Der Streit um den Gender-Stern und ähnliche Schreibformen einer geschlechtersensiblen Sprache nimmt langsam geradezu satirische Züge an. Wie in der LVZ vom 1. August zu lesen war, hat der Kultusminister gesagt: „Nachdem der Rat für deutsche Rechtschreibung beschlossen hat, dass Sonderzeichen im Wortinneren kein Teil der Orthografie sind, müssen Gender-Sternchen, Gender-Doppelpunkt oder das Binnen-I künftig als Fehler angekreidet werden.“

Eigentlich hatte Christian Piwarz große Pläne für das sächsische Schulsystem, mit „Bildungsland Sachsen 2030“, einer finalen Strategie, wollte er sächsischen Schulen so weiterentwickeln, dass diese ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag unter Nutzung ihrer schulischen Eigenverantwortung bestmöglich mit Leben füllen können. Dazu wurden 16 strategischen Ziele und 64 Maßnahmen bis 2030 entwickelt.

Die Maßnahme Nummer 65, also die Verhinderung des Genderns, ist in dem Papier nicht enthalten. Bevor die 64 Maßnahmen durchgesetzt werden können, zeigt sich Kultusminister Christian Piwarz erfreut darüber, dass das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung keine Gender-Sonderzeichen enthält: „Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt und begrüßen die offizielle Bestätigung des Amtlichen Regelwerkes.“

Wobei diese ja nur feststellt: „Gender-Sonderzeichen gehören weiterhin nicht zum Kernbestand der Orthografie.“ Und: „Sie seien derzeit nicht wissenschaftlich eindeutig zu begründen.“ Letzteres ist kein Wunder, das passiert, wenn Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler an der Diskussion bisher kaum beteiligt wurden.

Das oben genannte Regelwerk, herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung, der zentralen Instanz in Fragen der Rechtschreibung oder dem Herausgeber des Regelwerks als „Urmeter“ der neuen deutschen Rechtschreibung (Selbstbeschreibung), „beobachtet den Schreibgebrauch der deutschen Rechtschreibung, die wie alle Bereiche der Sprache einer steten Entwicklung unterworfen ist.“

Das bedeutet wohl, dass Gender-Schreibweisen erst Eingang in das Regelwerk finden, wenn sie im allgemeinen Schreibgebrauch eine kritische Masse erreichen. Das werden diese wahrscheinlich nicht, wenn politisch aktiv gegen sie angekämpft wird.

Aber genug davon, ich gendere nur in der Form, dass ich Leserinnen und Leser verwende. Allerdings ist das Gendern beim Erwerb der Lese-, Schreib- und Sprachfähigkeit in den Schulen wohl das geringste Problem.

Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung 2021 (IGLU), eine Schulleistungsstudie, mit der die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern der 4. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich untersucht wird, stellte für den Untersuchungszeitraum 2021 – 2023 fest, dass: „Ein Viertel der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland erreicht nicht den international festgelegten Standard für eine Lesekompetenz, die für einen erfolgreichen Übergang vom Lesen lernen zum Lesen um zu lernen notwendig ist.“

Bei der letzten Iglu-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent. Das mag viele Gründe haben, aber das Gendern ist eher keiner davon.

In der „finalen Strategie“ des Kultusministeriums gibt es dazu als Maßnahme 5.1 „Förderung von Deutsch als Bildungssprache und Mehrsprachigkeit“ zu lesen: „Es wird ein verbindliches Schulungsformat entwickelt, welches dafür sensibilisiert, dass sprachliche Hürden fachliches Verstehen behindern. Ziel ist es, die Bereitschaft und die Handlungsfähigkeit aller Lehrkräfte zur Umsetzung sprachfördernden Unterrichts zu erhöhen.“

Da bleibt einem doch glatt der Atem stehen: Sächsische Lehrerinnen und Lehrer wissen laut Kultusministerium nicht, dass „sprachliche Hürden fachliches Verstehen behindern“? Das lassen wir mal unkommentiert im Raum stehen.

Fazit: Was sehen wir? Einen Kultusminister, der sich auf einem Nebenschauplatz namens Gendern abkämpft. Der sich, aus wahrscheinlich ideologischen Gründen, freut, wenn diese Schreibweisen nicht in das Amtliche Regelwerk aufgenommen werden, und der Schülerinnen und Schüler abstrafen will, wenn sie diese Formen bei ansonsten korrektem Sprachgebrauch verwenden. Ich meine: Wir haben andere, dringendere Probleme im Bildungssystem.

Übrigens: Es ist interessant, in die aktuelle Version des Amtlichen Regelwerks zu schauen. Dort finden Sie ein Wörterverzeichnis, testen Sie selbst, ob Sie das verstehen.

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