Fragt man Schulkinder, oder auch deren Eltern, dann ist der Mathematikunterricht oft ein Angst- oder sogar Hassfach an den Schulen. In sozialen Netzwerken kursieren Memes und Videos mit dem Inhalt „Wieder ein Tag, an dem ich die binomischen Formeln nicht gebraucht habe!“ oder ähnliches. Das Staatsministerium für Kultus betont die Notwendigkeit der besonderen Förderung sächsischer Schulen im MINT-Bereich und stellt fest: „Laut IHK sucht allein der Wirtschaftsraum Dresden bereits jetzt jährlich bis zu 2.000 Ingenieurinnen und Ingenieure.“ Was wären das für Ingenieure ohne Mathematik?

Die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger möchte Deutschland mithilfe eines Aktionsplans an die Spitze der KI-Forschung bringen. Auch da ist Mathematik dringend vonnöten.

Auf der anderen Seite kritisierten Hochschullehrer den Wissensstand im Bereich Mathematik von Studienanfängern, wie Prof. Renesse und Prof. Schöneburg-Lehnert im Januar 2024. Lassen sich da Rückschlüsse auf den Mathematikunterricht, von der Grundschule an, ziehen?

Wir haben Professor Dr. Matthias Schwarz vom Mathematischen Institut der Universität Leipzig um ein Gespräch zu diesem Thema gebeten. Prof. Schwarz lehrt an der Universität Leipzig im Berufungsgebiet „Mathematik in den Naturwissenschaften“, wir haben uns bei der Veranstaltung „RECHT HABEN WOLLEN. Wie sollen gesellschaftlich brisante Themen in der Wissenschaft debattiert werden?“, bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften kennengelernt.

Herr Professor Schwarz, danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ist der Wissensstand von Studienanfängern, nicht nur derer, die Mathematik studieren, sondern wahrscheinlich auch generell in MINT-Fächern, wirklich so schlecht?

Ich hab mir, ehrlich gesagt, die Studie jetzt nicht nochmal angeguckt, man merkt natürlich in den Vorlesungen, wie der Wissensstand grosso modo ist. Er wird nicht besser, er wird schlechter, aber das Positive, gerade bei Mathematik, ist, es gibt doch immer noch eine verlässliche Zahl von Leuten, die ganz klar eine mathematische Begabung haben und die man auch immer wieder in den Vorlesungen sieht. Ganz so schimpfen, dass durch die Bank weg der Wissensstand schlecht ist, das würde ich nicht.

Nur diese verlässliche Zahl von Leuten, die offensichtlich ein Faible, oder eine Begabung für Mathematik haben, die wird natürlich auch nicht größer. Aber wir machen nicht nur die Vorlesung für diese, sondern wir machen, ganz wichtig, die Vorlesung auch für die künftigen Lehrer, das nehmen wir ja wirklich ernst. Das ist eine Feedbackschleife, da,s was wir produzieren, das soll ja auch den Wissensstand der zukünftigen Schüler entsprechend verbessern. Und dann merken wir natürlich schon die Defizite.

Einige kurze Fragen zu Ihnen und zur Mathematik: Wenn Sie an Ihre Schulzeit denken, würden Sie sich als mathematisch besonders begabt bezeichnen? Oder hatten Sie nur gute Lehrer?

Ich hatte definitiv nicht nur gute Lehrer, also, wenn ich so an meine Schulzeit zurückdenke, ich hatte sehr unterschiedliche Lehrer und gegen Ende der Schulzeit war für mich auch überhaupt nicht klar, dass ich Mathematik studieren wollte. Ich wollte eigentlich erst Maschinenbau machen, dann driftete es langsam zur Physik und erst in der Universität bin ich von Physik zur Mathematik gekommen.

Ja, aber ich hatte natürlich gegen Ende der Zeit eine sehr gute Lehrerin, die bei mir sehr gute Grundlagen gelegt hat. Insofern wäre jetzt die Antwort, es ist wichtig, dass die Lehrer irgendwie diese Freude an Mathematik wecken. In der Hinsicht würde ich mich auch nicht als den typischen Mathematiker bezeichnen. Ich bin jetzt nicht der Typ, der schon sehr früh Mathe-Olympiaden gemacht hat und so weiter.

Haben Sie den Mathematikunterricht in der Schule geliebt?

Ich bin damit sehr gut klargekommen. Also mit Sicherheit ist irgendeine Form von Neigung zu mathematischem Denken da.

Mathematik, muss man viel auswendig lernen oder muss man mehr verstehen?

Unbedingt verstehen.

Brauchen wir von der Grundschule bis zum Abitur mehr verfestigte Elementarmathematik oder eine große Breite an speziellem Wissen in der höheren Mathematik?

Wir brauchen definitiv elementare Fähigkeiten, also das Rechnen-Können, das ist das, was man in der Schule lernen muss. Möchte man später weiter Mathematik machen, wird man da gar nicht mehr die Gelegenheit haben, das eigentliche Rechnen zu lernen. Das muss beigebracht werden. Aber es muss auch im Mathematikunterricht analytisches Denken bereits mit unterrichtet werden.

Letzte Frage: Wie lautet Regel für die Division von natürlichen Brüchen?

Das Dividieren von Brüchen? Ja, indem man mit dem zweiten Bruch, durch den man teilt, erst mal den Umkehrbruch nimmt und dann multipliziert.

Ich wollte Sie nicht examinieren, aber genau diese Frage stellte unser Mathematikdozent 1976 im ersten Seminar. Von 30 Studenten wussten es drei angehende Ingenieure, das Problem ist also nicht neu. Zurück zu den heutigen Studienanfängern, es gibt also immer einen Teil, der durch Begabung oder Neigung in seiner Schulzeit das durchgezogen hat. Es gibt wahrscheinlich einen Teil, der fleißig gelernt hat, was vielleicht im Abitur zur Note 1 gereicht hat, aber im Studium nicht mehr mitkommt?

Ja, es gibt bei einem sehr großen Teil von Leuten immer diesen ganz typischen Schock, wenn sie den Unterschied zwischen der Schulmathematik und der Mathematik, wo man weiterdenkt, wahrnehmen. Also der Schritt zur eigentlichen forschungsorientierten Mathematik, das hat etwas mit der Abstraktionsfähigkeit zu tun. Hat man nur Standardregeln gelernt, oder ist man in der Lage in diesem Denkvermögen weiterzugehen, weil man das abstrakte Denken und das sich immer wieder mit Neuem auseinandersetzen zu müssen, gelernt hat? Und da scheiden sich die Geister.

Oder ein ganz wichtiger Punkt, das merken wir auch immer wieder: Wenn Sie ein mathematisches Problem lösen wollen, gibt es mit Sicherheit nicht immer nur einen Weg. Viele Wege führen nach Rom. Und da können Sie genau erkennen, wer mathematisch richtig denkt, wer in dieser Lage ist seinen eigenen Weg zu finden und auch mal einen anderen Weg als den vom Lehrer intendierten.

Und es gibt die Leute, die denken, es kann nur diesen einen Weg geben und alles andere wäre falsch. Ich habe diese Formel gelernt und so muss ich rechnen. Wenn ich anders rechne, selbst wenn alles logisch korrekt ist, wird das nicht akzeptiert. Das ist natürlich nicht das, was wir vermitteln wollen.

Ist das ein Problem, welches vielleicht schon aus der Schule herkommt? Weil der Lehrer einen bestimmten Lösungsweg sehen will, und zwar exakt.

Solche Lehrer wollen wir nicht ausbilden. Wir wollen natürlich die Lehrer ausbilden, die in der Lage sind, das Wesen der Mathematik auch zu vermitteln. Also wenn du einen originellen Weg findest, der vielleicht sogar effizienter ist, dann ist das fantastisch. Dann hast du noch viel mehr begriffen, als wenn du den Standardweg aus dem Lehrbuch nimmst.

Was sollte die Schule erreichen, um Schülerinnen und Schüler zu befähigen? Ist es nur analytisches Denken?

Es eine Form von Alphabetisierung, als Analogie, rechnen zu können. Standardverfahren zu kennen, das ist nötig, wenn man Mathematik in vielen anderen Gebieten anwenden möchte und anwenden muss. Oder wenn man sich etwas von einem Computer oder Rechner ausrechnen lässt und trotzdem in der Lage sein muss, die Plausibilität zu überprüfen, das ist ganz wichtig.

Aber wir wollen natürlich auch mehr. Man soll ja auch kreativ sein. Man muss auch in der Lage sein, neue Probleme zu lösen, die nicht schon vorprogrammiert sind. Dafür brauchen wir natürlich diese Fähigkeiten, sich seinen eigenen Weg zu suchen, und das muss Mathematikunterricht auch vermitteln. Vielleicht nicht für alle auf dem gleichen Niveau, aber dieses Angebot muss da sein. Die Grundlage dafür auch.

Sie sprachen gerade die Prüfung der Plausibilität an, da kommen wir zur KI. Welche Herausforderungen sehen Sie für einen Mathematiker, wenn KI generierte mathematische Modelle erstellt werden? Er muss ja dieses Modell nachvollziehen können, um feststellen zu können, ist es plausibel oder nicht.

Ich muss gestehen, ich habe für meine mathematische Arbeit noch nie KI eingesetzt. Aus einem ganz bestimmten Grund. Das Letzte, was ich riskieren möchte, dass meine eigenen persönlichen Ideen, solange sie noch nicht publiziert sind, irgendwie durch eine solche Software aus meinem Kontrollbereich heraus diffundieren. Das wäre mein Albtraum. Aber darüber nachgedacht habe ich natürlich schon viel und auch mich mit Kollegen unterhalten.

Und ich glaube, was sie ansprechen, hat drei verschiedene Ebenen. Die banalste Ebene, so wie ChatGPT Texte schreibt, das ist ja so eine Form von phänomenologischer Simulation. Da wird irgendetwas aufgrund von statistischen Häufigkeiten zusammengereimt, ob das jetzt Sinn ergibt oder nicht. Das hängt ein bisschen von dem Gebiet ab. Und da würde ich erwarten, dass, wenn mir eine solche Form von KI einen mathematischen Text, eine Formel oder ein Modell produziert, ich mit jeder Menge logischem Unsinn rechnen müsste.

Weil die zweite Ebene fehlt, dass das Ganze aufgrund dieser sehr stringenten Logik, auf der Mathematik fußt, auch überprüfbar sein muss, korrekt sein muss.

Das gibt es ja auch. Es gibt ja diese Beweisverifikationssoftware, die immer besser wird. Also gehen wir mal davon aus, wir reden von KI, die auf der einen Seite irgendetwas produziert und dann gibt es die zweite Software, vielleicht schon damit gekoppelt, die dann prüft, ob es überhaupt einen logischen Sinn ergibt. Ist das korrekt?

Dann würde ich aber immer noch erwarten, dass das, was herauskommt, vielleicht logisch korrekt ist und irgendeinen Sinn ergibt, aber ob es interessant ist oder etwas beschreibt, was ein echtes, wichtiges Problem löst oder partiell entschlüsselt, das ist noch mal eine ganz andere Sache.

Das ist meine letzte Hoffnung für mich als Mensch, dass zu dieser Form von kreativer Modellbildung KI hoffentlich noch nicht fähig ist. Es gibt ja zum Glück den Unvollständigkeitssatz von Gödel, der sagt, es können sich haufenweise unendlich viele mathematisch sinnvolle Aussagen formulieren lassen, für die ein Beweis nicht möglich ist.

Die können richtig sein, sie können falsch sein, man kann es nicht überprüfen. Die Unvollständigkeitsthese. Und das wäre jetzt natürlich meine Erwartung, dass, wenn sie zufallsgesteuert oder wie auch immer, algorithmisch KI etwas formulieren lassen, was den Logiktest besteht, also keinen offensichtlichen Unsinn liefert, dass es aber immer noch in mathematischer Hinsicht auf dieser Ebene ist, wo man sagt, das ist vielleicht nutzlos.

Sie sagten es vorhin schon, KI macht Statistik, sie setzt vorhandenes Wissen anders zusammen. Deshalb ist für mich die Frage: Welche Rolle spielt am Ende der Mensch, z.B. Sie als Mathematiker, am Ende muss ja jemand stehen, der sagt: okay, das ist plausibel?

Ich fürchte, dass letztendlich vieles davon KI-gestützt durchaus möglich sein wird. Denn das, was wir machen in der Mathematik, in der mathematischen Forschung, das folgt ja auch immer gewissen Regeln, Spielregeln.

Das haben ja diese Beispiele von KI bei Go oder Schach gezeigt, da kommt ein Mensch nicht mehr mit, einfach weil es sich hier um Systeme handelt, die auf relativ klaren, oft wenigen Spielregeln beruhen, die leicht zu programmieren sind und nur die enorme Fülle an möglichen Wegen, die ein Spiel nehmen kann, machen es für einen Menschen schwer. Da ist natürlich der Computer den Menschen haushoch überlegen, wenn es um die Quantität geht.

Was KI jetzt an der Stelle macht, ist natürlich am laufenden Band gegen sich selbst zu spielen und sich dadurch zu verbessern. Das heißt, wenn die es mit einem Problem zu tun hat, wo die Zahl der Züge, die man macht, im Wesentlichen klar ist, es nur um die Frage der Zeit geht, hat man die Zeit und die Möglichkeiten wirklich alles durchzuspielen.

Da fürchte ich, wird uns der Computer irgendwann wirklich überlegen sein. Die Frage ist dann nur noch, ist es möglich, solche Probleme und Modelle vom Code her runterzubrechen auf das, was ein Computer braucht, um programmiert zu werden.

Ich formuliere die Frage anders. Es gibt ja mathematische Probleme, die nicht gelöst sind.

Genau, die Riemannsche Vermutung zum Beispiel.

Genau. Jetzt müsste man ja sagen, wenn man einer KI den Auftrag gibt, das zu lösen und es ohne Kreativität lösbar ist, sondern rein statistisch, dann müsste die KI sie lösen können, mit den vorhandenen mathematischen Mitteln.

Was wir mit Mathematik meinen, ist ja ein gigantisches Gebäude. Wir bauen ständig auf das auf, was es schon gibt, und dabei wird immer weiter abstrahiert, das heißt: Wir verlassen nach und nach immer mehr die elementaren Formulierungen, wir benutzen schon Theoreme, die dann als gesichert gelten und so weiter. Auf der Ebene ist das eigentlich nur eine Frage der Quantität und der Zeit.

Das zu verwenden, was da ist, was gesichert ist, das jetzt noch immer wieder neu zu kombinieren, neue Wege mit dem Vorhandenen zu testen, das ist ja mehr oder weniger schematisch, mechanisch, das wird ein Computer mit Sicherheit auch irgendwann können. Das ist eine Programmierfrage.

Aber das ist natürlich noch ganz weit weg von dem, was ich vorhin sagte, mit dem Gödelschen Unvollständigkeitstheorem. Komplett neue Sätze, die logisch korrekt sind, hinzuschreiben, die mit dem, was ein anderer Mathematiker früher schon mal bewiesen hat, vielleicht überhaupt nichts zu tun haben. Da gibt es natürlich jetzt erst mal unendlich viele Möglichkeiten, und in der Richtung, das ist ja das, was ich auch mit kreativ meine, neue Wege zu suchen, die mit Blick auf das zu lösende Problem weiterbringen.

Die KI könnte eine Lösung bringen für Probleme, die ich gar nicht hatte, um das banal auszudrücken?

Andererseits, wenn Sie analysieren, wie ein Mathematiker arbeitet, sehr viel basiert auf Ratio, auf bestimmten Beweistechniken, Schemata und so weiter. Da muss ich pessimistisch sein und denke, all das wird natürlich nach und nach auch auf Computerebene reproduzierbar sein. Wenn es um Spieltechniken geht, neue Spielzüge auf der Basis von vorhandenen Techniken zu kombinieren, das wird ein Computer auch können. Die entscheidende Frage ist wirklich, wie viel Kreativität ist nötig und was ist Kreativität?

Also ist die Frage, ob Machine Learning zu Kreativität führt?

Ja, und wenn man sich anguckt, was da als kreativ momentan verkauft wird, das ist schon langweilig, oder?

Ich hatte das im Gespräch mit Pfarrer Dohrn schon, dass KI umso besser ist, je besser sich etwas formalisieren lassen kann. Die Frage ist doch, wollen wir beispielsweise ein Auto von KI konstruieren und bauen lassen, oder sollen sich das Ingenieure vor der ersten Fahrt nochmal anschauen?

Jetzt stellen Sie ja die Frage, inwieweit möchte man das, was einem von einer solchen Maschine vorgesetzt wird, verstehen oder ist man bereit es hinzunehmen? Also das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt.

Wenn wir es nicht verstehen und einfach hinnehmen, was passiert dann?

Dann ist natürlich die Frage, was ist Verstehen?

Das ist schon wieder eine philosophische Frage.

Ich meine, das ist ja das, was unweigerlich mit all dem passieren wird. Je mehr wir davon akzeptieren und übernehmen, umso mehr werden bestimmte Fähigkeiten, die wir normalerweise noch erwerben und haben, ein Stück weit verkümmern. Das ist wie mit dem Navi. Wer kann sich denn jetzt noch schon anhand einer Karte selber orientieren?

Manche können das noch, aber viele können es nicht mehr. Vor allem die, die es nicht gelernt haben. Das hat auch mit Orientierungsfähigkeit im Raum zu tun, das wissen wir ja auch. Manche Leute haben eine etwas stärkere Begabung, andere weniger. Aber man muss es eben auch einüben.

Um wieder zur Mathematik zurückzukommen. Ich habe mein Studium noch mit Rechenstab gemacht. Ich kann nicht erwarten, dass heute jemand noch den Rechenstab beherrscht.

Genau, aber da kommen wir wieder zur Plausibilitätsüberprüfung zurück.

Ja, beim Rechenstab war diese die Überschlagsrechnung. Grundlage dafür ist die Elementarmathematik, man muss zum Beispiel wissen: Welches Ergebnis kann bei der Multiplikation von zwei zweistelligen Zahlen maximal herauskommen.

Das ist das Orientierungsvermögen in der Welt der Größenordnungen.

Das kommt meiner Meinung nach in der Schule zu kurz, diese Bausteine. Ich wollte mit Ihnen darüber sprechen. Was braucht man überhaupt? Lassen wir mal Menschen mit Dyskalkulie aus dem Spiel. Ein normal intelligenter, befähigter Mensch kann doch, wenn es ihm vernünftig vermittelt wird, bis zu einem bestimmten Grad Mathematik begreifen, oder?

Das ist ein schwieriger Punkt. Es gab ja, ich komme ursprünglich aus Westdeutschland, da kann ich mich noch gut an die Zeit in der Grundschule und Anfang des Gymnasiums erinnern, als im Schulsystem sehr viel Mengenlehre ausprobiert worden ist.

Das hat meines Erachtens nicht besonders gut funktioniert. Das war so eine Phase, wo aus der Didaktik heraus eine gewisse Mode, dieses strukturalistische Denkens, das kommt so aus dieser Mode des Strukturalismus, in den Unterricht eingeführt worden ist. Letztendlich hat es sich gezeigt, dass diese Form dieser schematischen Abstraktion von Anfang an doch übertrieben war. Mit Sicherheit hat das bei sehr gut begabten Leuten keinen Schaden hinterlassen, aber die normal begabten hat man komplett verloren.

Die entscheidende Frage ist ja wirklich, wie viele Grundfähigkeiten müssen mitgegeben werden, wie schult man aber auch dieses Denken, welches universeller Natur sein soll. Dass man nicht nur einfach bestimmte Kochrezepte lernt, sondern dass man grundsätzliche analytische Fähigkeiten erwirbt und sich damit auch bei neuen Problemen seinen Weg suchen kann.

Das hat natürlich auch etwas mit einer Freude an solchen Problemen zu tun. In der Richtung bewegen sich meine Fragen. Wie muss Unterricht gestaltet sein, dass diese individuelle Freude, die Neugier, auch diesen Kitzel, dass man irgendwie ein Problem lösen möchte und nicht einfach sagt, irgendwie werde ich schon eine Maschine finden, der ich dann sagen kann, löse dieses Problem, sondern ich selber will ein Problem lösen? Also dieser Wunsch der Selbstwirksamkeit.

Der AHA-Effekt?

Der AHA-Effekt und auch das Gefühl, man hat selber das Problem gelöst. Das hat natürlich auch etwas mit dem Willen zu tun. Ich glaube, das ist nicht nur die Mathematik, um die es jetzt hier geht, sondern das betrifft viele andere Fächer ganz genauso. Und da frage ich mich, ob generell unsere Entwicklungen nicht in eine falsche Richtung gehen. Gerade die Frage: Wie viel Digitalisierung in der Schule und was für eine Digitalisierung.

Eine andere Frage: Es wird ja immer von asiatischen Schulen gesprochen, die Leute sind viel besser in Mathematik usw. Lernen die anders, was ist da dran? Sie haben ja vielleicht auch Studenten aus Japan, China oder Vietnam.

Man merkt ganz deutlich, dass es in Bezug auf diese Fähigkeiten unterschiedliche Kulturen gibt. Generell ist der Stellenwert von Bildung in einer Kultur, ganz, ganz wichtig, auch die Bedeutung, sich intellektuellen Problemen zu stellen. Auch die Neugier oder der Wunsch, solche Probleme knacken zu wollen. Ganz wichtig, es ist nicht nur eine Fleißangelegenheit.

Es gibt sicherlich auch Kulturen, in denen mit einem relativ hohen Grad an Autorität sehr viel Wert auf Disziplin und Fleiß gelegt wird. Das ist es mit Sicherheit nicht alleine, aber es hat auch viel mit Bequemlichkeit zu tun. Irgendwie weiter zu gehen, diesen Drang, Neugier, Interesse und auch die Selbstwirksamkeit zu erfahren. Ich will selbst das Problem gelöst haben. Das sind mehr universelle Dinge, da unterscheiden sich die Kulturen sehr deutlich.

Sagen wir mal so: Es ist nicht ein reines Schulproblem, sondern tatsächlich ein kulturelles Problem. So habe ich das rausgehört. Was bedeutet Bildung für die Gesellschaft, für die Familie? Von dort kommt ja die Motivation. Wenn diese Motivation für die Kinder nicht da ist, dass Bildung eine Bedeutung hat, dann wird das nichts.

Sehen Sie, welche Bedeutung hat Sport für einen selber? Die nimmt ja eigentlich in positiver Hinsicht zu. Es wird immer deutlicher, bis ins hohe Alter hinein, wie wichtig es is,t in Bewegung zu bleiben, zu trainieren usw. Ich glaube, auf dieser Ebene ist vielen von uns bewusst, es hat etwas damit zu tun, dass man sich ein Stück weit fordert.

Jeder weiß, Sport ist gesund, aber Sport machen heißt nicht hedonistisch nur etwas zu besitzen. Da muss man etwas tun, dafür schwitzen, dafür ächzen. Wenn wir diese Haltung in Bezug auf Bildung, auf Wissen, auf Neugier auch aufbringen würden, dann sähe das alles ganz anders aus.

Dann nehmen wir das jetzt als Schlusswort. Denksport, das ist es. Ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Zeit.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar