Haben sich die Anforderungen an Lehrer/-innen in den vergangenen Jahren verรคndert? Warum ist gerade diese Berufsgruppe besonders hรคufig von Burnout betroffen? Was muss sich in der Lehrkrรคfteausbildung รคndern, um diesem Trend entgegenzuwirken? Dazu รคuรert sich Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Latzko von der Universitรคt Leipzig anlรคsslich des Welttages der Lehrerin und des Lehrers am 5. Oktober im Interview.
Frau Prof. Latzko, welche Anforderungen sollte eine Lehrerin, ein Lehrer heutzutage erfรผllen, was ist anders als noch vor zehn Jahren?
Grundsรคtzlich ist der Kern der Anforderungen an Lehrkrรคfte gleich geblieben: Sie sind Expert/-innen fรผr Lehr-Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern und Jugendlichen, befรถrdern deren Wissensaufbau und deren Fรคhigkeiten zum selbstregulierten Lernen. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren durchaus auch inhaltliche Anforderungen verรคndert. Aufgrund von neuen gesellschaftlichen Herausforderungen sind neue Lehr-Lerninhalte hinzugekommen.
Die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft ist ein gutes Beispiel dafรผr, dass sich Anforderungen an Lehrkrรคfte in zweierlei Hinsicht geรคndert haben: Zum einen wird von Ihnen gefordert, digitale Kompetenzen bei ihren Schรผler/-innen aufzubauen und zum reflexiven Umgang mit digitalen Medien anzuregen.
Zum anderen beziehen sich die Anforderungen auch auf die Kompetenzen angehender und bereits etablierter Lehrkrรคfte. Das heiรt, die Ausbildung digitaler Lehr-Lernkompetenzen wird sowohl Bestandteil des schulischen, als auch des universitรคren Curriculums fรผr die Lehrerbildung. Von Lehrpersonen im Schuldienst wird erwartet, digitalisierungsbezogene Kompetenzen in Weiterbildungen zu erwerben.
Lehrkrรคfte unterrichten verstรคrkt auch Schรผler/-innen, die Deutsch als Unterrichtssprache nicht beherrschen. Auch scheinen Lehrer/-innen aller Schularten verstรคrkt mit sozial-emotionalen Herausforderungen wie mangelnder Impulskontrolle oder geringer Konfliktlรถsefรคhigkeit von Schรผler/-innen konfrontiert zu sein, mit denen sie umgehen mรผssen.
Sie machen Schรผler/-innen fit fรผr die Gesellschaft. Deshalb ergeben sich die spezifischen Anforderungen aus der sich รคndernden Gesellschaft. In einer sehr heterogenen Gesellschaft liegt die Kernanforderung fรผr Lehrende darin, heterogene Lerngruppen zu unterrichten.

Geben Eltern Ihrer Ansicht nach zu viel Verantwortung in Sachen Erziehung an die Lehrkrรคfte ab?
Ja, sicher geben viele Eltern zu viel Verantwortung ab und stellen hohe Erwartungen an Lehrkrรคfte โ zumindest in deren Wahrnehmung. Allerdings findet sich auch das andere Extrem, dass Lehrkrรคfte sich wรผnschen, Eltern wรผrden sich etwas zurรผcknehmen und die Lehr-Lern- und Erziehungsexpertise im Schulkontext den Lehrkrรคften รผberlassen.
Bei uns hat die Schule als Institution einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dabei muss klar sein, dass Eltern die Personensorgeberechtigten sind. Gleichwohl verbringen die Kinder und Jugendlichen viel Lebenszeit in der Schule. Die Schulgemeinschaft ist neben der Familie eine weitere Lebensgemeinschaft, in der Kinder und Jugendliche soziales Leben teilen. Insofern kommt der Schule hier auch eine explizite Erziehungsverantwortung zu.
Aus empirischen Befunden wissen wir, dass sich nicht alle Lehrkrรคfte in gleicher Weise fรผr Erziehung verantwortlich fรผhlen. Sie vertreten durchaus die Position, dass Erziehung in den Verantwortungsbereich der Eltern gehรถre und Wissensvermittlung in den Verantwortungsbereich der Lehrkrรคfte. Wenn Sie Lehrkrรคfte und Eltern befragen, werden Ihnen die eingangs gezeichneten unterschiedlichen Positionen begegnen.
Dieser Diskurs ist meiner Ansicht nach nicht hilfreich. Vielmehr sollten wir versuchen, eine Erziehungspartnerschaft mit Lehrern, Eltern und Kindern zu etablieren. Die Idee, dass Eltern Verantwortung abgeben, kann darauf zurรผckzufรผhren sein, dass unterschiedliche Auffassungen von Erziehung vorherrschen.
Ein konkretes Beispiel: Die Schule stellt die Regeln auf, dass alle Erwachsenen gegrรผรt werden mรผssen. Die Eltern sagen dagegen, dass fremde Menschen nicht gegrรผรt werden. Hier gibt es kein Richtig oder Falsch, weil beide Regeln im jeweiligen Kontext sinnvoll sein kรถnnen, aber letztlich das Kind in ein Spannungsfeld bringt.
Lehrer/-innen sind โ wie man oft liest โ รผberdurchschnittlich stark von Burnout betroffen. Wo liegen hierfรผr die Ursachen? Was mรผsste sich รคndern, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Untersuchungen zur Gesundheit von Lehrkrรคften weisen schon seit lรคngerem auf die hohe psychische Belastung im Lehrerberuf hin. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die langfristige Ausรผbung des Lehrerberufs bei vielen Lehrkrรคften zu erheblichen gesundheitlichen und leistungsbezogenen Beeintrรคchtigungen fรผhrt. Dies wirkt sich negativ auf die Schรผler/-innen und letztlich auch auf die gesamte Gesellschaft aus.
Die Forschung zur Wirksamkeit unterschiedlicher Prรคventions- und Interventionsansรคtze ist hier sehr weit und es gibt eine Vielzahl von guten Ansรคtzen, die teilweise auch direkt von den Krankenkassen finanziert werden. Noch wichtiger aber ist festzuhalten, dass auch strukturell einiges im Argen liegt. Die Anforderungen an Lehrkrรคfte, gemessen an der Vielzahl der Aufgaben und der dafรผr notwendigen Flexibilitรคt, steigen.
Lehrkrรคfte mรผssen im Berufsleben neue Kompetenzen erwerben, wie ich zuvor bereits gesagt habe. Sie mรผssen komplexere Aufgaben in der Selbstverwaltung der Schulen รผbernehmen, bekommen dafรผr hรคufig nur wenig Abminderungsstunden. Klassengrรถรen von teilweise รผber 28 Kindern, die binnendifferenziert und inklusiv unterrichtet werden sollen, sind herausfordernd. Es herrscht Lehrpersonenmangel.
Die Ursachen liegen sowohl in der Person als auch im System. Es gibt Lehrkrรคfte, die eine hohe Belastung empfinden. Entweder man prรผft, welche Personen fรผr den Lehrerberuf geeignet sind oder aber man versucht, รผber eine Eingangsdiagnostik Risikogruppen herauszufiltern, die dann wรคhrend des Studiums entsprechende Kompetenzen ausbauen oder aber auch die Kompetenz entwickeln, mit diesen Eigenschaften konstruktiv umgehen zu kรถnnen. Bereits im Lehramtsstudium mรผssen die kommenden Belastungen reflektiert, รผber mรถgliche individuelle Bewรคltigungsstrategien gesprochen und diese auch erprobt werden.
Welche รnderungen hat es in den vergangenen Jahren in der Lehrerausbildung an der Universitรคt Leipzig gegeben, um den verรคnderten Anforderungen an die Lehrerschaft gerechter werden zu kรถnnen?
Die Universitรคt Leipzig hat sich in vielerlei Hinsicht den verรคnderten Anforderungen gestellt: Das Curriculum wurde weiterentwickelt, Inhalte der Lehrerbildung angepasst, Kooperationen zwischen Universitรคt und Schulen aufgebaut, insbesondere bezogen auf den Aufbau digitaler Kompetenzen beziehungsweise dem Umgang mit digitalen Medien, entsprechende Module wurden verankert.
Wie schรคtzen Sie die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrer/-innenberufes in Deutschland und im Vergleich dazu im Ausland ein?
Schlecht! Ansehen und Respekt liegen im Vergleich zu den Niederlanden, Finnland, Groรbritannien oder Frankreich unten. Das heiรt: Dem Lehrerberuf gegenรผber wird bei uns weniger Anerkennung und Respekt gezollt. Im aktuellen โEducation and Training Monitorโ der Europรคischen Kommission zeigte sich, dass eine deutliche Mehrheit, 76 Prozent, der Ansicht ist, dass der Lehrerberuf in ihrer Region oder ihrem Land nicht respektiert und geschรคtzt wird. Noch mehr Befragte, nรคmlich 82 Prozent, sind der Meinung, dass die Arbeit der Lehrer/-innen nicht ausreichend gewรผrdigt wird.
Das Bild der รffentlichkeit beeinflusst die Arbeitsbedingungen der Lehrpersonen, die Bezahlung und die Nachwuchsgewinnung von Lehrkrรคften. In den meisten EU-Lรคndern ist es jedoch schwierig, junge Lehrkrรคfte zu gewinnen und erfahrene Lehrkrรคfte im Beruf zu halten, sodass die Attraktivitรคt des Lehrerberufs gesteigert werden muss.
Das รถffentliche Bild geht wahrscheinlich mit einer eher grundsรคtzlichen Unzufriedenheit mit dem System Schule einher. Auf individueller Ebene wird immer wieder versucht, Anerkennung durch mehr Gehalt, Verbeamtung oder รคhnliches zu erhรถhen. Wenn dies aber nicht mit einer Verbesserung von Arbeitsbedingungen einhergeht, dann verpufft der Effekt.
Oder anders gesagt: Wenn ich erschรถpft bin, dann nรผtzt mir auch mehr Geld in der Tasche wenig. Dennoch mรถchte ich auch dafรผr sensibilisieren, dass sich wahrscheinliche jede/-r an eine Lehrperson im Laufe ihres Schullebens erinnert, die sie beeindruckt hat. Nach wie vor nehmen Lehrkrรคfte eine zentrale Position und Rolle im Leben von Schรผler/-innen ein. Manchmal frage ich mich, ob sich Lehrkrรคfte darรผber im Klaren sind.
Die Fragen stellte Susann Sika von der Medienredaktion der Universitรคt Leipzig.
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