Die Zeder, der โgรถttlicheโ Nadelbaum, ziert das Flaggenemblem der Libanesen. รltere Gewรคchse ihrer Art kรถnnen Geschichten aus tausend Jahren erzรคhlen. Majestรคtisch thront sie รผber der kahlen Berglandschaft im Norden Libanons. Erst nach 80 Jahren wird sie โerwachsenโ, nichts fรผr einen botanisch Ungeduldigen wie mich.
Denn die โGroรmutter Immergrรผnโ braucht viel Sonne zum guten Wachstum. Dann entwickelt sie ihre Schรถnheit, in voller Baumkrone zu stehen. Viel Wasser ist gar nicht nรถtig. Hauptsache Licht und Bergluft. Dann bleibt sie auch das Nationalsymbol des kleinen vorderasiatischen Staates, der so viel an Leid und Zerstรถrung tragen musste. Fast ein Zedernalter lang. Sie ist das Symbol, ein Alleinstellungsmerkmal des kleinen Landes voll mit zuversichtlichem Selbstbewusstsein. โOhne die Zeder in der Fahne wรคren wir ja รsterreichโ, meint verschmitzt unsere drahtige Nadelwaldfรผhrerin.
Kurz noch weiter zum angelesenen und angehรถrten Wissen. Alttestamentlich galt die Zedernkiefer als โHerrlichkeit des Libanonโ (Jesaja, 35,2) war Kult, Stoff zum Bauen, mit Duft zum Verfรผhren und noch mehr. In den Psalmen werden Zedern als โGottesbรคumeโ bezeichnet. Sie verkรถrpern das Kรถnigtum mit majestรคtischer Krone, warnen gleichzeitig aber vor der Hybris der Herrschenden, die mit ihr in Reichtum und Luxus konkurrieren wollen.
Natรผrlich, mit starkem รberlebenswillen, voll mit Tradition und Stolz, viele der vor- und nachmittelalterlichen Reiche im Libanon stets รผberlebt zu haben. Die Zeder mit โZโ, wie ein Zufrieden-mit sich-selbst-sein der Existenz.
Kontraste und Sehnsucht nach Stabilitรคt
Die dennoch im Bestand schrumpft und deshalb erhalten werden muss. Von den Menschen heute, keine Frage. Man sagt im Libanon: โStirbt die Zeder โ stirbt das Land.โ
Majestรคtisch-erhaben wirkt auch die Landschaft des Nordlibanon. Berge ragen รผber tiefe Tรคler, grรผne Ebenen liegen vor einem wie Prรคsentierteller. Von Norden nach Sรผden geht der Weg durch die Bekaa-Ebene. Grรผne Landschaften, dann wieder eng aneinander und zusammenstehende Hรคuser in den Stรคdten. Beirut, Tripoli, Baalbek. Dort gibt es Arbeit und Einkommen fรผr das tรคgliche Leben und seine groรen und kleinen Ansprรผche. Natรผrlich wieder im scharfen Kontrast der Widersprรผche und Gegensรคtze.
Man sieht Villen und Sommerresidenzen, auch Wolkenkratzer in den Stรคdten. Daneben karge Behausungen, nach unserem Ermessen, ja, Elendsviertel, und Lager fรผr Geflรผchtete. Den 6 Millionen Einwohnern Libanons steht die gleiche Zahl Geflohener gegenรผber. Versorgt von der UNIFiL.
โDer Libanon ist nicht reich.โ Das betont unsere Reiseleiterin bei der Vorbeifahrt an den palรคstinensischen Graffiti im Sรผden Libanons, die trotzig Lebensnormalitรคt und รberlebenswillen signalisieren. Nicht leicht wiederum fรผr das durch Bรผrgerkriege (1975 โ 1990) zerrรผttete Land, das sich nach dauerhaften Frieden und wirtschaftlicher Sicherheit sehnt, sich politische Stabilitรคt erhofft.
Gesellschaftliche Spannungen, รคuรerer Druck
Die mahnenden Zeichen dieser Hoffnung sieht man an vielen Orten, zuerst in der Hauptstadt und Millionenmetropole Beirut. Auf dem โPlatz der Mรคrtyrerโ steht ganz zentral das Denkmal fรผr die nahezu Hunderttausend Opfer der jahrelangen Konflikte und Kleinkriege innerhalb des Landes โ die Metallplastik voll mit Einschusslรถchern und einem abgerissenem Arm lรคsst einen nachdenklich werden. Man spรผrt und sieht hier die Brรผchigkeit eines friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen. Maronitische Christen, die den Staatsprรคsidenten laut Verfassung stellen, leben neben Muslimen und Drusen, teilweise auf engem Raum in den Groรstรคdten.
Weitere 15 Religionsgemeinschaften mรผhen sich um tolerantes Zusammenleben. Libanon ist eben doch โreichโ, aber tragischerweise auch an stรคndigen innergesellschaftlichen Spannungen und Druck von auรen. Geflohene Palรคstinenser, Syrien-Krieg, die Hisbollah im Sรผden, im Kriegszustand mit Israel: Nichts ist โnachhaltigโ, wรผrden wir mit sicherem Abstand sagen. Beruhigte oder latent explosive Verhรคltnisse? Der naive und neugierige Tourist vermag es schwer einzuschรคtzen.
Explosion 2020: โNur die Hiroshima-Bombe war heftigerโ
Eine verheerende Explosionskatastrophe im August 2020 aus Richtung des Beiruter Hafens traf die Hauptstadt. Gar nicht so lange her, das sieht man an den zerstรถrten Gebรคuden in โDowntownโ und anderen Beiruter Stadtvierteln, wie auch an der Strandpromenade, der โCornicheโ. Warm weht der Oktoberwind, selbst am Abend, aber man erkennt selbst durch die Dunkelheit verlassene, zerstรถrte Restaurants, Bars und Cafรฉs. Ein solches Restaurant-Skelett erklimmt man dann bei Tage und ist neben der Waghalsigkeit dieser Unternehmung erschrocken รผber das geschilderte Ausmaร der Detonation, in der Dimension schwer vorstellbar.
โNur die Hiroshima-Bombe war heftiger.โ So erklรคrte es uns die Reiseleiterin. Die nicht vor Ort war, als es passierte. Und doch glauben wir ihr. Und sind gleich nochmal erschrocken. Drehen uns um und schauen auf den โTaubenfelsenโ โ das Wahrzeichen Beiruts โ der vor uns im Meer liegt und aus den Fluten herausragt. Zeichen der Hoffnung auch hier. Natรผrlich und bleibend. Beinahe trotzig in der Tradition verharrend, Symbol des ungebrochenen รberleben-Wollens.
Reiche Kultur und Geschichte
Im Gegensatz zur modernen und teilweise schnell wiederaufgebauten City von Beirut stehen die vielen Erinnerungsorte aus der vorstaatlichen Zeit des Libanon. Seit รผber 6000 Jahren existierte zwar das Land, aber es fehlte an nationaler Selbstรคndigkeit und souverรคnem Eigenleben. Unabhรคngig von fremdem Mandat wurde es 1943, zuvor beherrscht und teilweise รผberrannt, zerstรถrt und wieder bebaut von Phรถniziern, Rรถmern, Mamelucken, Osmanen, Englรคndern und zuletzt Franzosen.
Mit Franzรถsisch โkommt man gut durchโ, aber nicht immer an, die Weltsprache Englisch setzt sich in jรผngeren Kreisen auch da konsequent durch.
Still (und schwitzend in der Oktobersonne und strahlend blauem Himmel) wird man an den Burgen, Tempeln, Ruinen der Nekropolen und Hippodromen Alexander des Groรen in Saida, Sour, Byblos und Tripoli. Und die Kreuzritter kamen auch und gingen wieder. Danach die Osmanen mit dem Schwert und zum Schutz fรผr die ansรคssigen Muslime, die eine kulinarische Vielfalt an Gerichten und Gewรผrzen mitbrachten โ Leckerbissen fรผr den Gaumen, selbst fรผr sparsam-bedachte Touristen beinahe sorglos zu genieรen.
Nach den Klettertouren in alten Palastanlagen und Bootsfahrten in Hรถhlengrotten bewundert man die farbenfrohe Pracht der Basare (souks) in den Gรคngen der Altstรคdte, gรถnnt sich dann eine Cafรฉ-Pause in arabischem Ambiente. Herrlich. Momente zum Innehalten, fernab des pulsierenden Straรenverkehrs, der nur mit privaten Kraftfahrzeugen modernster und รคltester Sorte bewรคltigt wird โ keine Bahn, kein รPNV, kaum ein Fahrrad ist zu sehen. Andere Prioritรคten, die der Lebensweise oder den Straรen und Entfernungen entsprechen.
So nah und doch so fern
Weit sind sie fรผr unsere Verhรคltnisse ja nicht im Libanon. Entfernungen an Kilometern legt man dort recht schnell zurรผck, bei Entfernungen an Jahrhunderten von Kultur und Geschichte ist das nicht so einfach. Und geht nicht so schnell. Die weltbekannte Tempelanlage von Baalbek hilft der Vorstellung fรผr altertรผmliche Baukunst mit ihrem imposanten Ensemble spรคtrรถmischer Architektur.
Ob Jupiter, Bacchus- oder Venustempel โ staunend steht man vor kolossaler Grรถรe, stellt sich beinahe unglรคubig die Frage, wie vorneuzeitliche Menschenkraft solch beeindruckende Bauwerke schaffen konnte. Ganz im wahren Sinne ein Hรถhepunkt einer zu kurzen Reise durch ein nahes und zugleich fernes Land. Reich an Gegensรคtzen โ arm in der โWirtschaftโ, stolz in Kultur und Tradition. Verletzt durch jahrelange Gewalt und Zerstรถrung, begegnete uns der Libanon mit Gastfreundschaft und angenehmer Wรคrme.
Und Zuversicht, dass man wiederkommt.
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