Manchmal geht es in Leipziger Ratsversammlungen vielleicht nicht um Kaisers Bart – aber um Gedankenstriche und einheitliche Namensgebungen. So wie am 23. Mai, als das jüngste Paket mit Schulnamensänderungen zur Abstimmung auf der Tagesordnung stand. An den von den Schulkonferenzen gewünschten Namen hatte an diesem Tag eigentlich niemand etwas zu rütteln. Aber die Linke hätte schon gern mehr Widerstandskämpfer wieder gewürdigt.
Denn zahlreiche Schulen in Leipzig haben insbesondere in den 1990er Jahren ihre in der DDR verliehenen Namen verloren bzw. abgelegt. Auch weil damals ein großes Aufräumen war und auch die Ratsversammlung emsig bemüht, all die nach sozialistischen Helden benannten Straßen, Plätze und Schulen umzubenennen. Das erwischte dann auch die Paul-Küstner-Schule in Leutzsch.
Bis 1992 trug die 157. Schule den Namen des Widerstandskämpfers Paul Max Küstner, der im kommunistische Widerstand gegen das Nazi-Regime war. Die SS brachte ihn noch kurz vor der Befreiung Leipzigs durch die US-Armee um.
„Im Rahmen der umfangreichen Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20.7.1944 (‚Aktion Gitter‘) wurde auch Paul Küstner am 5.8.1944 verhaftet. Zu dieser Zeit war er Wehrmachtsangehöriger. Er wurde aus der Wehrmacht entlassen und der Gestapo übergeben. Paul Küstner musste geahnt haben, was das bedeutet und was ihn erwartet“, schreibt die Linksfraktion in ihrem Änderungsantrag zur Schulnamensgebung.
Am 4. September 1944 verfasste Küstner einen Abschiedsbrief an seine Frau: „Für mich ist bald alles vorbei, wenngleich mir noch Schreckliches bevorsteht, aber ich will es ertragen, so tapfer ich kann bis zum Ende.“
„Gegen ihn wurde nun wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat‘ ermittelt“, so die Linksfraktion. „Zu einem Prozess kam es nicht mehr, was die Hoffnungen auf Überleben in der Leipziger Untersuchungshaft schürte. Doch sieben Tage vor der Befreiung der Stadt durch die US-Armee verübte die Leipziger Gestapo ein letztes Massaker. Am 12. April 1945 gehörte Paul Küstner (48 Jahre) zu jenen 52 Gefangenen, die auf dem Truppenübungsplatz Lindenthal erschossen und in einem Bombentrichter verscharrt wurden.“
Küstner wird gewürdigt
Nur ist nicht vorgesehen, dass die 157. den Namen von Paul Küstner zurückbekommt. Die Schulkonferenz hat sich dafür entschieden, der Schule künftig den Namen der Kinderbuch-Illustratorin Regine Heinecke zu geben. Zuvor war der Ansatz gescheitert, der Schule den Namen des Kinderbuchautors Otfried Preußler zu geben. Was auch mit der deutschlandweiten Debatte um Preußlers Schreiben in der NS-Zeit, eine Debatte, die die 2015 begann, zu tun hatte.
Geschichte ploppt ganz offensichtlich an vielen Stellen auf, an denen man es vorher nicht erwartet hat. Doch die Linksfraktion beantragte keine Wiederbenennung nach Paul Küstner, aber dafür die Anbringung einer Tafel am Schulgebäude, die an den von den Nazis Ermordeten erinnert.
Und gleichzeitig beantragte sie vom OBM eine Liste mit den Schulen, bei denen in den 1990er Jahren die Namen von Widerstandskämpfern getilgt wurden. Und gleichzeitig sollten diese Namen in den Namenspool für künftige Schulbenennungen übernommen wrden.
„In den letzten Jahrzehnten, vornehmlich in den 90er Jahren, verschwanden viele Namen von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern gegen die NS-Diktatur aus der Leipziger Schullandschaft. Wir als Linke sehen diese Entwicklung auf lange Sicht sehr kritisch. Wir haben durchaus Verständnis, dass heute andere Personen für Schulen namensgebend sind und wissen, dass die Zeiten sich ändern.
Jedoch vergessen dürfen wir nicht – im Gegenteil. Sofern die Namen des Widerstandes sowie Frauennamen durch Umbenennungen verschwunden sind, soll an den jeweiligen Schulen wieder sichtbar an diese damals gewürdigten Personen erinnert werden. Eine Rückbenennung ist nicht leicht machbar – bisweilen auch nicht sinnvoll – aber es bedarf der Erinnerung an die zu Unrecht getilgten Namen“, sagt Marco Götze, Sprecher für Schule und Bildung der Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat.
„Eine Übersicht über alle Namen, die bereits mit der Zeit aus dem Leipziger Stadtbild verschwunden sind, bietet die Grundlage für eine würdige Erinnerungskultur in unserer Stadt.“
Wobei zu Paul Küstner zu bemerken ist, dass es seit 1945 auch eine Paul-Küstner-Straße in Lindenau gibt, die ihn würdigt. Dort erinnert auch ein Stolperstein an ihn. Er ist also nicht vergessen. Etwas irritierend war dann der Auftritt von CDU-Stadtrat Karsten Albrecht, der dazu auch die gleichzeitige Erinnerung an Widerstandskämpfer gegen Stalinismus und SED-Regime forderte. Aber dann? Hier hätte doch mindestens ein abstimmbarer Antrag folgen müssen. Aber der kam nicht.
Dafür wurde der Linke-Antrag so wie er war – aber auf Wunsch der CDU-Faktion punktweise abgestimmt. Mit dem Ergebnis dass alle drei Antragspunkte der Linken trotzdem eine Mehrheit bekamen.
Goethe-Gymnasium oder Goethe-Schule?
Etwas emsiger wurde über einen Antrag der Freibeuter-Fraktion diskutiert, den FDP-Stadtrat Sascha Matzke begründete. Denn 2016 wurde das neu geschaffene Gymnasium in Schönefeld auf Wunsch der Schulkonferenz nach Johann Wolfgang von Goethe benannt. Aber Goethe war nicht das Problem, sondern die Schreibweise, die damals die CDU-Fraktion durchgesetzt hatte: Goethe-Gymnasium.
Das entspricht aber nicht den vom Stadtrat beschlossenen Regeln zu Schulbenennungen. Oder wie Sascha Matzke meinte: „Alle Schulen sind erst einmal Schulen.“ Das heißt: Die Regelform ist die Nennung des Namensgebers zusammen mit dem einfachen Begriff Schule. Erst im Zusatz kommt dann der Hinweis auf die Schulform: Gymnasium, Oberschule, Förderschule.
Das Problem am Antrag der Freibeuter war freilich, dass der Antrag zur Goethe-Schule nichts mit den neun Namensgebungen zu tun hatte, die an diesem Tag beschlossen werden sollten. Weshalb dann SPD-Stadträtin Ute Köhler-Siegel beantragte, den Antrag tatsächlich ins Verfahren zu verweisen, damit der vom Stadtrat beraten und extra beschlossen werden kann.
Das wollte zwar Sascha Matzke nicht – aber die Stadtratsmehrheit folgte dem Verweisungsantrag mit 30:5 Stimmen bei 17 Enthaltungen. Was ganz offensichtlich nichts damit zu tun hatte, dass die anders Abstimmenden nicht wollten, dass die Schule bis 2025 die regelkonforme Namenschreibweise bekommt. Eher wollten etliche – so wie Matzke – die Entscheidung schon an diesem Tag.
Neun offizielle Namensgebungen ab 1. August
Die Abstimmung zu den tatsächlich vorgelegten Schulnamensgebungen war dann eigentlich nur noch Formsache. Die Vorlage bekam 48:2 Stimmen.
Das sind die beschlossenen Namen und Änderungen, die am 1. August 2024 in Kraft treten:
Die 157. Schule – Grundschule der Stadt Leipzig bekommt den Namen Regine-Heinecke-Schule – Grundschule der Stadt Leipzig.
Die 120. Schule – Grundschule der Stadt Leipzig wird zur Schule Großzschocher – Grundschule der Stadt Leipzig.
Die Schule Erfurter Straße – Grundschule der Stadt Leipzig trägt dann den Namen Schule am Rosental – Grundschule der Stadt Leipzig.
Die 84. Schule – Oberschule der Stadt Leipzig bekommt den Namen Rudi-Glöckner-Schule – Oberschule der Stadt Leipzig.
Die Schule am Weißeplatz – Oberschule der Stadt Leipzig übernimmt endgültig den Namen Schule am Weißeplatz – Oberschule der Stadt Leipzig.
Die Schule am Neptunweg – Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung der Stadt Leipzig trägt künftig den Namen Kay-Espenhayn-Schule – Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung der Stadt Leipzig.
Die Schule an der Prager Spitze – Gymnasium der Stadt Leipzig bekommt den Namen Johanna-Moosdorf-Schule – Gymnasium der Stadt Leipzig.
Die Schule an der Messe-Allee – Gymnasium der Stadt Leipzig nennt sich künftig Marie-Curie-Schule – Gymnasium der Stadt Leipzig.
Das Berufliche Schulzentrum 7 Elektrotechnik der Stadt Leipzig bekommt den Namen Felix-Bloch-Schule – Berufliches Schulzentrum der Stadt Leipzig.
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