Der zweite PISA-Schock sitzt tief. In der PISA-Studie 2022 haben die 15-jährigen Schüler aus Deutschland so schlecht abgeschnitten wie nie in den vergangenen 20 Jahren. Die Ergebnisse bestätigten, dass die sinkenden Ergebnisse in Deutschland ein systemisches Problem sind. Eines, das direkt damit zusammenhängt, dass die Lehrpläne mit Stoff überfüllt sind, der zur Kompetenzausbildung nichts beiträgt. Und gleichzeitig fehlt den Lehrerinnen und Lehrern der Freiraum, alle Schüler zum Bildungserfolg zu bringen.
Das drückt auch eine kurze Zusammenfassung, wie sie z.B. die Tagesschau brachte, denkbar deutlich aus: „Knapp ein Drittel der 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur sehr geringe Kompetenzen. Etwa jeder sechste Jugendliche hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Die Anteile dieser besonders leistungsschwachen Jugendlichen sind seit 2018 größer geworden und betragen in Mathematik rund 30 Prozent, im Lesen rund 26 Prozent und in den Naturwissenschaften rund 23 Prozent.“
Versäumnisse aus den frühen Schuljahren, wo die Grundlagen für den Bildungserfolg gelegt werden, pflanzen sich durch die ganze Schulzeit weiter fort. Doch mit Stoff vollgestopfte Lehrpläne lassen den Lehrkräften überhaupt keine Zeit, mit ihren Schülern das Versäumte nachzuholen. Was auch politisch gar nicht gewollt ist.
Das ist das Uneingestandene in dieser Diskussion: Eine zutiefst konservative Sicht auf Bildung hält bis heute ein Schulsystem am Leben, in dem das Aussortieren und Demotivieren zum Grundprinzip gehört. Der Bildungserfolg für alle Kinder ist gar nicht gewollt.
Lehrer-Bashing als übliche Abwehr
So gesehen war auch der Verbalangriff von OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher auf die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland, die nur noch „Befehlsempfänger“ seien, mehr als unangebracht. Die umgehende Kritik der Lehrergewerkschaft GEW handelte sich Deutschlands „PISA-Chef“ dann auch erwartbar ein.
Es ist immer einfach, auf die Lehrer einzuprügeln und die politische Verweigerung einer echten Bildungsreform einfach zu ignorieren. Die PISA-Erfolge, die Deutschland nach dem ersten PISA-Schock gelangen, sind durch verstärkte Bemühungen der Lehrerinnen und Lehrer (Stichwort: zielgerichtetes Hinarbeiten auf PISA-Tests) zustande gekommen, aber nicht durch die längst überfälligen Reformen.
Elternräte mahnen Reformen an
Der Landeselternrat Sachsen und engagierte Kreiselternräte unter anderem aus Leipzig, Dresden, Chemnitz und Görlitz haben in den vergangenen zwölf Monaten ein Positionspapier zur sächsischen Bildungspolitik entwickelt. Dieses richtet sich mit zahlreichen konkreten Forderungen an die Fraktionen des sächsischen Landtags und soll am Rande einer Plenarsitzung am 1. Februar an die Bildungsexperten der Fraktionen übergeben werden.
Im Positionspapier gehen sie dezidiert auf die ungleichen Bildungschancen sächsischer Kinder ein. Denn auch in Sachsen hängt der Bildungserfolg (und der Erwerb von „Kompetenzen“) direkt mit der sozialen Herkunft der Kinder zusammen, auch wenn sich sächsische Kultusminister diesen Faktor bei jedem „INSM Bildungsreport“ möglichst kleinreden.
„Gute und gerechte Bildungschancen für alle Kinder gemäß Ihren Fähigkeiten unabhängig von Ihrer
sozialen Schicht, ihrem Wohnort oder ihrer Herkunft muss das Ziel progressiver Bildungspolitik sein und stellt die Grundlage dar, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können“, stellt das Positionspapier der Kreiselternräte fest.
„Wenn unsere Kinder die Schule als glückliche, selbstbewusste und gefestigte Persönlichkeiten sowie als mündige Bürgerinnen und Bürger verlassen, sind wir zuversichtlich, dass auch in Zukunft kreative und mutige Köpfe, zupackende und innovative HandwerkerInnen, engagierte LandwirtInnen, geschickte Pflegekräfte, leidenschaftliche LehrerInnen und all die Menschen da sind, sodass unsere Gesellschaft lebenswert und resilient bleibt.
Über ein Jahr lang wurden in gemeinsamer Arbeit im LandesElternRat (LER) unsere thematischen Forderungen zusammengetragen. Es wurden Thesenvorschläge formuliert, deliberative Mitwirkungsformen für alle Eltern in Sachsen ermöglicht, diskutiert und gestritten und im LER gemeinsam das finale Positionspapier verabschiedet.“
Das Positionspapier der Elternräte
Lehrpläne entmüllen, gleiche Chancen schaffen
Im Papier fordern sie nicht nur eine Überarbeitung der (überfrachteten) Lehrpläne, sondern eine Stärkung der Grund- und Oberschulen, den Ausbau von Gemeinschaftsschulen, Assistenzsysteme und Schulsozialarbeit an allen Schulen, mehr Lehrerinnen und Lehrer, eine Erhöhung der Investitionen ins Bildungssystem und vor allem: „Kein Kind ohne Abschluss!“
Denn Fakt ist: Jahrelang wurde auch am sächsischen Bildungssystem gespart, wurden junge Pädagog/-innen nicht eingestellt, weil Sachsens Bildungsminister keine „Überhänge“ wollten. Und das in Zeiten, als der Lehrermangel deutschlandweit schon spürbar war. Zukunftsvorsorge sieht anders aus. Gleichzeitig sind Lehrer, so gern sie ihrem Auftrag nachkommen wollen und dies auch tun, mit bürokratischen Verwaltungsaufgaben belastet, die einen wesentlichen Teil ihrer Zeit fressen.
„Herausforderungen aus Migration und Flucht auf viele Schulen und alle Schulformen verteilen“, fordert das Positionspapier. Wirklich akzeptiert, dass auch Sachsen ein Einwanderungsland ist und immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund die Schulen besuchen, hat nämlich auch Sachsens Regierung noch nicht.
Denn dafür braucht es besondere Ressourcen und vor allem den Willen, auch diese Kinder zum Bildungserfolg zu führen. Da muss das Positionspapier gar nicht die Wirtschaftsverbände benennen, deren Unternehmen händeringend nach qualifizierbarem Nachwuchs suchen – und dann mit den Problemen konfrontiert werden, die ein elitär gedachtes Schulsystem jedes Jahr produziert.
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