Die Erkenntnis hat tatsächlich lange gebraucht: „An Sachsens Schulen sollen künftig stärker Zukunftskompetenzen vermittelt werden und weniger Faktenwissen“, meldete das Sächsische Kultusministerium am Donnerstag, dem 16. Mai. „Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel darin geschult werden, selbstorganisiert zu lernen. Auch soll mehr fächerverbindend unterrichtet werden, um das vernetzte Denken zu fördern.“

Das geht unter anderem aus einer 64 Maßnahmen umfassenden Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung der schulischen Bildung in Sachsen hervor, die Kultusminister Christian Piwarz in Dresden vorstellte.

„Die globalisierte Welt, die Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch die Gesellschaft insgesamt entwickeln sich sehr dynamisch. Unsere Schulen müssen Schülerinnen und Schüler heute auf die Welt von morgen vorbereiten. Genau dazu soll die Gesamtstrategie dienen. Die Umsetzung der Maßnahmen werden wir nun unmittelbar vorbereiten, wobei das kommende Schuljahr als ein Übergangsjahr zu betrachten ist. Bis 2030 soll das Projekt abgeschlossen sein“, sagte Kultusminister Christian Piwarz am Donnerstag.

Kritik am Schubladenunterricht an Sachsens Schulen gab es schon lange. Es wurde zwar immer wieder von zu entwickelnden Kompetenzen geredet – aber Raum dafür gab es im sächsischen Lehrplan nie. Die Kinder wurden mit Stoff überschüttet, den sie zu verarbeiten hatten. Als wenn sie nur Datenverarbeitungsmaschinen auf zwei Beinen wären. Honoriert wurde die Fähigkeit zum Auswendiglernen, nicht das Ausbilden von Kompetenzen.

Zieljahr 2030

Ob das mit dem 64-Punkte-Programm anders wird, bleibt abzuwarten. Mit dem Zieljahr 2030 hat sich das Ministerium einen langen Vorlauf gesichert, in dem sich auch erweisen kann, ob alle Ideen so auch funktionieren. Denn manche beißen sich auch – wie der starke Fokus auf den Einsatz digitaler Geräte im Unterricht („Kultur der Digitalität“), während geichzeitig pädagogische Kompetenzen im Vordergrund stehen sollen. Mancher Vorschlag wirkt wie ein Versuch, den absehbaren Lehrermangel irgendwie zu kompensieren („Etablierung selbstbestimmter Lernphasen”).

Während man immerhin akzeptiert, dass Integration in Sachsens Schulen endlich auf eine professionelle Stufe gehoben werden soll mit „multiprofessionellen Teams“. Denn gerade bei misslingender Integration produziert Sachsen regelrecht Misserfolge für Kinder aus benachteiligten Familien, wie gerade erst eine ifo-Studie deutlich machte.

Dem Strategiepapier ging im Rahmen des Projektes „Bildungsland Sachsen 2030“ ein umfangreicher interner und öffentlicher Beratungsprozess voraus, an dem sich neben Experten aus der Wissenschaft Lehrkräfte, Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern beteiligt hatten, so das Kultusministerium. Auch Vertreter der kommunalen Schulträger waren eingebunden.

Ausgangspunkt für den Prozess waren gesamtgesellschaftliche Veränderungen, wie die Digitalisierung, Individualisierung in der Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Migration und die Komplexität einer globalisierten Welt, wodurch Schulen vor große Herausforderungen gestellt werden.

Einige ausgewählte Maßnahmen aus der Gesamtstrategie

Mehr Eigenverantwortung und Freiräume für Schulen (z.B. Globalbudget)

„Wir stärken die Eigenverantwortung der Schulen sowohl in pädagogischer als auch finanzieller Hinsicht“, sagte Kultusminister Christian Piwarz. Die Schulen sollen zugleich von Bürokratie und Bestimmungen entlastet werden. Sie sollen mehr Flexibilität erhalten und mehr Eigenverantwortung leben können. Mit einem Globalbudget soll dieses Ziel erreicht werden.

In dem Globalbudget (Handlungsfeld Steuerung – Maßnahme 1.4*) werden Mittel aus drei bestehenden Töpfen, die zu unterschiedlichen Konditionen und Zeitpunkten ausgezahlt werden, zusammengeführt. Mit dem Globalbudget können Schulen eigenverantwortlich externes Personal vertraglich binden, individuelle Lernangebote für Schüler finanzieren und die schulische Qualität fortentwickeln.

Mehr Vermittlung von Kompetenzen und weniger Faktenwissen

Mehr Kompetenzvermittlung (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 2.1*): „In den Lehrplänen soll die Vermittlung von Zukunftskompetenzen stärkeres Gewicht bekommen als das Lernen von Fachwissen. Auch im Unterricht soll der Lebensweltbezug größer werden“, sagte Kultusminister Piwarz. Statt den Fokus auf reines Fachwissen zu legen, soll der Blick zudem auf Wissen gerichtet werden, das vernetzt angewendet werden kann und hilft, Probleme zu lösen.

„Es nützt nichts, Dinge nur zu wissen, Schüler müssen das Wissen auch anwenden können. Auch müssen sie zielgerichtet und kompetent Lernstrategien kennen und einsetzen, um neues Wissen selbstständig zu erwerben“, machte Kultusminister Christian Piwarz deutlich. Deshalb sollen die Lehrpläne laufend aktualisiert und der fächerverbindende Unterricht fest verankert werden.

„In einer dynamischen Wissensgesellschaft müssen wir künftig gesellschaftliche Entwicklungen stärker im Blick behalten und bei Bedarf die Lehrpläne anpassen. Wir müssen in der Lage sein, flexibel auf die neuen Anforderungen zu reagieren“, so der Kultusminister.

Fächerverbindender Unterricht (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 2.2*) und Stundentafeln (Handlungsfeld Steuerung – Maßnahme 1.1): Schulen sollen künftig eigenständig die Stundentafeln im Rahmen von zwei bis sechs Stunden wöchentlich für fächerverbindendes Lernen anwenden.

Etablierung von selbstbestimmten Lernphasen

Schulen sollen künftig feste Zeiträume und Lernorte für selbstbestimmte Lernphasen (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 4.4*) im Schultag integrieren. Selbstbestimmtes Lernen wird bei der Aktualisierung der Lehrpläne ausgebaut. „Das selbstorganisierte Lernen ist eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Deshalb muss es sowohl in den Lehrplänen als auch in der Umsetzung der Stundentafeln mehr Gewicht bekommen“, so der Kultusminister.

Schulen und Bildung werden digitaler – es gilt aber das Primat der Pädagogik

Die Schule der Zukunft wird eine Kultur der Digitalität leben, meint das Kultusministerium. Dazu soll den Schulen eine nachhaltige digitale Infrastruktur zur Verfügung stehen. Digitale Lehr- und Lerninhalte sollen selbstverständlich im Unterricht integriert werden, wobei eine gute Mischung aus analogen und digitalen Lehr- und Lernmethoden zum Einsatz kommen soll.

Digital gestütztes Selbstlernen (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 3.3*): Die Stundentafeln und Lehrpläne aller weiterführenden Schularten weisen zukünftig Bereiche mit besonderem Potenzial für digital gestütztes Selbstlernen aus.

Hybrider Unterricht (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 3.4*): Für flächendeckende Unterrichtsangebote werden die Rahmenbedingungen für schulübergreifenden hybriden Unterricht geschaffen, in denen Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Schulen gemeinsam digital gestützt sowie in Präsenz mit einer Lehrkraft lernen.

E-Campus (Handlungsfeld Professionalisierung – Maßnahme 2.4*): Es wird ein E-Campus geschaffen, der modern und digital Professionalisierung unterstützt und flexible und individuelle Fortbildungen für Lehrkräfte ermöglicht.

Multiprofessionelle Teams an Schulen werden auf- und ausgebaut

Dynamische Veränderungen in der Gesellschaft und die damit einhergehende Herausforderungen können von den Schulen nur durch multiprofessionelle Teams (Handlungsfeld Professionalisierung – Maßnahmen 1.1 und 1.2*) bewältigt werden, ist man sich im Kultusministerium sicher.

Schulleitungen sind mittlerweile auch „Manager“ kleiner bis mittelständischer Bildungsunternehmen, die neben der Organisation von Unterricht für zahlreiche Kooperations- und Administrationsaufgaben zuständig sind. Auch die pädagogischen Anforderungen haben sich durch eine heterogene Schülerschaft und den Anspruch auf eine inklusive und integrative Bildung weiterentwickelt. In der Schule der Zukunft arbeitet deshalb ein multiprofessionelles Kernteam.

„Wir werden die Schulen durch den Auf- und Ausbau multiprofessioneller Teams mit zusätzlichen Fachkräften stärken“, machte Kultusminister Christian Piwarz deutlich. Dazu werde das System aus Assistenzen für die Verwaltung und pädagogische Arbeit auf- und ausgebaut.

Leistungskultur und Leistungsbewertung prägen die Schule der Zukunft

Ziffernnoten (Handlungsfeld Lernen – Maßnahmen 6.2 und 6.3*): Auch in der Schule der Zukunft herrscht zukünftig eine schülerorientierte Leistungskultur. Noten werden nicht abgeschafft. Sachsens Schulen sollen jedoch die Möglichkeit bekommen, alternative Bewertungssysteme zu erproben, wenn sie eine differenziertere und objektive Einschätzung der Schülerinnen und Schüler ohne Mehraufwand für Lehrkräfte ermöglichen wollen.

In Grundschulen kann dies in Abstimmung mit der Schulaufsicht erfolgen, wenn sich Schulkonferenzen dafür entscheiden. Die Ziffernnoten in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Sachkunde wird es jedoch weiterhin geben. Weiterführende Schulen können alternative Bewertungssysteme in ausgewählten Fächern und unter wissenschaftlicher Begleitung voraussichtlich ab dem Schuljahr 2025/2026 erproben.

Kopfnoten (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 6.4*): Ebenso wie die Ziffernnoten beibehalten werden, wird es auch weiterhin Kopfnoten geben. Allerdings wird die Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens weiterentwickelt, um die Kompetenzen des 21. Jahrhunderts, wie Selbstorganisation, Kommunikations- und Teamfähigkeit besser einschätzen zu können.

Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Wissenschaft, Schulpraxis und Wirtschaft soll dazu eine Konzeption entwickeln. Ziel ist ein für die Schulen effizientes und für die Schüler transparentes Bewertungsverfahren des Arbeits- und Sozialverhaltens.

Mehr Mitbestimmung im Schultag und bei der Unterrichtsgestaltung

Möglichkeiten und Formate zur Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler im Schultag und bei der gemeinsamen Unterrichtsgestaltung werden in den Schulen, in der Lehrkräftebildung und in Fortbildungen gestärkt.

Für jede Schulklasse wird eine fachunterrichtsfreie Stunde als „Klassenrat“ im Stundenplan ausgewiesen und der jeweiligen Klassenleitung im Regelstundenmaß angerechnet (Handlungsfeld Lernen – Maßnahme 1.3*). Die Einführung der Klassenratsstunde erfolgt in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Personalressourcen sukzessive und gegebenenfalls zunächst 14-tägig.

Stärkung von Schülermitwirkung und Engagement

Die Schülermitwirkung wird in allen Schularten gestärkt. Insbesondere wird die Rolle des Vertrauenslehrers als „Verbindungslehrkraft“ geschärft und das Engagement im Rahmen der Schülermitwirkung gewürdigt (Handlungsfeld Steuerungs-Maßnahme 1.5*).

Die Informationen zum Projekt „Bildungsland Sachsen 2030″ findet man hier.

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