Am 16. Mai veröffentlichte Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) seinen 64-Punkte-Plan für ein besseres Bildungssystem in Sachsen. Ein Plan, der sogar bei den anderen Parteien gut ankam, denn er erzählt davon, dass das Kultusministerium in den vergangenen Monaten tatsächlich einmal zugehört hat, was Fachleute zum Zustand des sächsischen Bildungssystems zu sagen hatten. Eine gewisse Skepsis, ob es Piwarz so auch umsetzen kann, bleibt trotzdem.

Denn für die bisher gepflegte CDU-Bildungspolitik ist es durchaus ungewöhnlich, wenn Piwarz sagt: „Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel darin geschult werden, selbstorganisiert zu lernen. Auch soll mehr fächerverbindend unterrichtet werden, um das vernetzte Denken zu fördern.“

Darin wird zumindest deutlich, dass Piwarz zumindest verstanden hat, dass das erstarrte Bildungssystem aus dem 20. Jahrhundert so schon lange nicht mehr zukunftstauglich ist.

Sabine Friedel: Die Schule der Zukunft wird greifbar

„Weil sich die Welt ändert, muss sich die Schule ändern. Jetzt liegen die 64 Maßnahmen vor, die zur Weiterentwicklung der schulischen Bildung in Sachsen beitragen sollen. Mehr Lebensweltbezug, mehr fächerverbindender Unterricht und eine frühe Berufsorientierung werden dazu beitragen, junge Menschen fit fürs Leben zu machen“, begrüßte Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, das von Piwarz vorgelegte Strategiepapier.

Und: „Es ist gut, dass die Schule der Zukunft sich an Kompetenzen orientiert und die Lehrpläne entsprechend modernisiert werden.”

Aber ihre Skepsis, dass in Sachse tatsächlich mehr Eigenverantwortung an die Schulen delegiert wird, kann sie nicht ganz verbergen.

„Die Erarbeitung eines Leitbildes ist begrüßenswert, auch die Impulse zur Qualitätsentwicklung und Professionalisierung der Kultusverwaltung“, sagt sie.

Aber auch: „Hier braucht es mutige Schritte. Eine eigenverantwortliche Schule beruht auf Vertrauen, Begleitung sowie einer demokratischen Schulkultur. Als SPD schlagen wir vor, ein Landesinstitut für Schulentwicklung zu gründen, um Ressourcensteuerung und Schulaufsicht auf der einen Seite und Qualitätssicherung und Schulbegleitung auf der anderen Seite in verschiedene Hände zu legen.“

Aber was dem Aktionsprogramm noch fehlt, ist eine klare Umsetzung und Verbindlichkeit, so Friedel: „Jetzt kommt es darauf an, die Weichen zu stellen. Wir wollen gern Verbindlichkeit und Verlässlichkeit herstellen. Deshalb plädieren wir dafür, die Umsetzung der Bildungsland-Ergebnisse mit einem zehnjährigen Programm zu begleiten, das verlässliche Personal- und Schulhausbauressourcen festschreibt.“

GEW: Wo kommt das zusätzliche Personal her?

Und auch die Bildungsgewerkschaft GEW begrüßte die Bereitschaft des Kultusministeriums, endlich eine Strategie für die Schule der Zukunft zu entwickeln.

„In den Vorschlägen finden sich viele Maßnahmen, die wir seit längerem fordern. Das betrifft etwa ein umfassendes Personalentwicklungskonzept, die Aktualisierung der Lehrpläne und der konsequente Ausbau von multiprofessionellen Teams an allen Schulen“, sagte Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen.

„Auch begrüßen wir die geplante Einrichtung einer Klassenratsstunde, die der Klassenleitung angerechnet wird. Pädagogisch stärker auf die Kompetenzentwicklung, auf individuelle Förderung und eine Strategie zum digitalen Lernen zu entwickeln, zielt ebenso in die richtige Richtung.“

Aber ihm fehlen klar erkennbare Schritte, die Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten.

„In vielen der angekündigten Maßnahmen wird jedoch ausschließlich auf die Eigenverantwortung der Schulen gesetzt. Die Anforderungen an Schulen sind in den letzten Jahren bereits immens gestiegen. Deshalb benötigen wir stärkere Entlastungen, die in der vorgelegten Strategie deutlich zu kurz kommen“, sagte Naumann. „Die Umsetzung des Ziels der eigenverantwortlichen Schule wird allein davon abhängen, wie stark die Schulen entlastet und mit zusätzlichen Personal ausgestattet werden. Für uns steht deshalb die Strategie zur Personalentwicklung, der Ausbau multiprofessioneller Teams und zusätzlich zur Klassenratsstunde die lang versprochene Klassenleitungsstunde an erster Stelle.

Zudem birgt die Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen die große Gefahr, dass die Lösung von zentralen Problemen in der Bildung nach unten delegiert wird. Lehrkräfte und Schulleitungen wünschen sich jenseits von Informationsmaterial bei zentralen Fragen auch klare Vorgaben. Hier muss in der Umsetzung besser abgewogen werden, wo die Grenzen der Eigenverantwortung sind.“

Christin Melcher: Dafür muss schon 2025 Geld bereitstehen

“Wir Bündnisgrüne haben den Prozess zum ‚Bildungsland 2030‘ von Beginn an begrüßt und aufmerksam und wohlwollend begleitet. Der Prozess war klar strukturiert, durchgehend beteiligungsorientiert und hat die richtigen Fragen adressiert. Ich freue mich sehr, dass nun konkrete Ergebnisse und ein Strategiepapier vorliegen“, erklärte Christin Melcher, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.

„Damit dieses in der Praxis Wirkung entfaltet, brauchen wir nicht nur die Akzeptanz aller an Schule Beteiligten, wir brauchen Verbündete: Wir brauchen die Menschen, die Schule anders machen wollen, fit für das 21. Jahrhundert; Menschen, die bereit sind, Dinge neu zu denken und Veränderung zu leben. Letztlich sind diese Menschen die Trägerinnen und Träger der Unterrichts- und Schulentwicklung, die das Bildungsland Sachsen 2030 erst mit Leben füllen.“

Sie würdigt, dass sich in den vier Handlungsfeldern – Lernen, Steuerung, Professionalisierung und Infrastruktur – viele Maßnahmen finden, die sich mit teils langjährigen Forderungen der Grünen decken: mehr fächerverbindender Unterricht, Globalbudgets für Schulen, multiprofessionelle Teams, eine Orientierungshilfe Schulbau oder ein Konzept zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag im Grundschulalter.

„Wir erwarten, dass es nun unmittelbar an die Umsetzung geht. Dafür müssen bereits ab dem Doppelhaushalt 2025/26 die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden“, betont Melcher.

„Außerdem sind auch die Maßnahmen beherzt anzugehen, bei denen man das Kultusministerium bisher zum Jagen tragen musste – etwa das Konzept zur ganztägigen Bildung und Betreuung. Schließlich werden wir darauf achten, dass es keine blinden Flecken gibt und auch das mitgedacht und vorangebracht wird, was nicht explizit Thema im Bildungsland-Prozess war, etwa Inklusion und Integration.”

Aus ihrer Sicht sind die sächsischen Schulen – und mit ihnen die Bildungspolitik – im Jahr 2024 noch nicht gänzlich im 21. Jahrhundert angekommen.

„Ob eine Schule zukunftsfähig ist, zeigt sich bei Gebäuden und Ausstattung ebenso wie bei der inneren und äußeren Schulorganisation, durch eine kindorientierte Pädagogik ebenso wie durch eine zeitgemäße Lern- und Prüfungskultur“, erklärt Melcher. „Bei der Schule der Zukunft gibt es kein Erkenntnisproblem, alles liegt auf dem Tisch – aber die Mühlen mahlen langsam. Wir haben jetzt die Chance, sächsische Schulen zukunftsfest aufzustellen – nutzen wir sie!“

Holger Gasse und Sandra Gockel: Die Ziele sind jetzt formuliert

„Mit diesem in Deutschland einzigartigen Beteiligungs- und Strategieprozess werden wir das erfolgreiche sächsische Schulsystem zukunftsfähig gestalten“, war sich in der vergangene Woche der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Holger Gasse, sicher. „Im Dialog mit allen Betroffenen ist es dem CDU-geführten Kultusministerium gelungen, gemeinsam klare Ziele für die Entwicklung der schulischen Bildung zu formulieren. Das sorgt für die notwendige Akzeptanz und Planungssicherheit. Wir als CDU-Fraktion unterstützen diesen Prozess ausdrücklich.“

Und die CDU-Bildungspolitikerin und langjährige Schulleiterin, Sandra Gockel, sagt: „Schule braucht Veränderung, weil sich auch die Gesellschaft verändert. Doch dieser Prozess bedarf struktureller Kontinuität und eines Verständnisses für die Belange von Eltern, Schülern und Lehrer. Das Ziel der CDU-Fraktion ist und bleibt es, für jedes Kind den bestmöglichen Bildungsweg zu ermöglichen. Das bieten ihnen die Grundlage für eine erfolgreiche berufliche Laufbahn. Die 64 Maßnahmen des Strategiepapiers sorgen für gute Schule auch in Zukunft!“

Luise Neuhaus-Wartenberg: Mensch, warum dauert das denn alles so lange?

Ein gewisses Erstaunen bringt die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag Luise Neuhaus-Wartenberg zu Ausdruck, wenn sie sagt: „Wir als Linksfraktion finden die Mehrzahl der 62 Maßnahmen, die der Bildungsminister zum ‚Bildungsland 2030‘ vorgestellt hat, absolut richtig. Was kein Wunder ist, da viele von diesen Maßnahmen linke Forderungen sind – und das schon seit Jahren.

Ob die Anpassung der Lehramtsausbildung mit stärkerem Praxisbezug, der Ausbau der multiprofessionellen Teams an jeder Schule oder mehr Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern – all das muss angepackt werden. Wenn Gesellschaft sich wandelt und an alle Ansprüche und Erwartungen gestellt werden, muss auch Schule in der Art des Lehrens und Lernens sich ändern.“

Doch während Piwarz einen Umsetzungshorizont bis 2030 ins Auge fasst, hält Neuhaus-Wartenber eine schnelle Umsetzung der ersten Maßnahmen für dringend geboten.

„Selbstverständlich können wir schon ab dem kommenden Schuljahr Änderungen vornehmen“, sagt die linke Landtagsabgeordnete. „Ein Mehr an Mitbestimmung der jungen Menschen, die Art, wie Leistungen abgefragt und bewerten werden und die Öffnung der Schulen für Praktikerinnen und Praktiker von außen. Das kann zügig erreicht werden, um etwas Druck und Stress vom Ort Schule zu nehmen.“

Und so fragt auch Neuhaus-Wartenberg nach den Ressourcen, die der Freistaat nun zur Umsetzung der 64 Maßnahmen zur Verfügung stellen wird. Denn wenn alles am Ende an der Sparpolitik des Finanzministers scheitert, bleibt das Aktionsprogramm wieder nichts als ein schönes Stück Papier.

„Die sich stetig verändernde Gesellschaft wird nicht noch zwei Jahre warten, bis in Sachsen dann die Umsetzung der Maßnahmen beginnt. Beim gravierenden Mangel an Lehr- und anderen Fachkräften, an Zeit und finanziellen Ressourcen ist es vorbestimmt, dass wenn Schulen vieles in Eigenverantwortung tun sollen und können, es an vielen Schulen dauern wird“, sagt Neuhaus-Wartenberg.

„Nicht, weil da kein Wille wäre, die sächsische Schule ins 21. Jahrhundert zu überführen, sondern einfach die Mittel fehlen. Der nächste sächsische Landeshaushalt muss darüber entscheiden, ob schulische Bildung oberste Priorität hat. Für uns als Linksfraktion hat sie das sehr wohl.“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar