bildungssystem kein Interesse haben. Wieder einmal stimmten CDU- und AfD-Fraktion gemeinsam fรผr den Verhinderungsantrag der CDU, der dann trotzdem mit 20 : 32 Stimmen abgelehnt wurde. Der Passus zur mรถglichen Gemeinschaftsschule wurde also nicht gestrichen.

Der steckt in dem Abschnitt der Vorlage aus dem Amt fรผr Schule, der ab 2032 die Mรถglichkeit einrรคumt, dass in der Martin-Herrmann-StraรŸe eine zweite Leipziger Gemeinschaftsschule eingerichtet werden kann. Mal ganz zu schweigen davon, dass die sieben Jahre bis dahin eine Menge Zeit sind zu beobachten, wie gut die Gemeinschaftsschule am Dรถsner Weg funktioniert. Ute Kรถhler-Siegel hat vollkommen recht: Alle von der CDU vorgebrachten Argumente waren vorgeschoben und dienten nur dazu, eine weitere Gemeinschaftsschule von vornherein zu verhindern.

Zuerst geht es in der Martin-Herrmann-StraรŸe um die Sicherung als Oberschule, wie das Amt fรผr Schule schreibt: โ€žDie Stadt Leipzig richtet eine dreizรผgige Oberschule im Schuljahr 2027/28 am Standort Martin-Herrmann-StraรŸe 1 in 04249 Leipzig ein, um den Bedarf an Oberschulplรคtzen im Stadtgebiet zu decken. Die Schule wird zum Schuljahr 2025/26 als AuรŸenstelle der 56. Schule โ€“ Oberschule der Stadt Leipzig am Schulstandort gefรผhrt und zum Schuljahr 2027/28 eigenstรคndig.

Da voraussichtlich ab dem Schuljahr 2032/33 die Kapazitรคten der Bestandsoberschulen die Bedarfe im Oberschulbereich decken, nimmt die Oberschule Martin-Herrmann-StraรŸe keine Klassenstufe 5 mehr auf. Jedoch erhรคlt die Schule die Mรถglichkeit, sich ab dem Schuljahr 2032/33 mit Fertigstellung des Stammgebรคudes zur Gemeinschaftsschule im Rahmen der rechtlichen Bedingungen zu wandeln. Sollte dies nicht geschehen, lรคuft die befristete Oberschule aus und es wird an dem Standort eine neue Gemeinschaftsschule gegrรผndet.โ€œ

Und als ob die Diskussion wirklich nur eine Schaufensterdiskussion war, stimmte die Ratsversammlung am Ende einstimmig fรผr die Vorlage der Stadt.

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